Kunst mit scharf: Star-Fotograf Tony Kelly im Interview
„Erotisch?!“ Tony Kelly wirkt überrascht, mit einem Wort wie diesem in Verbindung gebracht zu werden. „Ich beschäftige mich eigentlich nicht mit Erotik“, fährt der Starfotograf fort, „WENN meine Bilder tatsächlich erotisch sind, dann ist das höchstens ein Nebenprodukt ... Viel hängt natürlich auch von der Interpretation des Betrachters ab, also wenn Sie etwas erotisch finden, dann ...“ Tony Kelly lächelt unschuldig.
Der Ire wurde mit durchkomponierten fotografischen Inszenierungen weltberühmt, die durchaus an den großen Helmut Newton erinnern. Aber in knallige 80s-Farben getaucht. Sein eigenwilliger Stil hat ihm früh den Titel eines „jungen Newton“ eingebracht. Stört ihn das? „Keinesfalls! Helmut war ein wahrer Meister.“ Tony Kelly lächelt nicht mehr, die Sache ist ihm 100-prozentig ernst. Er habe das große Glück gehabt, Newton persönlich kennenlernen zu dürfen, so erzählt Kelly, war auch einige Male in seinem Haus in Los Angeles zu Gast.
„Es ist tatsächlich die größte Ehre, die ich mir vorstellen kann, in einem Satz mit Helmut Newton genannt zu werden.“
Im Gegensatz zu Newton, der bei seinem ersten Job für die Singapore Times nach nur einer Woche wegen „Unfähigkeit“ entlassen worden war, hat Tony Kelly eine lange Karriere als klassischer Fotoreporter hinter sich. Reportagen, Crime-Storys – schließlich Kriegsberichterstatter in Afghanistan und in Ruanda. „Ich wollte alles kennenlernen, jede Facette des Fotografierens“, erklärt er. „Und das Rüstzeug, dass ich mir in diesen Jahren geholt habe, hilft mir heute noch.“
Gemeinsam mit einem erfahreneren amerikanischen Kollegen von der New York Times war er Ende der 90er-Jahre im heiß umkämpften Norden Afghanistans unterwegs, wo der „Löwe von Pandschir“ den Taliban erbitterten Widerstand leistete. „Erfahrungen, die man nicht vergisst. Du lernst, eine Situation sehr schnell zu lesen, das Wesentliche einer Szene, ihre Geschichte, einzufangen“, erinnert er sich an die Zeit.
Keine Kompromisse
Aber im Gegensatz zu seinem US-Kollegen, der „voll bei seinem Ding war, genau in seinem Element“, sah Kelly sich nicht für alle Zeiten als Reportage-Fotograf. „Ich will die Kontrolle. Ich will eine Geschichte erzählen, die ich selbst inszeniere.“ Schon als er noch für irische Tageszeitungen arbeitete, litt er darunter, keinen Einfluss darauf zu haben, was die Menschen anhatten, die er fotografieren musste. „Wenn ein rotes Kleid besser ins Bild passt, dann ist es eben so.“
Tony Kelly beim Shooting für das GQ Magazine:
Schon Jahre bevor er unter Beschuss der Taliban geriet machte Kelly erste Bekanntschaft mit der Modefotografie. Für das kunterbunte Klimbim auf der letzten Seite der Tageszeitung, für die er als 20-Jähriger arbeitete, wurden von den jungen Fotografen immer wieder regionale Models fotografiert. Gleich vor der Hauswand des Redaktionsgebäudes, keine große Sache. Aber Kelly fuhr die Models zum nahe gelegenen Strand. Es regnete. Sie machten Modefotos. „Es war herrlich“, sagt der Fotograf. „Du bist verrückt“, sagte sein Chef, als er dahinterkam, wo der Jungspund mit den schönen Mädels abgeblieben war. „Ja“, gab Kelly zu.
„Das ist so eine Sache mit den Kompromissen“, erklärt der Starfotograf, „Im Endeffekt hat niemand etwas davon. Von meiner Seite aus betrachtet, ist es so: Ich habe ein Ziel vor Augen. Ich bewege mich auf einer Straße, die genau dorthin führt. Jedes Mal, wenn ich einen Kompromiss eingehe, biege ich links oder rechts ab – und komme meinem Ziel um nichts näher. Im Gegenteil, ich bewege mich weg davon.“ Eine Einstellung, die Sinn macht, wenn man weiß, wo man hin will. Aber auch dann nicht ganz einfach durchzuziehen ist. Oder? „Nein, natürlich nicht. Man sollte aber dieses Bild vor Augen haben. Das Ziel – und die Straße, die hinführt. Als junger Mensch wird man natürlich öfter mal abbiegen. Aus Neugier – oder weil man muss, keine Wahl hat.
Ich hatte das Glück, in einer Zeit in der Modefotografie Fuß zu fassen, als die großen Magazine noch wie Bibeln gehandelt wurden. Aber Bibeln der Innovation, des Wagemuts. Vor 20 Jahren war so viel möglich, auch künstlerisch – wenn du zur richtigen Zeit beim richtigen Magazin warst."
Und heute? Tony Kelly seufzt ein wenig. „Diese großen Zeiten sind vorbei. Auch die glänzendsten Magazine kämpfen um Kunden, überall herrscht diese übergroße Vorsicht, man will nur ja niemanden vor den Kopf stoßen, verärgern – und deshalb ist Modefotografie heute sehr oft sehr, sehr langweilig.“ Macht also auch Tony Kelly heute Kompromisse? „Nein. Wer mich bucht, weiß, dass ich mir bei den Geschichten, die ich erzählen will, nicht dreinreden lasse. Und zum Glück bin ich als Künstler heute ziemlich unabhängig.“
Tony Kellys Bilder, auch hier kommt er Helmut Newton nahe, hängen längst in bedeutenden Galerien, erst heuer haben deutsche und amerikanische Wirtschaftsmagazine seine Originale als Top-Investition eingestuft. So kann man natürlich wählerisch sein, was die Auftragsarbeiten für Modehäuser und Magazine anbelangt. Gefragt ist der 47-jährige Ire: MAC, American Apparel, Mini Cooper buchen ihn, für Vogue und Vanity Fair ist er ein begehrter Image Creator.
Wie funktioniert das eigentlich: Geht man unterschiedlich ans Werk, wenn man Kunst machen will und wenn's um eine Kampagne geht? „Nein. Wer mich bucht weiß, dass es mir um die Story geht, nicht um die Mode oder das Accessoire. Das wird Teil meiner Geschichte.“ Gar kein Unterschied also? „Doch, wenn ich für mich fotografiere, weil ich mein Projekt realisieren will, kostet mich jeder Tag tausende Dollar.“ Klar, die besten Stylisten und Make-up Artists müssen bezahlt werden. Und die schönsten Models...
Fotografiert ein Starfotograf eigentlich gerne Stars? Er müsste doch einen besonders guten Zugang haben... „Nein, überhaupt nicht. Ich bin an Stars nicht interessiert, mache Shootings nur in Ausnahmefällen. Sie lassen sich fotografieren, weil ihr Agent ihnen sagt, dass es wichtig ist, nicht weil sie es wollen. Sie bringen der Story also nichts – im Gegenteil, je bekannter sie sind, desto mehr wird das Bild zu IHRER Geschichte. Nein, ich fotografiere gerne Profis, Super-Model oder nicht ist nicht so wichtig. Sie wissen alle, worum es geht. Mit einigen weniger bekannten Models arbeite ich seit Jahren, und es ist wirklich großartig, wie schnell sie verstehen und wie perfekt sie dann die kleine Story, die wir erzählen wollen, umsetzen.“
Frau am Steuer ...
Derzeit arbeitet Kelly an einer Fotoserie namens „Ladydriver“. Zu sehen sind schöne Frauen, die im sonnigen Kalifornien ihre fast so schönen Autos – was ist schon ein Ferrari im Vergleich zu einer Tochter der Venus?! – gegen Palmen und andere Hindernisse setzen, die gar nicht wirklich im Weg stehen. Frau am Steuer Ungeheuer? Das wird Ärger geben! „Nein“, sagt Kelly lachend, „ich habe einige der Sujets in Kalifornien an Kulturpolitikerinnen weitergegeben, die hatten keine Einwände.“ Der charmante Provokateur erklärt den Hintergrund der Bilder näher:
Es geht um die vielen hübschen jungen Frauen in L.A., die sich ,Sugar Daddys’ halten. Also ältere Männer, die ihre Apartments zahlen, ihren aufwändigen Lebensstil, ihr Nobelfitnesstudio, ihren Ferrari.“
Wenn die Mädchen dahinterkommen, dass sie nicht die einzigen Posten sind, die Mr. Spendabel von der Steuer absetzt, schnappen sie sich eines seiner Luxusgefährte und fahren es fröhlich lächelnd gegen die nächste Palme. Rache ist süß ... Eines dieser brandneuen Bilder soll auch bei seiner Wiener Ausstellung zu sehen sein.
Bekommt Tony Kelly eigentlich nie Ärger? Helmut Newton war ja des Öfteren unter Beschuss ob seiner Frauenbilder, wurde von Alice Schwarzer in ihrem Magazin Emma öffentlich an den Pranger gestellt. „Nein, noch nie“, sagt der Fotograf unschuldig. „Die meisten meiner Follower in den sozialen Netzwerken sind Frauen. Und im Endeffekt sind es in meinen Bildern doch auch immer die Frauen, die die Macht haben, oben auf sind. Die Männer bleiben nur Randfiguren. Frech, ja – aber immer mit einer richtigen Portion Ironie. Das war bei Helmut Newton nicht viel anders. Vielleicht wurde die Ironie manchmal nicht verstanden ...“
Tony Kelly macht eine kurze Pause. „Sehen Sie, meine Bilder sollen Freude machen. Wenn der Betrachter anfängt zu grinsen, weil sich die Story richtig entfaltet, dann bin ich glücklich. Ich bin Ire. Bei uns in Irland geht’s nicht darum, wer die dickste Brieftasche hat – sondern wer der Lustigste ist.“
Alles klar. Wir freuen uns auf die Ausstellung. Die wird nicht nur schön, sondern auch ein Riesenspaß.
Von 11. Oktober bis 23. November sind die großformatigen Bilder Tony Kellys in Wien zu sehen.
PREISS FINE ARTS, Bauernmarkt 14,1010 Wien MO-FR 10:00 – 18:30, SAMSTAG 11:00 – 16:00
www.preissfinearts.com
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