Die Sehnsucht nach dem Garteln steigt in diesen zaghaften ersten Frühlingstagen mindestens so schnell wie die Temperaturen. Auch wenn es draußen noch frisch ist: Die Ungeduld, die Hände wieder in Blumenerde zu vergraben und das Wintergrau mit bunten Primeln zu verjagen, ist längst da. „Man spürt es, die Leute wollen in den Garten“, bestätigt auch Gartenbaugestalter Marcel Kreitl aus Gänserndorf, bei dem jetzt jede Menge Anfragen eintrudeln. Meteorologisch beginnt der Frühling am 1. März, astronomisch am 20. März. Da haben die ersten Frühlingsblüher, die gelben „Winterlinge“, schon längst ihren Blütenteppich neben den Krokussen ausgelegt.
Umfragen sehen in Österreich ein Land der Hobbygärtner. Unabhängig davon, ob Garten, Balkon oder nur ein Blumenkisterl zur Verfügung stehen. Gärtnern ist keine Frage der Möglichkeiten. Fast 75 Prozent der österreichischen Haushalte verfügen laut Statistik Austria über einen Außenbereich wie Balkon, Terrasse oder Garten. 19,7 Prozent des durchschnittlichen Haushaltsbudgets wird für Pflanzen und Zubehör ausgegeben. Das größte Gartenland ist das Burgenland, „Balkonien“ findet am ehesten in Salzburg und Tirol statt, sagt eine Umfrage der Agrarmarkt Austria. Doch nicht nur wo, sondern vor allem wie gegärtnert wird, spielt dabei eine große Rolle.
Eine Glaubensfrage
Denn Gärtnern ist auch eine Glaubensfrage, sie reicht von Wildwuchs und Laissez-faire bis zur Rasenpflege mit der Nagelschere. Inwiefern die Gartengestaltung einen Rückschluss auf die Psyche eines Menschen erlaubt, hat die deutsche Psychologin Christina Niedermann in einer Pilotstudie untersucht. Ihre Erkenntnis: „Die kreative Kombination unterschiedlicher Materialien wie Stein, Holz sowie verschiedener Pflanzen weist auf psychische Gesundheit hin.“ Diese sei nicht gegeben, wenn ausschließlich eines davon verwendet wird.
Gartenbauer Kreitl erzählt, dass es zuletzt einen Trend zu besonders viel Stein im Garten gegeben habe. Glücklicherweise stehe dem die zunehmende Tendenz zum Naturgarten gegenüber. „Die Leute wollen auf Chemie verzichten und den Garten als Lebensraum gestalten.“
Für nicht wenige ist der Garten gar eine Art Therapiezentrum. Gut erforscht ist, dass Gartenarbeit das Immunsystem stärkt und das Stressempfinden mindert. „Da reicht manchmal bereits ein Blick aus dem Fenster ins Grüne. Angst und Depressionen werden gelindert. Dahinter steckt unser angeborenes Bedürfnis, in der Natur zu sein. Das setzt eine Reihe an biochemischen Reaktionen in Gang“, sagt Niedermann. Zudem gibt es weniger Reize – kein Verkehr, kein Geschrei. „Das setzt das Aktivierungsniveau des Gehirns herab und man kann sich wieder besser fokussieren.“
Der Düsseldorfer Gartentherapeut Konrad Neuberger bezeichnet Gärten als „kleine Anker“, mittels derer sich Menschen mit der Erde verbunden fühlen. Ob ein Garten Rückschluss auf den Charakter des Besitzers erlaubt, beantwortet er mit der Anekdote eines Mathematikprofessors, der seinen Garten wie ein Schachbrett mit abwechselnd Pflanzen und Platten angelegt hatte. „Aber ich würde nicht jede Scheußlichkeit der Vorgärten auf deren Besitzer projizieren.“ Einen therapeutischen Effekt hätten auch hässliche Gärten, und zwar bereits beim Rasenmähen, „wenn danach wieder alles glatt und einheitlich ist.“ Generell sei ein Garten beruhigender, wenn die Pflanzen in Gruppen angelegt sind und nicht wild durcheinander wachsen.
Gärtnerische Staatskrise
Ob in Gruppen oder durcheinander: Hauptsache natürlich. Das liegt nicht nur im Trend, sondern ist auch klassisch englischer Gartenstil. Wie eine gewachsene Landschaft. Die französische Königin Marie Antoinette beschwor 1775 eine Staatskrise herauf, als sie einen Teil des Gartens von Versailles von französischer Geradlinigkeit auf englische Naturlandschaft umgestalten ließ.
Langfristig womöglich ein kluger Schachzug, um das politisch feindliche England zu schwächen. Denn die Liebe der Engländer zum Gärtnern könnte, räsoniert Historiker Robin Lane Fox, langjähriger Gartenkolumnist der Financial Times, für das Scheitern Englands als Industrienation mitverantwortlich sein.
Gärtnern habe viel mit Denken zu tun, schreibt Lane Fox in seinem Gartenbuch „Der Englische Gärtner“. Dennoch würden Denker oft geringschätzig darauf herabblicken, nicht zuletzt wegen der schmutzigen Hände. Seine Großmutter jedoch habe sich, als er nach Oxford ging, stets Sorgen gemacht, dass er „womöglich ein Professor“ werden könne. „Die Tätigkeit eines Gärtners hingegen war für sie immer etwas, für das sich der Einsatz lohnte.“
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