Man nennt sie „Corona-Kinder“ und „lost generation“, hat sie zu Hause eingesperrt und ihnen Schule und fast alle Freizeitaktivitäten gestrichen. Für 15 Monate ihre Kindheit und Jugend herrschte Ausnahmezustand. In der neuen Normalität brauchen sie Masken und Nasenbohrer-Tests für den Schulbetrieb und sollen wieder funktionieren. Kann es jetzt einfach so weitergehen wie vor der Krise?
Die Konflikte um die Party-Meilen Karlsplatz und Donaukanal zeigen den Nachholbedarf vieler junger Menschen. Während die Wirtshäuser für die Senioren schon zur Normalität zurückkehren, sind die Rückzugsorte der jungen Erwachsenen, die Clubs und die Nachtgastronomie, noch immer geschlossen. Weiterhin zu Hause bleiben geht aber nicht mehr – die Disziplin hat jetzt ein Ende, auch weil sie auf die Gesundheit der Älteren keine Rücksicht mehr nehmen müssen, denn die sind weitgehend geimpft.
Aus dem Nest
Doch es geht nicht nur ums Feiern, wie die Entwicklungspsychologin Christiane Spiel betont, die die Studie „Lernen unter Covid-19 Bedingungen“ der Universität Wien geleitet hat: „Im Jugendalter sind die Entwicklung einer eigenen Identität und das Erlangen einer größeren Unabhängigkeit von den Eltern wichtige Entwicklungsaufgabe. Damit geht einher, dass die Gleichaltrigen eine größere Bedeutung für ihre Leben erlangen. Die Lockdowns haben die Erfüllung dieser Entwicklungsaufgaben massiv beeinträchtigt.“ Der Grund liegt auf der Hand: Die Jugendlichen konnten ihre Freundinnen und Freunde nur sehr eingeschränkt sehen, kaum ausgehen, keine Reisen machen, nicht die eigenen Grenzen erproben. Daher haben ältere Schülerinnen und Schüler sowie jüngere Studierende psychisch sogar mehr unter der Pandemie gelitten als die jüngeren – und das, obwohl sie grundsätzlich besser mit digitalen Medien umgehen können und damit dem Distance Learning. „Das haben unsere Studien eindeutig gezeigt“, sagt Spiel.
Doch die Pandemie hatte nicht nur negative Folgen für die Jungen: „Sie haben die Selbstorganisation ihres Lernens verbessert – was sie im späteren Leben sicherlich immer wieder brauchen werden“, berichtet Spiel.
Und wie sehen das die jungen Menschen? Der KURIER hat acht Kinder und Jugendliche gefragt, wie es jetzt bei ihnen weitergehen soll. Ihre Antworten geben einen Einblick in die Verfassung unserer Jugend jenseits von Statistiken. Sie haben in den vergangenen Monaten vielleicht weniger Schulstoff gelernt als in normalen Jahren – aber mehr für das Leben.
Arzo (14), 4. Klasse NMS Quellenstraße
Die Rückkehr zur Schule war am Anfang sehr unangenehm. Die ersten Tage waren langweilig, meine Schulkollegen und ich haben kaum miteinander gesprochen. Jetzt ist es wieder lustiger und wir sind so laut wie früher. Der Unterricht ist noch etwas komisch. Viele trauen sich nicht, aufzuzeigen und mitzuarbeiten. Das war aber auch im Distance Learning so. Da haben viele die Kamera ausgeschalten, weil sie sich geschämt haben, etwas zu sagen. In der Schule fühle ich mich eigentlich sicher, wir werden ja oft getestet. Meine Freunde und ich sind aber noch vorsichtig, wir umarmen uns nur selten. Impfen würde ich mich trotzdem nur lassen, wenn es unbedingt sein muss. Man hört viele Geschichten über das Impfen, zum Beispiel auf Tik Tok. Auch wenn vieles davon nicht stimmt, Angst macht mir das trotzdem.
Melissa (19), 2. Klasse der Berufsschule
Durch die Pandemie sprechen mehr Menschen offen über psychische Erkrankungen. Das finde ich sehr wichtig. Seitdem ich meine psychische Erkrankung nicht mehr geheim halte, werde ich von meinem Umfeld ganz anders wahrgenommen. Viele haben angefangen, auch über ihre eigenen Probleme zu sprechen. Ich wünsche mir, dass das auch nach der Pandemie so bleibt. Was mir Sorgen bereitet, ist, dass viele jetzt unvorsichtig werden. Von den Partys am Karlsplatz oder Donaukanal halte ich nichts. Auch die Jugend muss in Zeiten der Krise zurückstecken. Ich habe nicht das Gefühl, durch die Pandemie Zeit meiner Jugend verpasst zu haben. Obwohl ich meinen 18. Geburtstag im Lockdown verbringen musste, das war schon schade. Aber man kann ja alles nachholen. Und darauf freue ich mich ganz besonders.
Lena (7), 1. Klasse Volksschule
Ein Satz des Vaters vorweg: Lena und ihr kleiner Bruder mussten im Frühjahr zwei Mal je zehn Tage als Kontaktpersonen von Corona-Erkrankten in Quarantäne daheim verbringen.
„Ich bin zwar nicht an Corona erkrankt, aber dass ich daheim bleiben musste, war Mist. Unsere Zeit in der Quarantäne ist mir wie hundert Tage vorgekommen. Ich habe am meisten die Schule und meine Freunde vermisst, aber auch meine Lehrerin. Daheim zu lernen hat keinen Spaß gemacht, außer, dass ich danach mehr fernsehen durfte. Ich freue mich daher, jetzt wieder normal in die Schule gehen zu können, nur die Maske stört mich. Ich würde am Nachmittag gerne noch eine Stunde länger bleiben und Turnen und Musik hätte ich auch gerne. Impfen würde ich mich nicht lassen wollen, weil mir die Spritze Angst macht.“
Toni (11), 1. Klasse Gymnasium
Während des Homeschoolings habe ich meine Freunde schon sehr vermisst, mir hat der Kontakt zu ihnen gefehlt. Das Ausschlafen hat mir aber schon gutgetan. Außerdem habe ich in dieser Zeit meine Computerkenntnisse verbessert. Die Rückkehr in die Schulbank war alles andere als normal, es ist schon ein anderes Gefühl, mit 25 anderen Kindern in einem Raum zu sitzen. Mittlerweile habe ich mich an den Normalzustand gewöhnt und es läuft gut für mich. Ich wünsche mir, dass wir als Klasse mehr zusammen unternehmen können, Ausflüge etc. Ich glaube nicht, dass das kommende Schuljahr „normal“ sein wird, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass wir mit dem Impfen so schnell vorankommen. Wenn ich dürfte, würde ich mich auf jeden Fall impfen lassen, damit wir diese Pandemie endlich hinter uns lassen können.
Moritz (13), 3. Klasse Gymnasium
Die erste Homeschooling-Phase hätten wir ohne Eltern nicht geschafft; einige Lehrer digital aber auch nicht ohne uns. Als wir dann eine Plattform für alle Lehrer hatten, war es okay. Wir wussten, wann wir was, wo, wie liefern müssen. Ich konnte mir meine Zeit zu Hause selbst einteilen. Aber du siehst deine Freunde nicht und kannst Lehrer nicht gleich fragen, wenn du was nicht verstanden hast. Der Schichtbetrieb mit der Hälfte der Klasse war gut, weil wir besser reden, besser zuhören, die Lehrer besser auf uns eingehen konnten. Aber die Zeit hat uns auch von einander getrennt. Für unsere Klassengemeinschaft wünsche ich mir gemeinsame Aktionen wie Ausflüge oder Sportveranstaltungen. Schulen sollen, wenn nötig, erst als allerletzte zusperren müssen. Und impfen lass ich mich – wenn alle, die es dringender brauchen, dran waren.
Mario (7), 1. Klasse Volksschule
Ich hatte am Anfang überhaupt nicht das Gefühl gehabt, dass ich ein Schulkind bin. Kaum hat das Schuljahr begonnen, schon gab es einen Lockdown. Gut fand ich, dass wir in dieser Zeit daheim keine Hausaufgaben hatten und dass ich morgens nicht früh aufstehen musste. Ich bin nun froh, dass ich nicht mehr allein zuhause lernen muss, sondern mit meinen Freunden in der Klasse. Super finde ich, dass meine Klasse wenige Kinder hat und es dadurch leiser ist. Ich habe nach der Rückkehr in die Schule auch viele neue Kinder kennengelernt. An der Schule würde ich am liebsten ändern, dass es keine Pizza mit Spinat mehr zu essen gibt. Außerdem wünsche ich mir, dass wir jeden Tag Turnen haben. Ich finde das Maskentragen und das Testen jeden zweiten Tag lästig. Angst habe ich schon davor, dass ich selber positiv getestet werde.
Dana (14), 4. Klasse NMS
Ich fand den ersten Lockdown am schwierigsten, der war eine Katastrophe für alle. Durch „Teams“ ist es leichter geworden. Natürlich fehlen uns ein paar Sachen im Stoff, aber vor allem haben uns die Mitschüler und die Lehrer gefehlt. Manche Lehrer haben sich wirklich sehr bemüht und wir konnten ihnen Fragen stellen, wenn wir etwas nicht wussten.
Ich bin sehr zufrieden, dass ich wieder in die Schule gehen kann. Es war etwas komisch am ersten Tag, aber inzwischen ist es ganz normal und wir lernen jetzt wieder viel mehr. Wie es weitergeht, weiß ich schon: Ich werde in ein Oberstufenrealgymnasium gehen und dort eine Übergangsstufe besuchen. In dem Jahr kann ich meine Deutschkenntnisse noch mehr verbessern – ich komme aus Syrien – und ich möchte auch meine Schulnoten noch verbessern.
Severin (18), AHS-Maturant
Ich habe dieses Jahr maturiert. Das allerletzte Schuljahr nicht an der Schule zu verbringen war sehr schade. Es war so ein klangloses Verschwinden. Sonst ist das Maturieren ja ein großes Spektakel. Die Bedürfnisse der jungen Generationen wurden während der Pandemie leider vernachlässigt. Ich wünsche mir, dass Jugendliche als ebenso wichtiger Teil der Gesellschaft anerkannt werden, wie Erwachsene. Auch wir hatten in der Krise viel zu befürchten. Ich wünsche mir mehr Dialog und Möglichkeiten, sich an politischen Diskursen zu beteiligen. Egal wie alt man ist, auch in jungen Jahren hat man etwas zu sagen. Generell sollten wir wieder offener aufeinander zugehen und jenen zuhören, die sonst kaum Gehör finden. Gerade in einer Demokratie halte ich das für besonders wichtig.
Kommentare