TikTok: Zehntausende machen bei Magersucht-Wettbewerb mit

In Österreich leiden rund 200.000 Menschen an einer Essstörung.
Auf der populären Video-App stellen vor allem junge Nutzerinnen ihre sehr dünnen Körper zur Schau – ohne Eingreifen der Betreiber.

Sie ist bunt und schrill, vertreibt die Zeit und wächst rasant: Die Rede ist von TikTok, einer chinesischen Video-App, die gleichzeitig ein soziales Netzwerk ist. Schätzungen zufolge tummeln sich dort derzeit um die 800 Millionen aktive Nutzerinnen und Nutzer – synchronisieren Musikclips, laden Tier- und Tanzclips hoch. Was auf den ersten Blick trivial wirkt, nimmt aktuell gefährliche Auswüchse an. Recherchen von Funk, dem Kinder- und Jugendportal von ARD und ZDF zeigen, dass sich Zehntausende – mitunter unter-zehnjährige – Nutzerinnen in der App an einem inoffiziellen Magersucht-Wettbewerb beteiligen.

Fast 40.000 Videos wurden demnach etwa allein zu einem Lied hochgeladen, zu dem meist Mädchen ihre äußerst dünnen Körper stolz präsentieren. Der dazugehörige Hashtag #Ed macht deutlich, dass sie an Magersucht erkrankt sind: "Ed" steht für "Eating disorder", also Essstörung.

Fragiler Selbstwert

Verschärft wird die Situation dadurch, dass derartige Videos binnen kürzester Zeit fast Hunderttausend Likes und damit eine enorme Reichweite erzielen. Dass sich das mitunter drastisch auf das Körperbild Heranwachsender auswirken kann, weiß Ursula Knell, Klinische Psychologin und Leiterin der Hotline für Essstörungen der Wiener Gesundheitsförderung: "Soziale Medien sind vor allem für junge Menschen ein normaler Bestandteil des täglichen Lebens. Sie haben daher unbestritten starken Einfluss. Vor allem in der vulnerablen Lebensphase der Pubertät, in der der Selbstwert noch instabil ist. Wenn man in dieser Entwicklungsphase solche Videos sieht, kann das erheblichen Einfluss auf die Selbstwahrnehmung und inneren Vorstellungen von Schönheit haben." Auch früher hätte es eine Beeinflussung durch die Werbung und Zeitschriften gegeben, "heute gibt es aber viel mehr Vergleichsmöglichkeiten, die junge Mädchen wie auch Burschen verunsichern können".

Glorifizierung von Essstörungen

Auch auf anderen sozialen Netzwerken ist die Glorifizierung von Essstörungen ein Thema. Wie verbreitet diese Praktik etwa auf Instagram ist, belegte vor zwei Jahren eine Studie der britischen University of Exeter. Forscher analysierten Fotos, die unter den Hashtags #thinspiration, #anorexia und #perfectbody geteilt wurden. Dabei offenbarte sich eine beträchtliche Anzahl bedenklicher Inhalte und Profile, die unterernährte Körper idealisieren.

Instagram sei aufgrund seiner enormen Reichweite mittlerweile gefährlicher als Pro-Ana-Foren. "Es ist schwierig, das eine gegen das andere aufzuwiegen und zu sagen, was mehr Schaden anrichtet. Der große Unterschied ist aber, dass man früher besagte Foren gezielt aufgesucht hat, während man heute mit derartigen Darstellungen überflutet wird", sagt Knell. Instagram hat vor längerer Zeit auf das Problem reagiert. Man verbannte die genannten Hashtags und tut dies auch mit neuen Stichwörtern. Sucht man die Hashtags #thinspiration oder #anorexia werden zudem Warnmeldungen und Beratungsangebote ausgespielt.

Vor Inhalten schützen

Dass die Betreiber von TikTok – hinter der Plattform steht ein Pekinger Unternehmen namens Bytedance, dessen Wert auf über 66 Milliarden Euro geschätzt wird – bisher noch nicht eingegriffen haben, kritisiert Knell: "Verbote sind nicht das Mittel erster Wahl, aber Kinder und Jugendliche müssen vor machen Inhalten einfach geschützt werden."

Eltern rät die Expertin, Kinder bei den ersten Schritten auf besagten Plattformen zu begleiten und entsprechend aufzuklären – "und auch darüber nachzudenken, wie man über Äußerlichkeiten oder Körperformen spricht und damit sein Kind beeinflusst". So können junge Mädchen und Burschen ein gesundes Selbstbild und Resilienz entwickeln.

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