Taktvoll durch die Pandemie: Tipps für die Manieren in fünf Lebenslagen
"Manspreading" – wenn Männer in der Öffentlichkeit extrem breitbeinig und unnötig raumgreifend dasitzen – hat dank Corona ein ärgerliches Pendant gefunden: "Mensblocking", so könnte man das derzeit des Öfteren zu beobachtende Phänomen nennen, wenn Passanten – meist Männer – schlendernd den gesamten Gehsteig blockieren. Und bei Gegenverkehr keinerlei Anstalten machen auszuweichen. Auch die ein oder andere ältere Dame mit Hund macht trotz Ausweich-Pflicht nur ungern Platz.
Aus dem Weg statt anstecken
Rücksichtsvolles und vor allem rechtzeitiges Ausscheren ist angesichts des Virus aus gesundheitlicher Sicht geboten: Wenn jemand in Bewegung atmet, niest oder hustet können infektiöse Partikel in der Luft zurückbleiben, postulierten Forscher in einer unlängst erschienenen Untersuchung. Entgegenkommende Passanten könnten durch die Tröpfchenwolke kreuzen.
Auch in anderen Lebensbereichen verleitet die Ausnahmesituation dazu, das korrekte Benehmen zu vernachlässigen. In öffentlichen Verkehrsmitteln genauso wie im Supermarkt oder Homeoffice. Wie jeder Einzelne mit Höflichkeit, Stil und Etikette seinen Beitrag zum respektvollen Miteinander leisten kann, kommentiert Dieter Chmelar auf humorvolle Art aus dem Leben – dazu gibt's Tipps von Thomas Schäfer-Elmayer.
Bei Begegnungen
Dieter Chmelar: Begegnungen in freier Wildbahn
Begegnungen Das Sportlichste, das meine Jogginghose je erlebt hat, war der Schleudergang in der Waschmaschine. Insofern bin ich keine Gefahr für andere freiwillig im Freien willig vor sich hin Trabende. Schlimmer als Mitläufer, wenn man alleine sein will, sind die Mitläufer an der Leine oder – noch schlimmer – die Vierbeiner aus der BELL Etage ohne Leine. Mein Favorit als Anekdotengräber ist jene Begegnung in freier Wildbahn, die mir Joggerin Angelika H. (Name der Redaktion bekannt) von ihrem Rundkurs durch einen Park schilderte: "Da verfolgte mich ein Hund. Sein Besitzer rief mir aus Entfernung zu: 'Keine Angst, das is ein Weiberl!'", worauf ich zurückgab: "Ich hatte eher Angst davor, GEBISSEN zu werden!"
Thomas Schäfer-Elmayer: Höflichkeit schützt
Bei Schönwetter strömen die Menschen in Scharen nach draußen. Im urbanen Raum artet das in Naherholungsgebieten nicht selten in Gedränge aus. Höfliches Ausweichen kommt da oft zu kurz, weiß Experte Schäfer-Elmayer: "Aufmerksamkeit und Achtung sind einige der Säulen des guten Benehmens und der Höflichkeit, die das Zusammenleben erleichtern. In dieser Krise schützt Höflichkeit zudem vor Ansteckung und sollte daher im eigenen Interesse jedes Menschen liegen." Schäfer-Elmayer weiß auch aus seinem eigenen Alltag zu berichten: "Wenn möglich, weiche ich selbst aus – der Klügere gibt hier nach. Gibt es keine Ausweichmöglichkeit, so wende ich mich oder nur mein Gesicht von der Gruppe ab. Manchmal bleibe ich stehen und rufe ‚Bitte, ein Meter Abstand!‘. Wobei ich versuche, dies mit einem möglichst freundlichen Lächeln zu verbinden."
In den Öffis
Dieter Chmelar: "Helfgott!" vom Niesenden
Es kommt nicht von ungefähr, dass schon lang vor Corona-Zeiten das Schild "Dieser Zug wird Video-überwachz" durch wohlmeinende Vandalen um das "V" und das "i" verringert wurde. Die alte lateinisch-olfaktorische Empfehlung "In dubio pro deo" ist selbstverständlich nicht annähernd so ruchlos wie die "Direktübertragung" möglicherweise fataler, wenn nicht gar letaler Viren. Mittlerweile scheint es mir angemessen, dass nur der, der niest, den Umstehenden "Helfgott!" zu wünschen hat. Ich erinnere mich an eine prallvolle Bim zur Stoßzeit. Eine Dame beschwerte sich: "Wer drängelt denn da hinten so?" Darauf ein Mann: "Gnä’ Frau, wos nutzt Ihna des, wanns mein’ Namen erfahren?"
Thomas Schäfer-Elmayer: Geduld und Disziplin
Zwischen Haltegriffen und U-Bahn-Sitzen lässt sich mehr über gute Manieren lernen als in so manchem Benimm-Kurs: "Niesen und Husten gilt es weg von anderen in den Ellenbogen zu lenken. Mehr Geduld und Disziplin sind außerdem von allen gefordert. Lassen wir Abstand, auch wenn das mehr Zeit kostet. Die ohnehin üblichen Regeln, wie erst aussteigen lassen oder für Schwächere Platz machen, werden aktuell für alle zu Gesundheitsregeln", sagt Schäfer-Elmayer.
Im Supermarkt
Dieter Chmelar: Kampfschreie an der Kassa
Zum Supermarkt fallen mir spontan zwei Dinge ein: Erstens halte ich den Markt nicht für super (vor allem den, der angeblich "alles regelt", was aktuell milliardenschwer widerlegt wird) und zweitens denke ich dabei an die strapazierte politische Phrase, jemand hätte sich "Wie in einem Selbstbedienungsladen" aufgeführt. Das ist ein schiefes Wortbild, denn in jedem Selbstbedienungsladen, in dem ich mich jemals befand, musste ich die an mich geraffte Ware bezahlen. Sonst wäre ich verhaftet worden. Mein Lieblingsgegenstand ist der Kassenlaufbandtrennstab, der mittlerweile dimensional verdreifacht, längs aufgelegt und bei Berührung mit leichten Stromstößen zu versehen wäre. Das Ben Hur-artige Wagenrennen unter blutrünstigen Kampfschreien ("Zweite Kassa!") ist mir seit Kindertagen ein Gräuel.
Thomas Schäfer-Elmayer: Herzliches Shoppen
Der Einkauf im Supermarkt avanciert für viele zum letzten Abenteuer des Alltags. Da ist Gehetztheit vorprogrammiert. Auch in der Einkaufswelt hat laut Elmayer der höfliche Umgang Vorrang: "Leider wird unsere Mimik durch die Gesichtsmasken weitgehend versteckt. Der freundliche Ton, die lachenden Augen und ein paar anerkennende Worte, zumindest Grüßen, Bitte und Danke, gehören
sich immer – in diesen Zeiten aber besonders."
Zur Begrüßung
Dieter Chmelar: Mit einem Lächeln erreicht man mehr
Gesellschaftlich am erfolgreichsten, sagte (jedenfalls so ungefähr) Voltaire, ist gutes Benehmen und schlechte Bildung. Man kann einem Menschen auch die Tür aufhalten, nur, damit er endlich verschwindet. Und es soll Bankräuber gegeben haben, die mit vorgehaltener Waffe artig "Bitte" zum Kassier sagten (oder, falls Hobby-Kabarettisten: "Tschuldigen Sie, können Sie mir eventuell auf 9 Millimeter rausgeben?"). Vom legendären Gangsterboss Chicagos der 1930er, Al Capone, wird der Merksatz überliefert: "Mit einem Lächeln und einer Pistole erreicht man mehr als nur mit einem Lächeln." Manieren sind nicht alles, aber ohne Manieren sind wir alle nichts.
Thomas Schäfer-Elmayer: Soziale Gesten
Klassische Begrüßungsrituale sind seit Wochen tabu. Einschätzungen von Experten lassen vermuten, dass uns hygienischere Alternativen länger begleiten werden: "So sehr wir traditionelle Begrüßungs-, Umarmungs- und sonstige soziale Gesten vermissen, die Gesundheit hat Vorrang. Darauf zu verzichten ist angesichts der Lage Ausdruck von zeitgemäßem Anstand. Blickkontakt, Lächeln oder eine höfliche Verbeugung sind heute schon gewohnte Begrüßungsbotschaften. Grüßen ist ein elementarer Bestandteil unserer Kommunikation. Andere Begrüßungssignale, etwa dem aus Ländern wie Indien entlehnten 'Namaste', bringen oft Humor in diese neue Situation. Auch wenn – oder gerade weil – sie bei uns unüblich sind." Und wie hält der Gentleman in Zeiten von Corona die Tür auf? "Wenn ein Herr einer Dame die Türe aufhält, kann der Abstand fast immer problemlos eingehalten werden. Die Dame sollte ihm nur genügend Zeit dafür geben, sich aus der 'GefahrenzoneÄ zu begeben."
Im Homeoffice
Dieter Chmelar: Ein Widerspruch in sich
Bis vor wenigen Wochen hielten, so meine kecke Behauptung, 90 Prozent aller Österreicher das Wort "Homeoffice" rein phonetisch für einen Satzbestandteil, etwa in der Feststellung: "Die meisten Fuaßboller hom O-Fiaß." Wenn es denn diesen Superlativ gäbe, tun mir all jene (mehrheitlich Männer) am leidesten, die ihren Partnerinnen über Jahre hin beschieden: "Des moch i, wenn i amoi Zeit hob ..." Homeoffice ist ein Widerspruch in sich – was jetzt: Home oder Office? Wer hat bei der Erfindung an Mitbewohner – vom Nachwuchs über Angetraute bis hin zu Haustieren – gedacht? Und: Sind Mobbing und Alkohol im Homeoffice Kündigungsgründe, für Partner, Kinder und Hunde?
Thomas Schäfer-Elmayer: Digitaler Dresscode
Während die Gesellschaft auf Abstand geht, erfreuen sich Videokonferenz-Tools noch nie da gewesener Beliebtheit. Beim privaten Plausch per Skype oder Zoom ist so gut wie alles erlaubt. Bei beruflichen Videocalls gelten andere Maßstäbe: "Der Dresscode Business Casual ist meist angesagt, wenn ich meine berufliche Kommunikation von meiner Wohnung aus vornehme. Ein gepflegtes Äußeres finde ich gerade in dieser Situation besonders empfehlenswert." Lärmende Kinder, der Partner, der bei einer wichtigen Videokonferenz unachtsam durchs Bild marschiert: Störquellen lauern zu Hause überall. "Eine ungestörte, professionelle Besprechung lässt sich natürlich konzentrierter und effizienter in einer ruhigen Umgebung erledigen. Aber etwas Toleranz ist auch von Geschäftspartnern zu erwarten, wenn es nicht vollkommen zu vermeiden ist, dass Familienangehörige zu sehen sind."
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