Sollen wir uns zwischen Gräbern sportlich ertüchtigen?

Symbolbild
Zur Frage, ob man ausgerechnet auf dem Friedhof joggen soll, kommt diesmal eine ungewöhnliche Expertin zu Wort.

Der erste November gilt als wichtigster Feiertag für die Wiener, denen gemäß eines altbekannten Klischees nichts über eine schöne Leich’ geht. In Anbetracht der Tatsache, dass jedes Klischee ein Körnchen Wahrheit enthält, ist es also zumindest bemerkenswert, dass man ausgerechnet in Wien das Joggen auf dem Friedhof genehmigt hat.

Im Frühjahr hat die Städtische Friedhofsverwaltung beschlossen, die sportliche Ertüchtigung auf dem Zentralfriedhof nicht nur zu erlauben, sondern gleich zu institutionalisieren – mittels eigens beschilderter Routen. Um das Klischee weiter zu strapazieren: Neben schöner Leich’ samt ebensolcher Pompfüneberer gibt’s in Wien kaum was Wichtigeres als die heilige Ruh’. Ganz bestimmt deshalb hat man diesen seltsamen Fitnesstrend „Silent Run“ genannt.

Meiner Oma wäre es allerdings egal gewesen, ob hier „silent“, also leise, oder laut schnaufend gelaufen wird. Sie wäre auf jeden Fall dagegen gewesen.

In dieser Kolumne sollen Fragen an das Leben einerseits vom diensthabenden Kolumnisten, andererseits von einem Experten erläutert werden. Weil heute Allerheiligen ist, darf zum Thema der Fitness-Suche zwischen Gräbern nun meine Oma Stellung beziehen. Das ist aus zweierlei Gründen vernünftig: Erstens ist meine Oma am Zentralfriedhof begraben, also schon von Orts wegen Expertin. Andererseits war sie Kennerin einer überaus wichtigen Wiener Materie, nämlich dessen, was sich g’hört.

In der Straßenbahn pflegte sie Teenagern, die ihre Füße auf den gegenüberliegenden Sitzen abstützten, mit dem Schirm auf die Schuhe zu klopfen. Je nach Tagesverfassung mehr oder weniger streng. Die Teenager hatten großen Respekt vor ihr. Einerseits, weil sie wirklich respekteinflößend aussah. Andererseits, weil man damals vor alten Frauen Respekt zu haben hatte. Und natürlich war meine Oma, Sie erraten es, leidenschaftliche Verfechterin der heiligen Ruh’. Hätte sie also von der Schnapsidee des amtlich genehmigten Friedhof-Joggings erfahren, sie wäre schnurstracks, bewaffnet mit ihrem Schirm, ins Büro der zuständigen Stadträtin marschiert.

Nun soll in dieser Kolumne natürlich keine Empfehlung zum Handgreiflichwerden abgegeben werden. Jedoch gibt es nicht wenige Menschen, die meiner Oma recht geben würden und der altmodischen Ansicht sind, dass es Dinge gibt, die sich einfach nicht gehören.

Dazu zählt, zwischen Gräbern zu joggen. So findet etwa Jürgen Heimlich, Verfasser mehrerer Bücher über den Zentralfriedhof, die Suche nach Fitness zwischen Toten einfach „despektierlich“: „Soll dadurch die ,Attraktivität’ des Friedhofs erhöht werden, kommt hier irgendein ,Trend’ zum Tragen oder was ist der Hintergrund dieses Unfugs? Ein Friedhof erfüllt wichtige Aufgaben und hat kulturhistorische Bedeutung. ,Trends’ haben hier nichts verloren!“

Auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise ist Jogging übrigens explizit verboten. Was der dort begrabene Dichter Oscar Wilde zum Fitness-Trend in Grabes-Nähe gesagt hätte, ist dank folgenden Zitates unschwer zu erraten: Gar nichts tun, das ist die allerschwierigste Beschäftigung und zugleich diejenige, die am meisten Geist voraussetzt.

Ich weiß nicht, ob meine Oma wusste, wer Oscar Wilde war, aber sie hätte ihm bestimmt recht gegeben.

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