Unsere Wunderwelt von oben: Die besten Luftbilder und ihre Storys
Was ist das bloß? Eine optische Täuschung? Eine Fotomontage? Kunst? Oder tatsächlich, erlauben wir uns diesen poetischen Gedanken: ein Tor in den Himmel – den siebten womöglich?
Die Titelseite der aktuellen freizeit (und das obige Artikelbild) gibt Rätsel auf und lädt zu Gedankenspielen ein. In einem watteweichen Wolkenmeer versunken ragt schwerelos ein goldener Rahmen empor. Eingetaucht in so magisches Licht, dass wir im Ohr die Englein singen hören. Ein überirdischer Anblick. Und doch ganz weltlich verhaftet: in Dubai nämlich. Dort steht das Bauwerk, das sich aus zwei 150 Meter hohen Türmen zusammensetzt und durch eine Brücke verbunden wird. „Dubai Frame“.
Was aussieht wie gemalt ist tatsächlich ein Foto. Aufgenommen hat es einer, dessen Mystik sich sonst in Tabellen und Berechnungen ermisst: Bachir Moukarzel ist in seinem Brotberuf der Finanzdirektor einer internationalen Hotelkette. „Viele Leute sind überrascht, wenn sie von meinem Bürojob erfahren“, erzählt er. Vor fünf Jahren, als das wesentlich weniger geläufig war als heute, begann er als Hobby in seiner Freizeit Drohnen zu fliegen – und damit Fotos zu machen. „Ich wollte neue Perspektiven erkunden, die sonst nur von Flugzeugen aus zu sehen sind“, so der Libanese mit Wohnsitz Wüste über seine Anfänge.
Sein berühmtes Foto war keine spontane Idee. Sechs Monate lang plante Moukarzel den entscheidenden Klick. Immerhin sind neblige Tage im hitzigen Dubai selten, und Nebel ist nicht gleich Nebel. Er musste genau richtig sein, nicht zu viel, nicht zu wenig, um „das richtige Bild im richtigen Moment festzuhalten“, so Moukarzel. „Das Planen dauert lange, das Schießen geht ganz schnell“, sagt er. Motiv, Komposition, ein ungewöhnlicher Winkel, all das gilt es für ihn zu berücksichtigen, sobald seine Fotodrohne sich in die Lüfte erhebt, dazu kommen Wetter und Wind. Sein berühmtes Foto nahm er bei Sonnenaufgang auf. „Mein Job ist bestimmt von Zahlen und Statistiken“, so Moukarzel. „Vielleicht mache ich ja deshalb meine Fotos.“
Überdrüber: der "Aerial Photography Award"
Heute hat er sich mit seinem Kunst gewordenen Hobby einen Namen auf der ganzen Welt gemacht. Und gewinnt Preise damit – auch beim „Aerial Photography Award“, der heuer zum ersten Mal stattfand und an dem sich tausende Fotografen aus 65 Ländern beteiligten. 22 Kategorien waren ausgeschrieben, von „Menschengemacht“ bis „Natur“. Ob die Künstler sich für ihr Luftbild – wie zumeist der Fall – einer Drohne bedienten oder aus dem Flugzeug oder dem Heißluftballon heraus unsere Wunderwelt ins Auge fassten spielte bei der Beurteilung keine Rolle.
Im Netz: Es zischt der Dampf des Bootes, während die ausgeworfenen Netze im Meer sich ausbreiten wie ein faszinierender Fächer: Nahe der Küste von Phú Yên in Vietnam machen sich Sardellenfischer im Morgengrauen an die Arbeit. Das Bild von Thien Nguyen hat ein beeindruckendes Schauspiel eingefangen.
Wie ein Regenbogen: Wenn der Fotograf Sebastien Nagy nicht schlafen kann, surft er auf Google Earth. Weil ihm gefiel, was er von Las Palmas sah, buchte er flugs ein Ticket nach Gran Canaria. „Ich mag Architektur, die ein abstraktes Bild ergibt, je nachdem wie sie fotografiert ist. Und ich lege Wert auf schöne Farben.“ Die schönsten fand der Belgier bei Sonnenaufgang.
Ziemlich zerfurcht: Nach 15 Monaten Weltreise verschlug es Johan Vandenhecke nach Kolumbien. Was er fotografieren wollte: die Tatacoa-Wüste. Aus 50 Metern Höhe und bei Dämmerung entstand via Drohne dieses abstrakte Werk. Wer genau hinsieht, bemerkt sogar grüne Büsche. „Was man am Bild nicht sieht: die Heerscharen lästiger Wüstenfliegen“, so Vandenhecke.
Volle Flosse voraus: Ein Dreierteam Buckelwale bahnt sich durchs Eismeer. Albert Dros nahm das Bild in der Diskobucht in Grönland auf. Mit Freunden befand er sich per Segelboot auf Fototour. Neugierig kamen die Wale oft ganz nah ans kleine Boot. Da startete Dros seine Drohne. „Die Population der Wale steigt an, seit sie geschützt werden“, so Dros. „Für mich symbolisiert das Bild die Schönheit der Natur.“
Regentanz: Daniel Bontes Foto entstand in Tokio, ein buntes Wimmelbild urbaner Geschäftigkeit. Und die „Kontrastierung eines klar strukturierten Weges mit der Lebendigkeit der Menschen“. Für den Deutschen zeigt es „das unbändig Vitale einer Großstadt, wo das enge Zusammenleben der Menschen den Alltag beherrscht.“
Meeresmalerei: Die Fischer auf einem Boot in Vietnam werfen ihr Netz aus. Das Meer reagiert verspielt: Und formt die Netzkante durch Wogen und Wellen so, dass sich das Gesicht eines Menschen zu erkennen gibt. „The Lady of the Sea“ hat Duy Sinh dieses Bild genannt. Auch der Zufall kann Kunst. Und die Natur sowieso.
Grüne Welle: Die Schönheit des Augenblicks, wenn der Wind wie eine Welle über das ein Meter hohe Gras weht: Das Foto von Khanh Phan zeigt vietnamesische Bauern, die das Gras dieser üppigen Fauna mähen, um damit ihre Rinder zu füttern oder es als Dünger zu verwenden. Von der von oben zu sehenden poetischen Schönheit ihrer Arbeit ahnen sie nichts
Freigelegt: Das Wrack eines britischen Minensuchboots aus dem ersten Weltkrieg, auf Grund gelaufen an der französischen Küste. Viele Jahre verborgen im Sand, freigelegt durch den Rückzug des Meeres. Eine Nachricht aus der Vergangenheit, von Reginald Van de Velde.
Vogelfrei: Flamingos fliegen über den Natronsee, 120 km südwestlich von Nairobi. Manchmal begleiteten sie den Helikopter, in dem Hua Shang saß, um zu fotografieren. „Farben und Muster wechseln mit dem Licht und dem Wind. Wie die Palette eines Künstlers, farbenfroh, ständig neu, schön und faszinierend.“
Matchball: Der Ball hoch in der Luft. Der Arm mit dem Schläger weit ausgeholt. Die Augen nach vorne gerichtet, der ganze Körper: angespannt wie eine Feder. Einen Tennisspieler im hochkonzentrierten Augenblick des Aufschlags nimmt das Foto von Brad Walls ins Visier. Und zeigt die durchchoreografierte Schönheit und seine komponierte Symmetrie.
Die vietnamesische Fotografin Hua Shang (von ihr ist das Bild der Flamingos über dem Natronsee) verzichtet jedenfalls auf ferngesteuerte Spielereien – und befördert sich lieber selbst in luftige Höhen. Im Hubschrauber fliegt sie dazu manchmal niedrig über das Landmotiv ihrer Wahl, dafür aber in voller Geschwindigkeit. Dann wiederum blickt sie aus 2.000 Meter Höhe und mit 60 Grad Neigung auf die Welt – gehalten einzig von einem Sitzgurt. Abenteuer-Feeling vom Feinsten.
„Luftfotografie erlaubt dir, zu fliegen wie ein Vogel“, sagt sie über den Reiz ihres Metiers im Vergleich zur bodengebundenen Fotografie. „Und wenn der Körper so frei durch die Lüfte fliegt, dann ist auch dein Herz frei.“ Ihr Leben als Fotokünstlerin beschreibt sie als „hard and happy“: glücklich, aber von Anstrengungen gezeichnet. „So lange ich jedoch den fotografischen Impuls verspüre und die Leidenschaft, etwas zu kreieren“, so Hua Shang, „kenne ich keinen Hunger und keine Müdigkeit.“
Fotografie gegen Liebeskummer
Einen Zugang, den auch Khan Phan Thi mit ihr teilt. Auch sie aus Vietnam, auch sie eine Frau. Noch dazu eine mit einem gebrochenen Herzen. Nach einer gescheiterten Ehe schien sie allen Glauben ans Lebensglück verloren zu haben. Doch dann kaufte sie sich eine Kamera. Erst begann sie die Blumen im Park zu fotografieren, bald jedoch war sie im ganzen Land unterwegs. Der Kummer verflog. „Die Fotografie hat mein Leben verändert“, so Khan Phan Thi, „sie hat mich durch schwierige Zeiten begleitet und ist heute meine einzige Freude.“
Was sich im ersten Moment so drastisch anhört, ist der ehrliche Ausdruck der Lebensumstände der 35-Jährigen. Ihre Liebe zur Fotografie setzte sie gegen mehrere Widerstände durch. Zum einen gegen den Willen ihrer Familie. Ihre Mutter machte sich große Sorgen um ihre Gesundheit: Schließlich sei es gerade nächtens, wenn Überfälle auf Leib und Leben blühen, in ihrem Land höchst gefährlich, sich auf die Jagd nach aufregenden Motiven zu begeben. Zum anderen ist eine Frau, die alleine ihren Weg geht, in den patriarchalisch geprägten Strukturen Vietnams immer noch eher eine Alleinkämpferin. Ihre kreative Leidenschaft verfolgt Khan Phan Thi dennoch tapfer weiter – selbst als Alleinerzieherin mit kaum Freizeit und einem mageren Einkommen von 600 Dollar im Monat.
Buckelwal
So verschieden die Lebensumstände und Antriebe der ausgezeichneten Fotografen auch sein mögen: Sie alle eint Geduld, Hingabe, Ideenreichtum. „Für mich ist ein Bild dann erfolgreich“, so der für sein Buckelwal-Foto ausgezeichnete Albert Dros, „wenn es den Moment, in dem es aufgenommen wurde, an den Betrachter weitergibt.“ Was zählt, sei die Unmittelbarkeit. „Wenn du das Gefühl hast, du wärst dabei gewesen – selbst nur ein kleines bisschen –, dann war mein Foto ein Erfolg.“ Hoch wie nie, doch voll dabei.
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