"Es bleiben viel mehr Männer unerwählt als Frauen"
Wie wurde aus der Welt, in der wir leben, eine männlich dominierte Gesellschaft? Dieser Frage geht die deutsche Biologin Meike Stoverock in ihrem Buch "Female Choice" auf den Grund. Ihre These: Die patriarchale Ordnung widerspricht unserer Natur. Denn ursprünglich waren es die Frauen, die das Sagen hatten – zumindest, wenn es um den Zugang zu Sex ging. Im Interview mit dem KURIER erklärt die 46-Jährige, wann sich die Machtverhältnisse der Geschlechter geändert haben, warum die romantische Paarbeziehung eine Lüge ist und in Zukunft sehr viele Männer ohne Partnerin bleiben werden.
KURIER: Was verstehen Sie unter dem Prinzip Female Choice?
Meike Stoverock: Die Evolution hat dazu geführt, dass Männer und Frauen sehr unterschiedliche Fortpflanzungsstrategien haben, und das wiederum führt dazu, dass die Weibchen auswählen können, mit wem sie Sex haben. Das heißt, die Männchen müssen sich bewerben und die Weibchen entscheiden dann, wer als Partner in Frage kommt. Neben der Entscheidungsfreiheit der Weibchen gehören aber auch physische Eigenschaften dazu, etwa einige wenige Eizellen, die auf ganz viele Spermien treffen.
Und dieses Prinzip hat sich dann auf die Menschen übertragen?
Ganz genau. Bis zur Sesshaftwerdung vor 10.000 Jahren mussten die Männer sehr wahrscheinlich bestimmte Leistungen erbringen, um als Partner für Frauen interessant zu werden. Die Menschen sind als Nomaden durch die Gegend gezogen, immer der Nahrungsquelle hinterher. Männer haben gejagt und wer sich von ihnen dabei als besonders geschickt erwies, war begehrter. Aber auch physische Merkmale waren Frauen wichtig: Größe und Körpersymmetrie, die wir heute als Attraktivität verstehen etwa. Beide sind eine Art Indikator dafür, dass der Mann besonders gutes Genmaterial für die Paarung mitbringt und somit auch die Lebenschancen der Kinder steigen.
Die Sesshaftwerdung hat das Prinzip der Female Choice verdrängt. Was ist passiert?
Ackerbau ermöglichte die sesshafte Lebensweise, und mit ihr kam auch Besitz auf. Der Mann hatte plötzlich ein Stück Land, Vieh, seine eigene Behausung, er wurde zum Verwalter lebenswichtiger Ressourcen. Dieser männliche Privatbesitz brachte die Frauen in eine fast vollständige Abhängigkeit: Weil sie für die Kinderaufzucht zuständig waren, hatten sie nicht mehr die selbstbestimmte Funktion wie in der Nomadengruppe und waren von der Weltgestaltung ausgeschlossen.
Aber dass nur Frauen Kinder bekommen können, lässt sich nun mal nicht ändern.
Das ist richtig – aber dass sie das in einem extrem isolierten Umfeld tun und das Kinderkriegen dazu führt, dass sie fast gar nichts anderes mehr machen können, ist erst durch die patriarchale Zivilisation entstanden. Ein Kind allein macht noch nicht unfrei. Die Nomadenfrau hat sich auch nicht exklusiv um das Kind gekümmert – sobald es laufen konnte, wurde es in eine Gemeinschaft entlassen, in der sich alle Erwachsenen um die Kinder gekümmert haben. Ich halte es für wichtig, Kinder mehr als Teil der Gemeinschaft zu sehen. Natürlich kann man nicht zurückkehren zu einer Welt ohne Privathaushalt, wo sich das ganze Leben an einem öffentlichen Platz abspielt. Mir schwebt so etwas vor wie freiwillige Kommunen, es müssen auch nicht alle miteinander verwandt sein. Mütter können auch untereinander starke Netzwerke schaffen.
Was können Protestbewegungen wie #MeToo bewirken?
Es gibt viele Teilströmungen in der Gerechtigkeitsbewegungen, die versuchen, die patriarchalen Strukturen von innen zu verändern, zum Beispiel durch Quoten. Ich halte das nicht für falsch, aber ich glaube, der Ansatz muss von beiden Seiten erfolgen – dass man auch versucht, diese patriarchale Grundordnung von der Ursache her aufzuknacken, indem man sich nicht mehr an patriarchale Strukturen anpasst, als da wären die Ehe oder das Leben in der Kernfamilie.
Im Buch bezeichnen Sie die romantische, ewig andauernde Zweierbeziehung als Lüge. Warum?
Die natürliche Sexualität des Menschen ist nicht ausgelegt auf lebenslange sexuelle Treue. Female Choice bedeutet, dass Frauen sich in der Regel in jedem Reproduktionszyklus neu entscheidet. Sie kann sich auch entscheiden, mit dem alten Partner ein zweites Kind zu bekommen – aber typischerweise haben Nomadenfrauen Kinder von mehreren Vätern.
Und die Männer?
Bei den Männern ist sexuelle Treue gar nicht im genetischen Programm angelegt, weil ihre Fortpflanzungsstrategie besagt, ich muss so viele Frauen wie möglich befruchten. Dieses System der beiden widersprüchlichen Fortpflanzungsstrategien führt in der Natur dazu, dass sich ein ganz großer Teil der Männchen nicht fortpflanzen kann. Keine Partnerin zu finden, unfreiwillig enthaltsam zu leben, führt bei fast allen Lebewesen, vor allem bei den höheren Säugetieren, zu Aggressivität. Als die Menschen begannen, dauerhaft in größeren Gruppen an einem Ort zu leben, mussten Männer dauerhaft mit Partnerinnen versorgt werden, damit sie den Fortschritt vorantreiben konnten. Deshalb wurde die Ehe eingeführt, und zwar als Zwangsverheiratung minderjähriger Töchter.
Die Erzählung vom „schönsten Tag im Leben“ hält sich dennoch stark – vor allem bei Frauen.
Jeder Mensch definiert sich stark darüber, einen Partner zu haben. Wer mit 30 noch Single ist, gilt als Ladenhüter, als übrig geblieben. Das ist der Kern des Narrativs vom schönsten Tag im Leben einer Frau: Endlich ist sie erwählt worden. Da spielen ganz tief sitzende emotionale Sehnsüchte eine Rolle.
Sollten wir als Gesellschaft zum Female-Choice-Prinzip zurückkehren?
Female Choice ist nur sehr eingeschränkt mit unserer sesshaften Lebensweise in Einklang zu bringen. Dass ein Großteil der Männer sexuell unversorgt bleibt und erwartbar aggressiv wird, verbietet ja schon einen direkten Rückkehrwunsch. Dass Female Choice in unseren Genen sehr präsent ist, zeigt sich ja schon beim Online Dating: Bei Tinder muss ein Mann hundert Profile nach rechts ("Like") wischen, damit er von einer Frau ein Match bekommt. Ich glaube, wir müssen akzeptieren, dass die männliche Sexualität ein aggressives Element enthält, das unter bestimmten Umständen hervorbrechen kann. Das haben sie sich nicht ausgesucht und ich bin auf keinen Fall dafür, alle Männer zu kriminalisieren. Aber solange wir nicht akzeptieren, dass männliche Sexualität auch gefährlich sein kann, werden wir immer Probleme mit sexueller Gewalt haben. Nur, wenn wir es akzeptieren, können Maßnahmen ergriffen werden.
Was soll mit den Männern geschehen, die partnerlos bleiben?
Am streitbarsten ist sicher mein Vorschlag, Prostitution und Pornografie zu stärken, damit Männer die Möglichkeit zur Triebabfuhr bekommen. Verträglicher ist die Industrie der Sexroboter. Es gibt ja schon heute Sexpuppen, die auf den ersten Blick kaum von realen Frauen zu unterscheiden sind, und ich glaube, auf diesem Markt wird Unglaubliches passieren, was den Männern dann auch die Illusion einer Beziehung ermöglicht, so dass sie ihre Sexualität nicht aggressiv in die Gesellschaft tragen.
Welche Kriterien entscheiden, ob Männer von Frauen erwählt werden oder nicht?
Es ist schwierig, da einen gemeinsamen Nenner zu finden. Die so genannten Alpha-Qualitäten, die dazu führen, dass ein Mann für Frauen besonders attraktiv wirkt, sind die Geheimzutat, die sich nicht wirklich messen lässt. Vielleicht lässt es sich vage ausdrücken mit Charisma: die Einheit aus Geisteskraft und einem wohlgeformten Äußeren. Das möchte ich aber keinesfalls als biologisches Faktum verstanden wissen, dafür spielen bei der Partnerwahl zu viele kulturelle Faktoren eine Rolle.
Sind Frauen wählerischer?
Sie weisen einfach mehr Männer ab. Oft sagen Männer, vor allem attraktive Frauen haben so viel Auswahl, weil sie mehr Bewerber haben. Das bedeutet aber nicht mehr Auswahl, sondern nur, dass sie mehr Körbe vergeben. Männer machen Frauen ein wenig wahllos den Hof, Frauen lehnen die meisten dieser Angebote einfach ab.
Was müsste geschehen, damit wir eine gerechtere Gesellschaft schaffen können?
Ich glaube, dass wir Frauen ermutigen müssen, ihre Sexualität zu finden. Teil der patriarchalen Zivilisation war es ja auch, diese weiblichen sexuellen Instinkte zu unterdrücken, den Frauen einzureden, du hast ja gar keine Lust. Wir sollten Frauen ermutigen, lauter zu werden, unbequemer, keine Angst zu haben, anzuecken, aus der Gefälligkeitsecke herauszukommen. Aber auch Männer in ihrer tragischen Ambivalenz zu akzeptieren und sie liebevoll aufzunehmen. Niemand hat sich ausgesucht, dass uns die Evolution zu diesem Lebewesen gemacht hat, die wir sind. Ich wünsche mir, dass alle Geschlechter ihre eigenen Unsicherheiten eingestehen, weil das der erste Schritt ist, um überhaupt eine Besserung zu erzielen.
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