Spaß am Sex: Eine Frage der Einstellung. Und der Stellung.
Man nannte ihn „Dr. Sex“. Alex Comfort, britischer Arzt, Autor, Poet, Pazifist und Aktivist. Heuer wäre er 100 Jahre alt geworden. Doch man erinnert sich kaum an seine Romane, Dramen, Gedichte oder wissenschaftlichen Arbeiten. Im kollektiven Gedächtnis ist sein Name ausschließlich mit einem Buch verbunden: „The Joy of Sex“. Vor knapp 50 Jahren erschien der „Gourmet Guide to Love Making“, wie's im Untertitel so schön hieß.
Und auch wenn uns heute die Federzeichnungen des Illustrators brav erscheinen: Das war damals schon eine handfeste Revolution, die das globale Biedermannsdorf ins Wanken brachte.
Ein Leitfaden für besseren Sex, eine Anleitung für mehr Spaß im Bett? Das war in den 70ern, wenn man jetzt einmal von Pärchen, die in bunt bemalten VW-Bussen lebten und Fransenjacken trugen absieht, doch eine richtige Sensation. Über Günther Hunolds „Schulmädchen Report“, der 1970 als Aufklärungsbuch und -film getarnt, den Voyeur im freundlichen Herrn von nebenan bediente, wollen wir hier den gnädigen Mantel des Schweigens breiten.
Das berüchtigte Kamasutra wiederum wurde doch nur von ethnosozial interessierten Hobbywissenschaftern zu Forschungszwecken angeschafft und streng unter Verschluss gehalten. Oder?
„Über Sex wurde vor 40, 50 Jahren einfach nicht gesprochen. Und höchstens heimlich gelesen. Wenn’s im Bett nicht geklappt hat, hat’s eben nicht geklappt. Und das ging meist auf Kosten der Frau“, erklärt Beatrix Roidinger, Sexualberaterin und klinische Sexologin in Wien.
Guter Sex für eine bessere Welt
Genau dagegen kämpfte Alex Comfort mit ebenso großem Einsatz an wie gegen die von ihm verabscheuten Atombomben und jegliches andere Kriegsmaterial. Sein Credo: Sexuell Glückliche brauchen keine Konflikte. „Krieg ist was für Tölpel“, sagte er.
Sein legendärer Leitfaden zum Spaß am Sex verkaufte sich mehr als 20 Millionen Mal, wurde in 20 Sprachen übersetzt. Vielleicht sollte uns das Hoffnung geben. „Es war ein wichtiger Anfang“, sagt Beatrix Roidinger, „weil man seine Wünsche auch artikulieren sollte. Und das ist in einem System des Schweigens doch sehr schwer.“
Das Schweigen wurde gebrochen. Auch dank Comforts Buch, das lässig im Bücherschrank zwischen dem Klimt-Bildband und John Updikes pikanten Betrachtungen des Sozialverhaltens der amerikanischen Ostküstenmittelschicht seinen Platz fand. 2008 kam es zu einer aktualisierten Version, in Zusammenarbeit mit der Psychologin Susan Quilliam.
Sex wird gesellschaftsfähig
Und schön langsam tat sich wirklich was. Beate Uhse wurde nach und nach gesellschaftsfähig, die legendäre „Dr. Ruth“ Westheimer hatte ab 1980 einen fixen Sex-Talk-Sendeplatz in den USA, Lilo Wanders sprach im deutschen Privat-TV über „Wa(h)re Liebe“, Ernest Bornemann dozierte an der Salzburger Uni über Sex in allen Ausformungen, die peinlichen Dr. Sommer-Storys in der Bravo wurden abgelöst durch Aufklärungsbücher wie „Make Love“ (2012) der dänischen Psychologin Ann-Marlene Henning, die nur zwei Jahrzehnte zuvor undenkbar gewesen wären.
„Heute ist zum Glück viel mehr möglich“, sagt Beatrix Roidinger, „wir dürfen ausprobieren, Dinge in Frage stellen, darüber sprechen. Wir können heute jede Seite ausleben, die wir in uns haben – und das ist eine wirklich tolle Errungenschaft.“ Aber? „Ganz viele Leute haben echt ganz schlechten Sex“, sagt die Sexualtherapeutin sachlich.
Leistungssport?
Warum das so ist, erklärt sie natürlich auch schlüssig. Zum Einen ist es gerade der Overflow an jederzeit verfügbaren sexuellen Inhalten, der uns verunsichert. Bin ich groß, geil, experimentierfreudig genug, warum reagiert „sie“ darauf nicht so wie die Frauen im Film, warum kann „er“ nicht so lange – die Möglichkeiten des Nichtentsprechens sind endlos. Probleme, die für die ganz Jungen, die oft Pornos konsumieren, bevor sie das erste Mal Händchen halten, besonders akut sind. Aber durchaus auch auf Menschen einwirken, die prinzipiell genug Lebenserfahrung haben sollten. Einfach weil die gezeigten Bilder so stark sind, weil man, ganz ähnlich wie bei Werbefilmen, von denen man auch weiß, dass sie uns manipulieren sollen, ihnen ohne es verhindern zu können „glaubt“.
Und zum Anderen stecken wir auch 50 Jahre nach „Joy of Sex“ in einer unsäglichen Sprachlosigkeit fest, die unser beziehungstechnisches Miteinander seit Generationen so mühsam macht. „Wenn er mich liebt, muss er wissen, was mich erregt. Nur wenn der andere ohne Worte herausfindet, was man braucht, ist es gut“, erklärt Beatrix Roidinger die orgiastische Sackgasse, in der wir uns befinden. „Nein, muss er nicht, und sie auch nicht“, gibt sie auch gleich die Antwort. „Denn unsere Bedürfnisse stehen nicht auf unserer Stirn geschrieben. Wenn's mal einfach so klappt, ist es super und schön, aber sich darauf zu verlassen oder es einzufordern, bringt uns nicht weiter.“
Die Hauptsache: Spaß am Sex!
Das Wichtigste, um wirklich „Joy of Sex“ zu erleben? „Wir müssen unsere eigenen Bedürfnisse erst einmal selbst kennenlernen! Viele Klienten, vor allem Frauen, haben auf die Frage, was sie denn selbst mögen, was ihnen Freude macht, sie erregt, keine Antwort. Das soll er machen – ist noch immer eine weit verbreitete Einstellung“, erklärt die Sexualtherapeutin.
Und genau hier muss sich etwas ändern. Wissen, was man will. Lernen, es auch zu artikulieren. Aber auch auf ein Nein nicht beleidigt reagieren. Das sind laut Beatrix Roidinger die Eckpfeiler für guten Sex. Und damit auch für einen erderschütternden Orgasmus. „Den kann man lernen. Wie guten Sex auch. Das ist keine Zauberei.“
Was uns hoffnungsvoll stimmen sollte: All die Paare oder Singles mit schlechten Erfahrungen und Problemen auf dem Weg zum Höhepunkt, die heute zu Experten und Therapeuten wie Beatrix Roidinger gehen, hätten, als vor 50 Jahren „Joy of Sex“ erschien, niemanden gehabt, dem sie sich anvertrauen hätten können. In Wahrheit wären sie gar nicht auf die Idee gekommen, zu einem Therapeuten zu gehen, weil es eben so ist, wie es ist. Wenn's im Bett nicht klappt, dann klappt's eben nicht. Dann ist erstens ohnehin „sie“ schuld, und zweitens spricht man darüber nicht, außer, um sich bei den Kumpels über Frauen an sich zu beschweren ...
Und so gesehen, sind wir heute eigentlich schon ganz schön weit. Der Höhepunkt kann jederzeit kommen!
Mag. Beatrix Roidinger arbeitet als Sexualtherapeutin in Wien: paarberatung-sexualberatung.at
TIPPS; TRICKS & TRENDS
Lesen, feiern, ausprobieren: Sex für jede Lebenslage
Sexpositiv – Eigentlich ein Begriff aus dem Feminismus (Gegenströmung zur Anti-Porn-Bewegung der 1970er), hat sich der Name für einen aktuellen Party-Trend etabliert. Zwischen BDSM und Gänseblümchen-Sex ist auf diesen Events alles möglich. Der Unterschied zu althergebrachten Swinger-Clubs ist neben dem Hipness-Faktor die explizite Offenheit für alle sexuellen Ausprägungen und Spielformen. Hetero, Gay, Transgender – jeder hat hier Platz.
www.omgyes.com – Wie komme ich zum Orgasmus, welche Techniken gibt es überhaupt, was turnt mich an? 2.000 Frauen zwischen 18 und 95 wurden befragt und geben nicht nur Auskunft, sie zeigen ihre Lieblingstechniken auch vor.
Make Love – Vor acht Jahren erschien der Bestseller der dänischen Psychologin Ann-Marlene Henning. Sie geht unverkrampft auf häufig gestellte Fragen ein und interviewte junge Paare, die sie in Berlin auf der Straße angesprochen hatte, zu ihrer Sexualität. Viele von ihnen ließen sich danach zur Veranschaulichung auch fotografieren. Pflichtlektüre für (junge) Männer sollte ihr Buch Männer. Körper. Sex. Gesundheit, das vor zwei Jahren erschienen ist, sein.
Komm, wie du willst – Die amerikanische Psychologin Emily Nagoski hat vor fünf Jahren ein absolutes Standard-Werk zur weiblichen Sexualität geschrieben. Eines, das sich auch Männer genauer anschauen sollten.
Lingam-Massage: Entdecke die Quellen männlicher Liebeslust – Ein Klassiker der Pädagogin und Tantra-Massage-Meisterin Michaela Riedl. Gibt es natürlich auch für Frauen.
Sex & Achtsamkeit – Die eigenen Bedürfnisse UND die des Partners wahrnehmen und darauf eingehen. Ein Ratgeber für „sie“ und „ihn“
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