Es ist so schön langweilig. Pfff. So wunderbar klein. „Kaliméra“, sagt der erste Wirt auf der Hafenpromenade. Guten Morgen, sagen viele andere, wenn man die Reihe an Kaffeehäusern und Lokalen auf dem Weg zum Bäcker abschreitet. Schnell ist man bekannt. Pfff. Keine Action, keine großen Attraktionen hier in Kastellorizo (auch Kastelorizo), der östlichsten bewohnten Insel Griechenlands. Oder doch?
Pffff macht es immer wieder im Wasser. Eine Schildkröte mit grün bewachsenem Panzer hebt ihren Kopf. Nicht eine, 50 sind im Wasser unterwegs. Manche Besucher füttern sie, weil sie so lieb ausschauen. Ein besonders kapitales Exemplar lässt sich sogar streicheln. Was nicht zu empfehlen ist – es kursieren Berichte, dass Touristen dabei gebissen wurden.
Ansonsten hält sich die Aufregung auf der Insel mit 300 Einwohnern wirklich in Grenzen. Es ist einfach nur schön hier, wenige Kilometer von der türkischen Küste entfernt. Das kristallklare Wasser, die bunten Häuser, die frischen Fische, die am Abend auf den Tellern landen. Es wundert nicht, dass Pink-Floyd-Chef David Gilmour hier die Muse zum Solo-Album „On the Island“ küsste.
Das erste Stück darauf, das für einen Grammy nominiert war, heißt Castellorizon. Wer mit dem eigenen Segelboot kommt, kann vor den Gasthäusern ankern. Wo angelegt wird, wird gegessen. Der Wirt hilft, der Wirt macht das Geschäft. Die Segel- und Motoryachten von außen zu betrachten, kann auch eine Beschäftigung sein, für Menschen, die mit der Fähre angereist sind.
Apropos Schiff: Wer dem süßen Nichtstun auf der Insel, die amtlich Megísti heißt, kurz entfliehen will, kann sich eines der Bootstaxis schnappen und auf eine andere, noch kleinere Insel fahren. Ganz Sportliche schwimmen hin. Hier, auf St. George, ist das Wasser noch einmal klarer und türkiser. Hier stehen eine Taverne, die Liegestühle vermietet und eine Kapelle. Der orthodoxe Priester des Ortes lässt sich gerne mit Begleitung hierher bringen. Er geht nicht zur Kapelle, sondern isst einen griechischen Snack im Lokal. „Kalí órexi“, sagt der Priester. Und nickt beim Guten-Appetit-Wünschen den anderen Gästen zu.
Tolles Schnorchelrevier
St. George hat – außer dem Gasthaus und den Schirmen – noch einen Vorteil: Es lässt sich wunderbar rundherum schnorcheln. Zwischen bizarren Felsformationen schwimmen die Fische. Was ist das unter dem steinernen Bogen? Zwei Rotfeuerfische? Hier kann sich der Puls – das einzige Mal im Urlaub – doch erhöhen. Sie sind giftig und gehören eigentlich nicht ins Mittelmeer, sie sind aus dem Roten Meer eingewandert. In den vergangenen Jahren hat sich ihre Population vervielfacht. Beobachten, nicht angreifen, auftauchen, durchatmen – und vielleicht auf einen Snack ins Lokal gehen.
Blaue Grotte
Irgendwann ist genug entspannt: Man nimmt sich ein Bootstaxi und fährt zur Blauen Grotte. Die ist um einiges größer als das berühmte Pendant auf Capri in Italien. Bevor es in die Höhle hineingeht, heißt es, sich flach ins Boot zu legen. Die Einfahrt ist klein und eng. Während Taxler Antonis gekonnt durchschippert und plötzlich Gas gibt, zieht nur knapp über der Nase die Felsendecke vorbei. „Listen“, sagt er immer – die Betonung auf dem T, bevor er zu erzählen anfängt. Die Höhle ist 20 Meter hoch, das Wasser 20 Meter tief. Wer sich traut, springt ins leuchtend schöne Becken.
Wenn die Wassertaxis am Abend weg sind, kommt eine Robbe zum Schlafen her. Es gibt hässlichere Plätze als diesen. „Listen, take pictures of me“, fordert Antonis die Gäste nach der Ausfahrt zum Fotografieren auf, „Tripadvisor“. Auch an Orten, wo sich wenig tut, zählt eine gute Bewertung im Internet.
Es gibt viele Möglichkeiten für Ausflüge. Auf die Plakes etwa, „Strände“ aus glattem Stein (andere gibt es nicht). Pfff. Auch hier schwimmen Schildkröten vorbei. Sonst bietet sich eine Tour in das nur wenige Kilometer entfernte Kas in die Türkei an, wenn es coronabedingt wieder geht – und es die zwischenstaatlichen Beziehungen zulassen. Oder auf die Insel Ro.
Dame hisste Fahne
Sie ist für die Griechen etwas Besonderes. Schon in der Schule hören die Kinder die Geschichte der Dame von Ro. Wer hierher will, muss dem Schiffskapitän seine Passnummer geben. Seewolf nennt er sich und lacht viel (und Österreich mag er auch. Er hatte eine Liebe in Salzburg). Doch der Ausflug hat einen gewissen Ernst. Die Insel ist militärisches Gebiet, rund um das Grab der Patriotin errichtet. Die Dame von Ro lebte alleine auf der Felseninsel, täglich hisste sie ab 1943 die griechische Flagge, um der Türkei Paroli zu bieten. Auch heute noch wird die Flagge gehisst.
Der Kommandant der Insel lässt die Besucher nicht aus den Augen. Fotografieren? Nur das Grab der Dame, nicht die militärischen Einrichtungen. Erzählen, dass Kas in der Türkei schön ist? Nur, wenn man einen bösen Blick des Kommandanten George ernten will. Ro ist schön, aber Kastellorizo ist doch gemütlicher. „Kaliméra“, sagt der Seewolf, als er am Abend an der Promenade vorbeigeht. „Morgen fahre ich mit einer Gruppe Damen nach Ro“, berichtet er. Das wird ein Hurra werden bei den Männern, ist man geneigt zu denken, während er seine Erzählung pausiert. „Die Jüngste von ihnen ist 70“, sagt der Seewolf und beginnt schallend zu lachen. Er verabschiedet sich und zieht weiter. Diesen Schmäh wird er noch öfter anbringen.
Der ewig schwelende Konflikt mit der Türkei ist latent präsent. Auf Kastellorizo steht eine Kaserne. Vor den Lokalen trinken Soldaten auf Ausgang geeisten Kaffee. Ihre Haare sind kurz, ihre Schnurrbärte prächtig.
Konfliktreiche Geschichte
Die Insel war stets umfehdet. Der Johanniterorden hat hier 1306 ein rotes Kastell gebaut (auf Griechisch: Kastellorizo), ein Jahrhundert später wollte es ein ägyptischer Sultan einnehmen. Der König von Aragón, Sizilien und Neapel ließ sich die Insel vom Papst überschreiben. Im 16. Jahrhundert fiel sie an die Osmanen. Sie gaben den griechischen Bewohnern Privilegien, die eine Handelsflotte gründeten.
Die Austrian fliegt im Sommer regelmäßig nach Rhodos. Von dort fährt die Fähre in wenigen Stunden nach Kastellorizo. Fähren legen aber auch in Athen-Piräus ab.
Coronabedingt ist vor der Einreise nach Griechenland das Ausfüllen einer Regis-trierung unter http://travel.gov.gr/#/ verpflichtend. Es gilt die 3-G-Regel (Stand August 2021).
Um 1900 war Kastellorizo reich und dicht besiedelt. Bis zu 20.000 Einwohner gab es um 1920. Im Ersten Weltkrieg besetzten Franzosen Kastellorizo, 1922 ging sie an Italien. Die Regierung war nicht beliebt, viele wanderten aus. Auch im Zweiten Weltkrieg war das Eiland schwer umkämpft, 1947 ging es an Griechenland. Die Einwohner wurden immer weniger, Häuser verfielen, die Insel war wie ausgestorben.
Seit einigen Jahren ist es wieder belebter. Griechenland investiert viel Geld in seinen Außenposten – auch weil es Ansprüche auf seine Hoheitsgewässer stellt. Menschen aus den großen griechischen Städten oder Italien kaufen Häuser und renovieren sie liebevoll. Das Leben ist gemütlich. Am Abend wird es ein bisschen turbulent. Die Menschen drängen sich an der Kaimauer. Pft pft macht es. Pft pft. Schon wieder eine Schildkröte? Wozu die Aufregung. Nein! Diesmal ist es ein Seehund. Elegant schwimmt er durch den kleinen Hafen. Das Essen schmeckt, zum letzten Mal.
„Kaliníchta“, sagt der Wirt. Gute Nacht. Antío sas. Auf Wiedersehen Kastellorizo. Es war so schön langweilig.
Tiere auf Kastellorizo
Ob Monachus Monachus (Mittelmeer-Mönchsrobbe) oder Caretta Caretta (Unechte Karettschildkröte): Die Tiere mit den Doppelnamen sind bei den Touristen sehr gerne gesehen.
Die Mittelmeer-Mönchsrobbe ist eine rare Schönheit, wer sie beobachtet, kann sich glücklich schätzen. Sie ist mit insgesamt etwa 500 geschlechtsreifen Individuen eines der seltensten Säugetiere Europas. In Kastellorizo ist vergangenen Oktober ein Robben-Baby auf die Welt gekommen. Die Familie – tagaktive Fischfresser – soll in der Blauen Grotte leben. Wenn die Touristen kommen, ist sie ausgeschwommen. Manchmal machen die Tiere einen Ausflug in das Hafenbecken der Stadt. Nicht so oft, wie die Unechten Karettschildkröten – in der EU eine streng zu schützende Art. Sie nisten auf der Insel. In der benachbarten Türkei gibt es viele Nistplätze der Tiere.
Unterwasser sind Seeschnecken, wie der Braune Seehase, oder Fische, wie der Flötenfisch, zu sehen. Letzterer ist erst seit Kurzem im östlichen Mittelmeer zu finden. Er ist wie der (beeindruckende, aber giftige) Feuerfisch eine invasive Art. Papageifische bringen Farbe in die Unterwasserwelt. Wer auf einem der zahlreichen Felsen Platz nimmt, kann auch Krebsen beim Herumkrebsen zuschauen.
Farbe in die Inselwelt bringen die vielen Katzen, die tolle Fotomotive abgeben. Aber Achtung: Sie sind eher verwildert.
Alexandra’s Restaurant: Eines der teureren Häuser rund um das Hafenbecken – die Preise sind aber immer noch moderat. Hier passt alles. Guter Service, nette Tische, gutes Essen. Das Tarama ist das beste, das es auf der Insel gibt.
Ta Platina: Diese Taverne liegt auf einer Erhebung. Es sind ein paar Stufen zu steigen, aber es zahlt sich aus. Es gibt keine Speisekarte, dafür ausgesuchte, griechische Gerichte. Wenn sie angeboten werden, unbedingt Kichererbsenlaibchen bestellen. So gut findet man die kaum wo auf der Welt. Und auch der geschmorte Oktopus ist grandios. Wie einfach alles an diesem Ort.
Billi’s Restaurant: Hier essen auch die Inselbewohner. Nicht ohne Grund: Der Junior-Chef kann Fische grillen. Und teuer ist es auch nicht.
Stratos Cafe: Hier gibt es sommerliche Drinks. Am Abend ist es voll. Bestellen Sie nur nie einen Martini-Cocktail. Sie werden keinen richtigen bekommen. Wie auf der gesamten Insel
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