Happy Birthday! Stilikone Iris Apfel wird 99
Die Rache der Alten am Jugendwahn liegt tiefenentspannt auf ihrer Terrasse im sonnigen Palm Beach, hat die Augen geschlossen und einen Batzen Joghurt im Gesicht. Es ist Samstag und das heißt für Iris Apfel wie jede Woche: Schönheitspflege. Sie geht zum Kühlschrank, schnappt sich, was immer brauchbar erscheint, in diesem Fall ein Joghurt mit Olivenöl und Honig – es macht Klatsch, und bitte sehr, fertig ist die Gesichtsmaske.
„Wonderful“, schwärmte sie kürzlich gegenüber dem People-Magazin. Und während die Maske wirke, spendiere ihr ein Mitarbeiter zudem eine Pediküre, ein anderer eine Maniküre. Der ganz normale Alltag eines Supermodels? Könnte sein. Aber Iris Apfel ist weit mehr als das: Sie wird als Stilikone verehrt, schnappt Gigi Hadid und Kendall Jenner die besten Kampagnen vor der Nase weg – und wird am 29. August stolze 99 Jahre alt.
Gäbe es diese Frau nicht schon, man müsste sie erfinden. „Meine Philosophie ist: aus allem das Beste machen“, sagt Apfel. Das löst die flotte Seniorin nicht nur ein, wenn sie sich beautytechnisch am Tiefkühlfach orientiert. Das gilt in allen Lebenslagen. Pragmatismus gewinnt. Auch was ihr Alter betrifft. „Ich bin der älteste Teenager der Welt“ lautet einer der Glaubenssätze in ihrem Buch „Accidental Icon“. Grant ist ihr ein Graus. Sie will lieber neugierig bleiben, offen für Neues, staunen.
Berühmt wurde sie, da war sie 83
Und gestaunt hat sie nicht schlecht. Wessen Karriere erfährt in so späten Jahren schon noch so einen Kick? Schuld ist das Metropolitan Museum of Art. Das wollte 2005 eine kleine Schau mit Apfels Schmucksammlung veranstalten. Doch dann betraten die Kuratoren Apfels Apartment in New York. Und entdeckten eine Wunderkammer. Immer wertvollere Schätze förderten sie zutage. Ob Haute-Couture, chinesische Kleider oder tibetischer Schmuck: Die große Ausstellung, mit der sich das Met erstmals vor dem Stil einer Frau verneigte, die keine Designerin und noch am Leben ist, wurde ein großer Hit. Und Iris Apfel ein Star.
Eine Frau wie ein Farbklecks: Wild gemusterte Fransenjacken, wallende Kleider, edle Umhänge – alles von knallorange über giftgrün bis zu leuchtendem Türkis, so tritt Apfel auf. Gigantische Halsketten und stets eine Armada an Armringen komplettieren ihre Outfits, sehr gerne auch eine Federboa, lässig um den Hals drapiert: Die Amerikanerin ist eine jener Ausnahmen, bei der ein Zebralook nicht peinlich wirkt, sondern plausibel. Immer am Nasenrücken thronen ihre schwarzen Brillen, so groß wie Wagenräder, mit denen Apfel auf unsere graue, langweilige Welt blickt. Ihr Motto, so simpel wie genial: „More is more, and less is bore“ – mehr ist mehr, weniger ist langweilig. „Ich finde, Mode sollte Spaß machen“, so Apfel. Und hat sie nicht Recht?
Iris gibt es auch als Barbie
Spaß zu haben, an der Mode, am Leben, vollführt von einer reifen Dame – das war, worauf der Fashionzirkus wohl gewartet hatte. Bald warb Apfel für Citroën oder M.A.C. Cosmetics, kooperiert mit dem Shoppingkanal HSN, und die Kaufhauskette Macy’s brachte ihre Mode- und Schmuckkollektion auf den Markt. Kein Wunder, dass IMG sie als Model unter Vertrag nahm – eine Agentur, die sonst Kate Moss oder Gisele Bündchen betreut. Vor fünf Jahren wurde mit „Iris“ sogar eine Doku über Apfels Leben gedreht. Und welche Seniorin kann sich rühmen, dass eine Barbie nach ihr entworfen wurde? Richtig, keine. Iris Apfel ist der älteste Mensch, dem dies je zuteilwurde.
Die Tochter eines Juristen und einer Modeboutique-Besitzerin ist eben ein Gesamtkunstwerk und war das vermutlich immer schon. Als ihre Mutter ihr als Vierjährige eine Schleife ins Haar binden will, die nach Klein-Iris’ Meinung nicht zum Rest des Outfits passt, bekommt sie einen hysterischen Anfall. Ein Zeichen, eindeutig.
„Ich wollte mich nie anpassen“, so Apfel. Nicht, um aufzufallen, „ich kleide mich nicht, um angestarrt zu werden“, so die Fashion-Philosophin. „Ich muss ich selbst sein, um zufrieden zu sein.“ Womit wir an dieser Stelle eine schlechte Nachricht überbringen müssen. Stil nämlich, ist die Grande Dame überzeugt, könne nicht erlernt werden – er liege in den Genen. „Sie können bis zum Geht-nicht-mehr aufgetakelt sein – und trotzdem aussehen wie ein aufgeputzter Christbaum.“ Seine Persönlichkeit mit Kleidung zu zelebrieren ist für Apfel vielmehr eine Frage der inneren Haltung. Und die gilt es zu ergründen. „Der größte modische Fauxpas ist, wenn man in den Spiegel schaut und jemand anderes erkennt.“ Um Ratschläge bittet man sie vergebens. Stil als Reise zu sich selbst: Wie schön, das zu hören, im allgemeinen Dickicht an Do’s und Don’ts.
Jackie Kennedy misstraute ihr
Die Apfel hat eben Selbstbewusstsein. Wen wundert’s, wenn Greta Garbo oder Montgomery Clift sie als Innenarchitektin engagierten? Mit ihrem Mann Carl, mit dem sie 66 Jahre verheiratet war und der mit 100 starb, war sie als solche tätig. Mit Feuereifer suchten sie auf Reisen nach Europa oder Asien historische Stoffe und reproduzierten sie. Auch neun US-Präsidenten beriet sie bei der Einrichtung des Weißen Hauses. Einzig Bush senior scherte aus, und Jackie Kennedy, die jemanden aus Paris engagierte: „Danach mussten wir alles rausschmeißen und wieder von vorne anfangen.“
Das macht Iris Apfel, wie’s scheint, bis heute – immer ist der Workaholic für etwas Neues gut. Eben ist ein Malbuch von ihr erschienen: „Iris: The Coloring Book“, entstanden aus Langeweile während der Quarantäne. 16 Seiten, mit Höhepunkten ihres Lebens. Farbe bringe Spaß ins Leben, davon ist Apfel überzeugt. „Ich mag es, Menschen zum Lächeln zu bringen“, sagt sie. „Zu viele Menschen laufen mit mürrischen Gesichtern herum. Wir aber sollten so optimistisch wie möglich bleiben.“
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