Andreas Kronthaler: "Mode hilft einem das Leben zu bewältigen"
Dass er seit Jahrzehnten in Großbritannien lebt, merkt man Andreas Kronthaler im Gespräch nicht an. In einem 4.000-Seelen-Dorf im Zillertal aufgewachsen, ist dem Designer bis heute sein sympathischer Tiroler Akzent erhalten geblieben. Ebenso die Bodenständigkeit, die es in der obersten Modeliga, in der er und seine Frau Vivienne Westwood mit ihrem Label spielen, so nur noch selten gibt. Was sich in Wien tut, will der 54-Jährige am Telefon gleich als Erstes wissen. Auch wenn er noch regelmäßig in seiner Heimat anzutreffen ist – sein Londoner Haus hat der gebürtige Österreicher in den vergangenen Monaten neu zu schätzen gelernt.
Freizeit: Andreas, wie haben Vivienne und du die außergewöhnlichen Wochen, die hinter uns liegen, verbracht?
Andreas Kronthaler: Wir wohnen im Südwesten Londons, in einem Haus mit kleinem Garten hinten dran. Ich war während des Lockdowns so froh, dass wir einen haben – und gartle mittlerweile sogar ganz gerne. Das habe ich früher nie gemacht. Ich habe dafür ja eigentlich keine Zeit.
Zeit hattest du dann plötzlich sehr viel.
Ja, es war eine Auszeit, die mir aufgezwungen wurde. Ich habe zu unseren Mitarbeitern aus dem Atelier natürlich weiterhin Kontakt gehabt und Telefonate geführt, aber sonst habe ich vor allem im ersten Monat nicht sehr viel gemacht und einfach die gemeinsame Zeit mit Vivienne genossen. Abends gingen wir im Park spazieren. Morgens ging ich alleine einkaufen, später wurde etwas Gutes gekocht.
Etwas typisch Tirolerisches?
Oh Gott, nein. So etwas wie Zillertaler Krapfen ist ja nicht einfach zu machen. Vor allem der Teig … das muss man können und am besten über Jahrzehnte hinweg schon geübt haben (lacht). Das sind dann Gerichte, die es gibt, wenn ich zu meiner Familie nach Österreich fahre. Mit solchen Dingen wie dem Brotbacken haben wir jetzt aber auch nicht angefangen.
Viele wollen nach dieser Zeit etwas an ihrem Leben ändern. Du auch?
Die Frage ist, wohin geht man zurück? Wenn man nicht jetzt etwas ändern will, wann dann? Ich glaube, das denken sich viele. Wo genau es hingeht, das ist schwierig zu sagen.
Auch in der Modewelt ist der Wunsch nach Veränderung groß. Eine Gruppe internationaler Designer appellierte kürzlich in einem offenen Brief an die Branche, dass der Umwelt zuliebe künftig weniger Kollektionen produziert werden müssen und die Ware zu einem für den Kunden sinnvollen Zeitpunkt in die Geschäfte kommen soll. Giorgio Armani beschrieb erst kürzlich den Niedergang des Fashion-Systems. Steht es um dieses wirklich so schlecht?
Ich habe schon seit Jahren versucht, mit unserem Modehaus möglichst nachhaltig zu arbeiten. Dass es in der Mode zu viel gab und gibt, wussten wir schon weit vor der Krise. Aber sie gibt uns jetzt die Möglichkeit, auf den Neustart-Knopf zu drücken.
Einige große Firmen haben bereits Schritte in die richtige Richtung gemacht. Gucci wird zum Beispiel statt fünf nur noch zwei Kollektionen pro Jahr präsentieren – und das saisonunabhängig. Zwischenkollektionen wird es nicht mehr geben.
Ich weiß nicht, ob sich diese vielen Kollektionen für diese Modehäuser überhaupt gerechnet haben. Vivienne und ich waren nie Teil dieses extrem schnellen Zyklus mit ständig neuer Ware und Shows an exotischen Orten, zu denen Gäste aus aller Welt geflogen werden. Am Ende des Tages verwässert man ja nur die Qualität seiner eigenen Arbeit. Man produziert viel, aber ist das wirklich notwendig? Oder überhaupt ein neuer Trend? Viele Produkte kommen ins Geschäft und sind dort mit Glück zwei Monate. Und dann kommt wieder etwas Neues nach – das im Wesentlichen nicht anders oder besser ist als das zuvor. Wir reden hier von einem Kreislauf, der sich in den vergangenen Jahren massiv beschleunigt hat und jetzt überhaupt keinen Sinn mehr macht. Besonders schade ist es um die guten Kreationen, bei denen der Kunde nicht einmal mehr genug Zeit hat, sich mit ihnen auseinanderzusetzen.
Aber ist es nicht gerade der Kunde, der ständig nach Neuem verlangt?
Ich denke schon, dass sich die Menschen durch die Pandemie jetzt mehr Gedanken über ihre Möglichkeiten machen. Das, was man früher als selbstverständlich empfand, erfährt jetzt mehr Wertschätzung. Und die Menschen scheinen auch besser zu verstehen, woher die Dinge kommen.
Wird dieses Umdenken nachhaltig sein?
Das wäre gut. Denn der Klimawandel und seine Auswirkungen sind noch weit schlimmer als die Coronakrise. Er macht sich nur nicht so abrupt bemerkbar. Am Ende des Tages geht es um die Nachhaltigkeit. Die Modewelt trägt große Verantwortung, weil sie einer der größten Umweltverschmutzer ist.
Manchmal entsteht der Eindruck, dass Modefirmen sich mit Nachhaltigkeit nicht auseinandersetzen wollen, solange die Kunden nicht in riesiger Zahl danach verlangen. Wer trägt denn nun die Verantwortung in dieser Sache: Kunde oder Designer?
Ich glaube, dass es die Verantwortung des Modehauses bzw. des Designers ist. Heute gehört es mehr denn je dazu, dort nachhaltig zu arbeiten, wo es möglich ist. In gewissen Dingen geht es sowieso vielleicht gar nicht anders. Italien ist ein gutes Beispiel. Die ganze Welt lässt dort produzieren, weil das Land eben über lange Zeit hinweg die beste Hand dafür entwickelt hat. Was mir vor einiger Zeit viel Freude gemacht hat, war die Zusammenarbeit mit dem Londoner Schuhunternehmen Gina. Sie sind hier eine der letzten Fabriken, die mitten in der Stadt ihre Produkte herstellen und wir haben dann für eine meiner Fashion Shows zusammengearbeitet. Und natürlich ist das für die Umwelt dann besser, als sich die Schuhe aus Spanien kommen zu lassen. Und es ist natürlich ein ganz anderes Arbeiten, wenn man persönlich mit den Menschen Kontakt hat. Und was die Anzahl der Kollektionen angeht: Ich glaube, dass jedes Unternehmen seinen eigenen Rhythmus in dieser neuen Welt finden muss. Was auf Gucci zutrifft, muss nicht auf Vivienne Westwood zutreffen. Sicher ist für mich jedoch, dass dieses Herumreisen in der Welt auch künftig weniger sein muss.
Das würde sich massiv auf die Modewochen auswirken, zu denen immer Tausende Journalisten, Einkäufer und Promis mehrmals im Jahr aus aller Welt nach New York, London, Mailand und Paris anreisen. Die kommenden Fashion Weeks wurden vorerst abgesagt.
Ich habe schon bei meiner vergangenen Show am 29. Februar gedacht, dass sie gar nicht stattfinden wird können. Ein paar Tage vorher bin ich angereist und hab gezweifelt, ob einige Musterteile aus Italien noch ankommen werden. Als Location für die Präsentation hatten wir das Rathaus ausgesucht und ich hab mir gedacht, da kommt eh keiner. Am Samstag bei meiner Ankunft war dort aber die Hölle los.
Vorerst finden die Modewochen nur digital statt. Kann diese Form der Präsentation ein Live-Event ersetzen?
Das ist für mich ein schwieriges Thema, weil ich ein ganz anderer Typ bin. Ich mag es schon nicht, wenn ich mir eine Gemüsekiste online bestellen soll. Ich will mir jeden Erdapfel selber aussuchen. Eine Modenschau ist für mich wie das Theater oder ein Konzert: Man sieht die Dinge in Wirklichkeit – das hat eine ganz andere Ausdruckskraft. Es gibt sicher Möglichkeiten, eine Fashion Show anders zu machen. Wie genau, das steht für mich noch in den Sternen. Dieses selbstverständliche Herumfliegen war und ist wie gesagt aber verrückt. Das heißt aber nicht, dass wir alle gar keine Live-Modenschauen mehr machen sollen.
Was bedeutet Mode für dich persönlich?
Sie hilft einem das Leben zu bewältigen. Ich finde, man hat ein besseres Leben, wenn man gut angezogen ist. Das hat aber nichts mit Geld oder Status zu tun, sondern mit dem Bewusstsein, das man mit sich selbst kultiviert. Das gilt auch für solche Dinge wie Parfum. Während des Lockdowns habe ich endlich zwei Flakons, die ich schon ewig hatte, aufgebraucht.
Vivienne hat einmal über dich gesagt, dass du nicht designst, um zu verkaufen. Eine Einstellung, die künftig mehr Modehäuser und Designer haben sollten?
Klar müssen wir etwas verkaufen. Aber ich denke wirklich nicht daran. Ich will einfach etwas Schönes erschaffen. Ich denke dabei in erster Linie an mich selbst. Und ob es zum Beispiel dieser eine Pullover wert ist, ihn zu machen. Brauchen tut ja keiner wirklich einen, die meisten besitzen mehr als genug. Wenn ich die Rechtfertigung für das Produkt finde, dann freut mich das. Und natürlich ist es toll, wenn es dann jemand kauft und schätzt.
Andreas Kronthaler wurde am 26. Jänner 1966 in Fügen in Tirol geboren. 1989 lernte der Modestudent an der Universität für angewandte Kunst seine Tutorin Vivienne Westwood kennen. Kurze Zeit später zog er mit ihr nach London und wurde ihr Assistent. 1992 heiratete das Paar, bis heute lebt und arbeitet es in London. Seit einigen Jahren verantwortet Kronthaler als Kreativdirektor die Modelinie.
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