Soziologe: Die gesellschaftlichen Folgen der Maskenpflicht

Soziologe: Die gesellschaftlichen Folgen der Maskenpflicht
Manfred Prisching sieht die Maske als ständige Erinnerung an die gebotene Vorsicht.

Der Grazer Soziologe machte sich bereits 2009 in seinem Buch („Das Selbst, die Maske, der Bluff: Über die Inszenierung der eigenen Person“) Gedanken über das Verhältnis von Maske und Mensch. Im Interview erklärt er, wie die Schutzmasken unser Miteinander beeinflussen.

KURIER: Wir kennen Masken aus vielen Bereichen. Welche Bedeutung haben sie für den Menschen?

Manfred Prisching: Masken sind vielfältig: die rituellen Masken der Schamanen, die Masken von Schauspielern, die Verkleidungen im Karneval, die Vermummung von Tätern oder Einsatzkommandos, Masken beim Fechten oder beim Schweißen. Man trägt Maske, wenn man eine andere Figur repräsentieren will; wenn man seine Identität zum Ausdruck bringen oder verschleiern will; wenn man sich gegen Angriffe schützen will. Im aktuellen Fall der Maskenpflicht geht es zunächst um eine Funktion.

Die Maske vor Mund und Nase vermindert die Wahrscheinlichkeit einer Infektion, das ist epidemiologisch wichtig. Die Maske ist nur ein kleines Element im Paket des Krisenmanagements. Sie hat zudem aber eine symbolische Bedeutung, weil sie optisch auffällig ist.

Was macht es mit unserer Gesellschaft, wenn alle Maske tragen? Bekommt man womöglich Angst voreinander, wird die Distanz dadurch noch größer?

In jüngster Zeit hat es eine sonderbare Umkehr der Verhältnisse gegeben: Wenn jemand mit einer Maske aufgetaucht ist, haben die anderen ihn mit Misstrauen betrachtet und einen weiten Bogen geschlagen. Die Deutung war nicht: Er ist ungefährlich und sorgsam, weil er sich und mich schützt. Sondern vielmehr: Wenn er die Maske für nötig hält, muss er krank und gefährlich sein. Das wird sich durch die allgemeine Maskenpflicht ändern.

Angst war also vorher. Wenn alle Masken tragen, wird rasch ein Gewöhnungseffekt eintreten. Eigenartig wird das Gespräch, da wir gewohnt sind, Reaktionen vom Gesicht des anderen abzulesen. Und man darf weniger nuscheln. Ansonsten wird die Maske Teil einer neuen Normalität – wir sind ohnehin dabei, beträchtliche Teile unseres Alltagslebens auf längere Sicht zu modifizieren. Die Maske wird uns das Bewusstsein des „Ausnahmezustands“ vermitteln und uns wachhalten – eine ständige Erinnerung an die gebotene Vorsicht.


Viele machen die Maske nun zum Modeaccessoire, posten Fotos mit selbst genähten, bunten Modellen im Netz. Was steckt dahinter?

Die gängigen Masken sind standardisiert, alle schauen somit – ausgerechnet im Gesicht – gleich aus. Das widerspricht dem Selbstverständnis einer individualistischen Gesellschaft. Das Gesicht wird als Spiegel der Person angesehen, es wird geschminkt, rasiert, bepinselt. Wenn die Maske das „wahre“ Gesicht verdeckt, wird diese Individualität durch eine persönlich gestaltete oder ausgewählte Maske zum Ausdruck gebracht.

Ein Aspekt kommt hinzu: Die Buntheit ist Ausdruck von Leichtigkeit in bedrängten Zeiten. Optimistisch gestimmt könnte man sagen: Die bunte Maske ist ein Signal dafür, dass man sich nicht alles wegnehmen, eine Botschaft, dass man sich nicht unterkriegen lässt. Julia Pfligl

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