Kennen Sie Judas Thaddäus? Bassilissa und Korona? Vielleicht sagen Ihnen Petrus, Martin sowie die Erzengel Michael und Gabriel etwas – aber wissen Sie, wessen Fürsprecher sie sind? Oder ist Ihnen bekannt, dass sogar Journalisten einen eigenen Heiligen haben? Das Verzeichnis der Heiligen und Märtyrer umfasst tausende Namen und „Zuständigkeiten“. Werfen wir am heutigen Tag „aller Heiligen“ einen Blick darauf. Da lässt sich auch klären, warum die traditionellen Friedhofsbesuche gerade heute stattfinden, anstatt am darauffolgenden Tag, wo „aller Seelen“ gedacht wird.
Rupert Klieber, Kirchenhistoriker an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Uni Wien, macht für den Gräberbesuch praktische Gründe aus. „Der Brauch kommt aus der antiken Totenverehrung. Das hat sich auf den Allerheiligentag verlagert.“ Der 1. November wurde erst im 9. Jahrhundert Fixtermin dafür. In der katholischen Liturgie beginnt am Nachmittag, mit der Gräbersegnung, bereits das Allerseelenfest. Für Klieber passt das durchaus zusammen. „Als Gläubige hoffen wir, im Tod zu Gott und so zur Gruppe der Heiligen – im Sinne von geheilt – zu kommen.“
Ursprung Märtyrerkult
Die Heiligenverehrung geht bis ins Urchristentum zurück und entwickelte sich über die Jahrhunderte weiter. Der Märtyrerkult war der Beginn des Heiligenkults, weiß Klieber. „Die Christen der Anfangszeit waren stark angefeindet. Wer für seinen Glauben mit dem Tod einstand, wurde besonders verehrt. Man glaubte, dass sie sofort zu Gott gelangen und für die Zurückgebliebenen eintreten können.“ Im 4. Jahrhundert wurden erstmals auch Menschen, die etwas Besonderes geleistet hatten, verehrt – obwohl sie keine Märtyrer waren. Einer der ersten dieser Gruppe war Martin von Tours. Den meisten ist er heute wegen der Legende, in der er seinen Mantel mit einem Bettler teilte, bekannt. Und auch für das traditionelle „Martinigansl-Essen“ sowie die Laternenumzüge der Kinder rund um seinen Namenstag (11. November).
Bis ins 10. Jahrhundert wurden die Heiligen vom Volk gemacht, dann holte sich die Amtskirche die Oberhoheit. Klieber: „Es wurde formeller.“ Man institutionalisierte das Prozedere der Heiligsprechung (Kanonisierung) mit strengen Regeln – die heutige Form stamme aus dem 18. Jahrhundert. Die Zahl der Heiligen wird also nicht weniger und reicht daher längst über Urchristen oder mystische Figuren hinaus. Das 2004 aktualisierte Heiligenverzeichnis „Martyrologium Romanum“ umfasst mehr als 7.000 Personen. Besonders unter Papst Johannes Paul II. fanden viele Heilig- und auch Seligsprechungen statt. Spitzenreiter ist allerdings der aktuelle Papst Franziskus. Er sprach nicht nur seine Vorgänger Johannes XXIII. und Johannes Paul II. heilig, sondern auch die 1480 getöteten 800 „Märtyrer von Otranto“. Die Päpste haben ihren eigenen Heiligen – natürlich Petrus, den ersten Papst der Christen. Nach Lesart und Kirche unterscheiden sich die Zahlen der Heiligen sogar, erklärt Klieber. „Die russisch-orthodoxe Kirche zählt alle im Kommunismus Getöteten samt der letzten Zarenfamilie als Märtyrer.“
Für neue Berufsgruppen fanden sich ebenfalls immer Fürsprecher: Josef von Copertino gilt als Heiliger der Raumfahrer (weil er über die Fähigkeit zu schweben verfügt haben soll), über Flugbegleiter wacht Bona von Pisa (als Pilgerin reiste sie seit ihrer frühen Jugend) und Erzengel Michael (der mit dem Schwert) beschützt Fallschirmspringer. Man denkt gleich daran, dass es Michael war, der den gefallenen Engel Luzifer aus dem Himmel in die Hölle stieß. Für den Rundfunk ist die berühmte Jeanne d’Arc zuständig, und Heiliger der Radiosprecher ErzengelGabriel. Als Verkündiger der Frohen Botschaft an Maria, sie werde Mutter, scheint er dazu prädestiniert. Apropos: Maria selbst hilft Verirrten.
Direkt zu Gott beten
Heiligenverehrung ist in den evangelischen Kirchen nicht üblich. Man brauche keine Mittler zu Gott außer Jesus, so der Grundgedanke. Martin Luther sah die Heiligenverehrung überhaupt als unbiblisch an.
Gedenktag
Evangelische Christen gedenken der Heiligen für ihre Taten – am 1. November begehen sie den „Gedenktag der Heiligen“. An die Verstorbenen erinnern sie sich am „Totensonntag“ oder „Ewigkeitssonntag“ (1. Advent).
Mehrfachfunktionen
Dass Gabriel auch Patron der Postboten, Postbeamten und sogar der Briefmarkensammler ist, ist kein Kuriosum. Viele Heilige sind mehrfach beschäftigt. Laurentius etwa schützt Berufsgruppen, die mit offenem Feuer hantierten, darunter Köche, Bäcker und Schmiede. Ihn machte, wie oft üblich, „ein Teil aus der Biografie“ (Klieber) zum Fürsprecher einer bestimmten Gruppe. Bei Laurentius war es der Tod auf einem glühenden Eisenrost. Franz von Sales, der Schutzheilige der Journalisten, verteilte im 17. Jahrhundert Flugblätter, um die Menschen zum katholischen Glauben zurückzuholen. Gleichzeitig schützt er auch die Gehörlosen. Was mit dem Journalisten-Beruf vielleicht nicht ganz vereinbar ist.
Und weibliche Heilige? Gibt es natürlich: Apollonia wurden als Folter die Zähne ausgerissen, sie fungiert als Patronin von Zahnärzten und hilft bei Zahnschmerzen. Bassilissa schützt stillende Mütter, obwohl sie schon als Neunjährige starb. Was man so nicht erwarten würde: Korona hilft nicht nur in Geldangelegenheiten, sondern auch im Glücksspiel. Und: Prostituierte können Maria von Ägyptenanrufen.
Der Lieblingsheilige der Autorin ist übrigens der eingangs erwähnte Judas Thaddäus, zuständig für aussichtslose Fälle und schwierige Situationen. So einen Fürsprecher kann man schließlich immer brauchen.
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