Seine Kinder halten ihn für zu alt, um ein Popstar zu sein. Im Interview verrät David Guetta, was ihn jung hält und warum er die Midlife Crisis hinter sich hat.
David Guetta ist gut drauf. Er weilt in Paris, seiner Heimatstadt, verdrückt ein Sandwich, während wir reden, und lächelt oft. Er hat allen Grund dazu: Er wurde kürzlich zum besten DJ der Welt gewählt, die ehrliche Freude darüber nimmt man ihm unversehens ab. „Eim a Ditschää“, sagt er gern, sein Mund zieht sich zu einer Schnute, wenn er das sagt, das ei und d sind ganz weich, das j am Ende hängt lange in der Luft und seine Stimme hat so ein glückliches Glucksen. Ein DJ, vor allem das, sagt Guetta, sei er – und eben nicht nur: eine Hitmaschine, ein Popstar, der 92 Millionen Platten verkauft hat und von manchen despektierlich als Symbol kommerzieller Mainstream-Musik verortet wird. Dieses krisenbehaftete Jahr, für David Guetta trägt es erfolgreiche Früchte: Bei seinen Livestream-Events während des ersten Lockdowns schalteten Millionen Zuseher ein. Sein Remix von Joel Corry’s „Head & Heart“ führte die englischen Charts an. Und jetzt also das: gewählt zum Nummer-1-DJ der Welt, ein zweites Mal, und das von den kritischen Puristen der elektronischen Musik.
Guetta schreibt es dem Umstand zu, sich verstärkt auf Dance-Tracks zu konzen-trieren; benamst hat er das Ganze als Future Rave-Sound. Das freut ihn. Guetta, der sich wahrlich nichts mehr beweisen müsste, dem bei seinen Auftritten mit Hits wie „Titanium“ oder „Sexy Bitch“ von Ibiza bis Las Vegas und sogar auf der Chinesischen Mauer und beim Eiffelturm bis zu 40.000 Tanzwütige zujubeln, sagt: „Ich habe meine Wurzeln – und habe nicht vergessen, woher ich komme.“ Im Videointerview erzählt der Superstar über diese Anfänge, sein Leben auf Reisen und seine Familie.
freizeit: David, derzeit ist es leider nicht erlaubt in den Clubs zu feiern und zu tanzen. Wie gehen Sie als Superstar-DJ, der seinem Job nicht nachgehen darf, mit dieser Situation um?
David Guetta: Ich vermisse es, auf der Bühne zu stehen. Aber ich versuche, positiv zu bleiben und das Beste aus der Situation zu machen. Der Vorteil ist: Ich kann meine Familie öfter sehen. Und ich habe die Chance, jeden Tag neue Musik zu machen. Viele Künstler haben aufgehört, neue Songs zu veröffentlichen, weil es kommerziell wenig Sinn machte. Ich habe mich entschieden, das Gegenteil zu tun. Wir sollten alle unsere Verantwortung als Individuum wahrnehmen und aus dieser Welt ein besseres Plätzchen machen. Ich tue das, indem ich Musik mache und die Leute entertaine.
Sie spielten dieses Jahr ein Live-Set, das online übertragen wurde, und sammelten so Spenden im Kampf gegen Covid-19. Auch damit zeigten Sie Verantwortung.
Wir haben 1,5 Millionen Dollar zusammen bekommen, mehr als 50 Millionen Menschen weltweit sahen zu. Komplett verrückt! Sonst hat höchstens ein Football-Finale solche Einschaltquoten. Ich habe damit einen Weltrekord aufgestellt. Natürlich war auch Glück dabei, die Leute waren zu Hause so gelangweilt. Aber ich wollte damit Menschen in Not helfen. Das Geld kam etwa Spitälern in Frankreich zugute, aber auch Organisationen in Amerika. Ich lebe zeitweise in den USA, manche Menschen hatten nicht einmal etwas zu essen. Wir haben Mahlzeit um Mahlzeit verteilt. Ich bin sehr stolz darauf.
Auch in New York haben Sie aufgelegt. Dabei nahmen Sie Bezug auf die Black- Lives-Matter-Bewegung und den bei einem Polizei-Einsatz getöteten George Floyd. Sie mixten in einen Song die berühmte „I have a dream“-Rede von Martin Luther King – und haben dafür wütende Kritik geerntet.
Es wurde kontrovers aufgenommen und ich bereue es sehr. Vielleicht ist das passiert, weil ich kein Amerikaner bin. Dass ich die Nuancen der Sprache nicht verstehe. In seiner Rede macht Martin Luther King sich dafür stark, dass die Hautfarbe eines Menschen keine Rolle spielen sollte. Und diese positive Message habe ich versucht zu transportieren. Ich habe nur die besten Absichten verfolgt.
Denken Sie, die Lage in den USA wird sich bald wieder entspannen?
Es wäre bitter notwendig. Und zwar nicht nur in Amerika, sondern überall auf der Welt. Wir leben gerade in einer der explosivsten Zeiten, die wir je hatten. Die Anspannung zwischen den Rassen, die Differenzen zwischen den Religionen. Ich bin Franzose, auch in meinem Land läuft leider viel falsch. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist riesig geworden. All das ist nicht gut. Im Moment leiden wir alle unter der Corona-Pandemie. Leute, denen das Geld ausgeht, neigen dazu, extrem zu werden. Verständlich, denn sie leiden. Ich mache mir ein wenig Sorgen. Und hoffe, die Dinge entwickeln sich zum Guten.
Sie haben die Zeit mit Ihrer Familie erwähnt. Wie war Ihr Sommer mit den Liebsten?
Zum ersten Mal im Leben habe ich die Ferien mit meinen Kindern verbracht. Sie haben sich wie im siebten Himmel gefühlt! Immerhin war ich bis dahin im Sommer immer auf Tour, Sie wissen schon: Festival-Saison. Für gewöhnlich besuchen ja sie mich überall, wo ich gerade arbeite. Dann kommen sie nach Dubai oder nach Vegas, nach Ibiza oder Los Angeles. Dieses Mal habe ich gesagt: Egal, wo ihr heuer mit euren Freunden die Ferien verbringt, ich komme hin! Ich betrete eure Welt und nicht ihr meine. Das hat sie wirklich sehr glücklich gemacht. Ich mit 15 Kindern, das war ein Riesenspaß.
Spielen Sie Ihre Musik eigentlich Ihren Kindern vor?
Selbstverständlich. Ich frage sie ständig um ihre Meinung und höre ganz genau darauf, was sie zu sagen haben. Wir halten sogar Strategie-Meetings ab! Immerhin verbringen sie ihr halbes Leben auf TikTok und haben da viel mit Musik zu tun. Manchmal ziehen sie mich auf. Dann sagen sie: Papa, du bist alt, du versteht das nicht mehr.
Ähneln sie Ihnen in dem Alter?
Mein Sohn gerät sehr nach mir. Meine Tochter ist anders, sie kommt mehr nach ihrer Mutter. Aber mein Sohn hat einen Charakter, der meinem sehr ähnelt. Ebenfalls ein bisschen rebellisch (lacht).
Sie haben mit 14 Jahren als DJ begonnen, und mit 17 als Profi. Wie erinnern Sie sich an diese Zeit?
Alles hat sich verändert und ist doch gleichgeblieben. Ich wäre heute nicht anders als damals. Ich würde aufgeregt von der Schule nach Hause kommen und als DJ trainieren, jeden Tag. Noch heute habe ich nichts anderes als die Musik im Kopf. Vor unserem Interview war ich auf meinem Hotelzimmer und habe Akkorde eingespielt. Manchmal wache ich mitten in der Nacht auf, mache ein wenig Musik und lege mich dann wieder hin. Das ist heute nicht anders als mit 14. Ich bin immer noch so leidenschaftlich wie früher. Und ich lerne immer noch. Das ist das Großartige an der Musik. Man lernt nie aus.
Wann sind Sie als Kind zum ersten Mal mit Musik in Berührung gekommen?
Ich glaube, alles begann damit, als ich als Teenager angefangen habe, die Musik zu hören, die auf den illegalen Piraten-Radiosendern gespielt wurde. Die Musik war neu und verboten, die Piratensender zu hören illegal. Wenn du jung bist, willst du ein Rebell sein. Außerdem wollte ich ein DJ werden. Die Kombination war perfekt.
Sie fühlten sich angezogen vom Appeal des Verbotenen.
Natürlich. Später, als junger Erwachsener, begann ich dann Raves zu organisieren. Das war ebenfalls illegal. Vom heutigen Standpunkt betrachtet ist das schon ein bisschen lustig. Immerhin bin ich heute wahrscheinlich das Symbol der Mainstream-Musik schlechthin.
Und doch begann alles im Underground.
Exakt. Wir haben zum Beispiel in einem Tunnel gefeiert, bei dem noch die Bauarbeiten im Gange waren. Wir schickten eine SMS an tausende von Menschen und haben uns dann alle dort getroffen. Im letzten Augenblick schalteten wir den Strom ein, Licht und Musik gingen an und alle sind wie wild abgegangen, haben getanzt und gefeiert. Nach ungefähr einer Stunde kam dann meistens die Polizei. Aber da war es schon zu spät: Es waren zu viele Leute da, die konnten sie unmöglich alle evakuieren.
Musikalisch versuchen Sie an diese Zeit anzuschließen und sich damit neu zu erfinden, ganz unter dem Motto zurück zum Club-Sound.
Ich habe einen neuen Sound am Start, er heißt Future Rave. Die Songs mit meinem Freund Morten geben mir die Möglichkeit, zu den alten Zeiten zurückzukehren. Das ist dann keine Musik fürs Radio, die ich da mache. Es ist wirklich Musik für die DJs und die Festivals und die Electronic Music Lovers.
Was hat Sie dazu angestachelt?
Ich fand den Underground in den vergangenen Jahren interessanter als die Mainstream-Musik. Auf Festivals vor großem Publikum hat das aber nicht so recht funktioniert; das ist Musik, geeignet für kleine Clubs. Was ich also wollte, war, die Essenz des Undergrounds mit einem größeren Sound zu kombinieren – auch, weil ich dieses Gefühl von damals, mit den illegalen Raves, vermisst habe. Und einige der Sounds verwenden wollte, die ich schon in den Neunziger Jahren eingesetzt habe.
Das scheint prächtig anzukommen. Vom „DJ Mag“ wurden Sie zum Nummer-1-DJ des Jahres gewählt – ein Ritterschlag.
Das ist eine riesige Ehre und bedeutet mir sehr viel. Vor beinahe zehn Jahren habe ich die Wahl schon einmal gewonnen. Jetzt, nach all dieser Zeit, wieder die Nummer 1 zu sein, bedeutet mir sogar fast noch mehr. Weil es zeigt, meine Musik hat immer noch eine kulturelle Wirkung auf die Szene. Und weil es mich mit der jungen Generation connected. Das macht mich sehr glücklich.
Sie haben einmal gesagt, älter zu werden würde Ihnen gewisse Probleme bereiten. Nun sind Sie über 50. Haben Sie manchmal das Gefühl, Sie sind zu alt für all das?
Nein. Ich habe damals einfach unter der klassischen Midlife Crisis gelitten. Eine Momentaufnahme. Ich war ganz nah dran, mich am ganzen Körper tätowieren zu lassen und mir ein Motorrad zu kaufen. Das habe ich überwunden. Ich bin jetzt 55 Jahre alt – und vollkommen glücklich.
Sie leben in Dubai, auf Ibiza, in London, den USA, im Moment sind Sie in Paris. Ein Leben auf ständiger Reise.
Selbstverständlich bin ich Franzose. Aber ich fühle mich auch als Weltbürger. Ich kenne so viele verschiedene Menschen, aus verschiedensten Kulturen, und lebe selbst auch an vielen Orten. Mein Leben richtet sich an meiner Arbeit aus. Wenn ich einen Auftritt in Asien absolviere, bin ich in Dubai. In Europa lebe ich auf Ibiza. Und wenn ich in Vegas auflege, schlage ich mein Hauptquartier in Los Angeles auf. Aber in der heutigen Zeit ist das ohnehin irrelevant – wir können alles per Videokonferenz auf Zoom erledigen. Heutzutage musst du nirgendwo mehr persönlich hin.
Auf Ibiza, wo Sie tausende Fans mit Ihren Shows zum Tanzen bringen, wahrscheinlich schon. Was ist das Beste daran, dort aufzutreten?
Ich bin ein DJ – und Ibiza ist das Mekka der DJ-Kultur. Die Leute dort verstehen die elektronische Musik mit jeder Faser, deshalb ist es so angenehm, dort zu spielen. Und dann ist da noch die schöne Natur. Ich bin ein ewiger Hippie – und diese Insel hat einfach diesen gewissen Hippie-Spirit.
ZUR PERSON:
David Guetta wurde 1967 in Paris geboren. Mit 17 beginnt er, als DJ in Clubs aufzulegen. Auf Ibiza begeistert er das Partyvolk. Nach einigen Elektroalben wird er 2009 zum Popstar. Er landet Hits wie „When Love Takes Over“ und arbeitet mit Madonna, Rihanna oder Justin Bieber. Er war 22 Jahre mit Cathy Lobé
verheiratet (Kinder: Tim Elvis Eric, 16, Angie, 13). Seit vier Jahren ist er mit dem Model Jessica Ledon zusammen.
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