Alles dreht sich: Wie sich der Traumberuf DJ verändert hat
Zu Silvester vor 20 Jahren war es soweit: Erstmals wurde von einem Veranstalter eine Million Euro als Gage für einen DJ ausgelobt. Eine Million Euro. Für ein paar Stunden in einer Nacht. Für eine einzige Person.
Zwanzig Jahre. So lange ist es her, dass Menschen, die „einfach“ Schallplatten auflegten, begannen, am Nimbus von namhaften Musikern zu knabbern. „One More Time“ des sich ausschließlich mit Robotermasken präsentierenden DJ- und Musik-Duos Daft Punk lag in einigen Hitparaden der Welt vor Madonnas „Music“ oder „Beautiful Day“ von U2. Eine Zeitenwende, die nach Wiederholung schrie. One More Time.
Dass hier etwas in Bewegung gekommen war, wusste man natürlich schon länger. Spätestens als David Bowie 1979 in seinem Lied „DJ“ selbstbewusst frohlockte: „I am a DJ, I am what I play“, ahnten einige, dass sich in der Musikbranche noch etwas gewaltig ändern, dass hier gerade ein Berufsbild neu erfunden wird.
Dass ein DJ durchaus Menschenleben retten kann, sollten auch unbedarfte Radiohörer drei Jahre später erfahren, durch den Indeep-Hit „A DJ Saved My Life“. Discothekenbesucher wussten es längst. Denn die Ära von weiten Schlaghosen, rotierenden Discokugeln, „Saturday Night Life“, Studio 54“, „Fly“, „Motto“, „U4“ und wie sie alle hießen, verlieh auch der eher unscheinbaren Person am DJ-Pult eine neue Bedeutung. Und wegen der Musik, die aus deren scheinbar magischen Händen floss, war man schließlich hingepilgert.
"Was tut er da..?"
„Was tut er da, was macht er jetzt?“, bringt Marcus Füreder auf den Punkt, was die Massen, die Crowd, an den Fertigkeiten eines Musikauflegers interessiert und fasziniert. Keine Pause zwischen den Songs. Einen Fader rauf, den anderen runter. Die „beats per minute“ angeglichen, ready! Und der Mix klingt so perfekt, dass es alles, was Beine hat, einfach auf die Tanzfläche ziehen muss. We will funk you!
Als Marcus Füreder schaute der Kunststudent aus Linz den DJ-Stars in angesagten Clubs zwischen Berlin und London auf die Finger. Damals in den Neunzigerjahren, als mit den späteren Downbeat-Legenden Kruder & Dorfmeister ein DJ- und Produzentenduo aus Wien dem "Vienna Sound" international zum Durchbruch verhilft. Längst zieht er selbst die Blicke der sich um die Turntables scharenden „Desksharks“ auf sich: als Parov Stelar, als einer der meistgefragten Acts der Dancefloor-Szene.
Parov Stelar ist Mitbegründer des um die Jahrtausendwende immer maßgeblicher werdenden Musikstils Electroswing. Die Kombination aus moderner, elektronischer Tanzmusik und altem Jazz schlug Wellen.
Schlägt Wellen. Denn während Techno nach Aufmärschen mit bis zu 1,6 Millionen Loveparade-Besuchern an seiner eigenen Gigantomanie erstickte, erneuerten sich stetig jene Subgenres, die nach DJ-Helden dürsten statt nach Gitarrengöttern.
Vergöttert und einsam
Ob Acid-House, Ambient, Drum and Bass, Electronic Body Music (EBM) oder Electronic Dance Music (EDM), überall galt, was Maxwell Fraser alias Maxi Jazz vom Londoner Trip-Hop-Trio Faithless so formulierte und zum Titel einer weltweiten Hitsingle sang: „God Is a DJ“.
„Sicher, du wirst verehrt, wenn der Abend gut läuft“, erzählt Parov Stelar aus eigener Erfahrung. „Aber der Job hat auch Momente, in denen er dich sehr einsam macht.“
Ob am Strand von Goa, in einer Großraumdisko auf Ibiza oder im Refugium in einem arabischen Emirat: DJ-Acts vor so unterschiedlichen Partygästen können schwer verdaulich sein. Besonders das Aufwachen in einem anonymen Hotelbett am folgenden Mittag.
Aber da war noch etwas anderes, das der Atmosphäre zusetzte: die Technik. Irgendwann nach dem Jahr 2000 tauchte auf einmal statt den gewohnten Typen mit den voluminösen Plattenkoffern ein smarter Bursche auf, der für seine Musikauswahl nur mehr ein schmales Zäpfchen brauchte, einen USB- Datenstick!
Ob er an der Einsamkeit des DJ-Daseins zerbrach? DJ Avicii („Wake Me Up“) schied im April 2018 völlig unerwartet mit nur 28 Jahren aus dem Leben. Mehr Licht in seine Tragödie bringt vielleicht eine Biografie zu seinem Leben, die im November in einem Jahr erscheint.
"Rave-o-lution"
Leute, die Laptops auf dem Tisch aufklappen und auf den Monitor starren, statt schwarze Vinylplatten gekonnt auf den legendären SL-1200-Turntables von Technics zu platzieren, „haben diesem Job natürlich viel von ihrem Zauber genommen“, bestätigt Parov Stelar.
Als wäre das nicht genug, kam weitere Konkurrenz hinzu. Streamingdienste wie Spotify oder Deezer haben das Musikgeschäft revolutioniert oder „rave-o-lutioniert“, wie manche meinen. Auf einmal schweben Millionen Songs quasi in der Luft. Man muss sie nur in der richtigen Reihenfolge runterholen. Und für die richtige Stimmung. Längst auch locker per Mischpult-App auf dem Tablet.
Oft leichter gesagt als getan. „Zu Musik von Platten zu tanzen wurde erst in den päten Sechzigern beliebt“, weiß Maximilian Lenz, der als WestBam diese Gabe zur Kunst gemacht und mit „Mayday“ und „Die Macht der Nacht“ jahrelang zwei prominente Rave-Events in Deutschland veranstaltet hat. Dass er es mit Mitte fünfzig immer noch souverän beherrscht, bewies er vor vier Monaten inmitten der „Gärten der Welt“ in Berlin. Zu Ehren seines legendären Weggefährten Dr. Motte gab er einen „Geburtstagsstream“. Gut aufgelegt und – Covid-19 geschuldet – ohne Publikum.
Wie WestBam kennt auch Parov Stelar die DJ-Historie aus dem Effeff. Beide wissen, warum gerade das französische Duo Daft Punk mit ihrer Verehrung von Musiklegende Giorgio Moroder richtig liegt (weil die Institution der „La Discothèque“ eine Erfindung eines ehemaligen Jazz-Pianisten im besetzten Paris ist). Und beide wissen, dass sich Musik ständig im Wandel befindet.
Klassik und Techno mögen zwar Welten trennen, aber auch letzteres Genre hat es mit „Bum, Bum, Bum“ immerhin zu einem unüberhörbaren Erkennungszeichen geschafft – so wie Beethovens „ta-ta-ta-taaa“.
So gesehen wird der Berufsstand, der natürlich auch seine Schattenseiten hat, locker fertig mit Trittbrettfahrerinnen wie den Celebrity-DJanes Hotel-Erbin Paris Hilton oder Natasha aus Russland, die als „Nata Lee“ Instagram mit freizügigen Fotos bombardiert.
Respekt, Respekt
Ansonsten wird in der Szene der Respekt unter Kollegen hochgehalten. Alleine schon, weil man sich immer wieder über den Weg läuft. Und das selbst an Orten, die man als Superstar vielleicht nicht wirklich am Radar hatte. St. Pölten etwa. Parov Stelar und Steve Aoki zum Beispiel waren im Oktober vor einem Jahr Headliner in der 10-Jahres-Jubiläumsausgabe des dortigen „Beatpatrol Festivals“.
Eines aber hat sich seit den „Heydays“ der Branche definitiv geändert. Ein DJ ist längst keine „One-Man-Band“ mehr. Parov Stelar: „An ,Are You Ready For Voodoo?’ meiner Konzerthaus-Show im März, sind zwei Dutzend Mitarbeiter beteiligt, von Musikern und Tänzern bis zu Licht- und Videokünstlern.“
Kommentare