Die fabelhafte Mrs. Miley: Ihr Weg zum Pop-Superstar

Die fabelhafte Mrs. Miley: Ihr Weg zum Pop-Superstar
Endlich erwachsen. Nach der Scheidung von Liam Hemsworth zeigt Miley Cyrus, was sie wirklich drauf hat. Und schürt mit phänomenalen Live-Gigs die Erwartungshaltung auf ihre CD „Plastic Hearts“.

"Wow!“, ist die allgemeine Reaktion auf eine Serie von Live-Videos aus dem legendären „Whiskey A Go Go“ in Los Angeles. Darauf zu sehen: eine astrein knüppelnde junge Rockband, vorbildlich in NMS-Masken, und eine blonde Sängerin, die nach Dosenbier und Bourbon klingt und deren Bühnenpräsenz, Fake-Pelzjacke inklusive, ganz großes, mit jeder Faser glaubwürdiges Rock-Bitch-Feeling ausstrahlt. Draußen vor dem Schuppen, da ist man sich sicher, wenn man die Videos sieht, warten ihre Kumpels mit den schweren Bikes, und zwar solche von der Sorte, denen man gern und mit einem bemühten Lächeln in jeder Verkehrssituation den Vorrang lässt, Straßenverkehrsordnung hin oder her.

„WER ist das?!“, kommt dann als nächste Frage, aufgeregt, ungläubig, weil man die Antwort eigentlich kennt, steht schließlich beim Video dabei, muss aber erst verdaut werden. „DAS ist MILEY?“ Yep, das ist Miley. Oder sollte man vielleicht sagen Miley 2.0? 3.0?
Denn so viel steht fest: Die 27-Jährige aus der Country-Hochburg Tennessee hat durch extreme Image-Wechsel schon einige Male für Aufsehen gesorgt. Was ist also dran, an der neuen Miley Cyrus? Und: Wie kam es zu dieser dramatischen Reinkarnation?

Es hat sich schon eine Weile abgezeichnet. Vergangenes Jahr beim großen Glastonbury-Festival etwa,  das seit 1970 beinahe jährlich Woodstock-Vibes von der britischen Insel in die Welt schickt. Da stand also plötzlich diese Pop-Prinzessin, die aufrechten Alternative-Fans eher durch skandalträchtige Twerk-Einlagen, zwanghaftes Zungezeigen und Nackig-auf-der-Abrissbirne-Sitzen ein Begriff war, als durch ihre Musik.

Aber Miley zeigte den mehr als 100.000 Skeptikern vor der großen Bühne, dass sie genau hier hin gehörte und knallte ihnen ein gitarrenlastiges Set inklusive „Black Dog“ von Led Zeppelin um die Ohren, dass es nur so krachte. Die Menge war perplex, überrascht, erfreut, begeistert und schließlich total aus dem Häuschen. So geht live!

Skandalös (&) gut

Wer sich für Miss Cyrus über die Jahre ein wenig interessiert hätte, statt automatisch die Ohren zuzuklappen, sobald sie koboldartig und zugegebenermaßen nicht ganz nervschonend irgendwoauftauchte, wäre vielleicht nicht ganz so verblüfft gewesen. Immerhin coverte sie über die Jahre  Fleetwood Macs „Landslide“, „Teen Spirit“ (Nirvana), „Wild Horses“ (Rolling Stones) und auch Metallicas „Nothing Else Matters!“.

Ihr Duett mit Billy Idol, mit dem sie vor vier Jahren das Radio Music Festival in Las Vegas rockte („Rebel Yell“), ist inzwischen Kult, und die britische Alternative-Folk-Band „alt-J“ ist ihr bis heute dankbar, dass Miley sie auf  „Bangerz“-Tour einem Millionenpublikum vorgestellt hat.

Und noch etwas ist Bikern und Rock-Heads ebenso entgangen wie den hehren Musikfreunden, die beim Wort Mainstream oft allzu schnell die Nase rümpfen: Bei – fast –  allem, was Miley Cyrus bisher an Pop, Country und Hip-Hop abgeliefert hat, überzeugte sie durch Qualität. Von „Party In The USA“ bis zur aktuellen Single „Midnight Sky“, quasi einer Hommage an Stevie Nicks, eines ihrer großen Vorbilder.

Rebellion hat ihren Preis

Um zu verstehen, was sie antreibt, warum sie sich schon so oft komplett neu erfand, dabei immer wieder aufs Neue provoziert, sollte man allerdings noch weiter zurückblicken. Ihr Vater ist Country-Star Billy Ray Cyrus („Achy Breaky Heart“, „Old Town Road“), ihre Patentante Dolly Parton. Ihr Großvater Ronald Ray Cyrus war ein Air-Force-Veteran und demokratischer Abgeordneter in Kentucky.

Ursprünglich wollte sie Schauspielerin werden, ihre erste größere Rolle bekam sie mit zehn Jahren in Tim Burtons zauberhaftem „Big Fish“. Mit elf gewann sie ein Vorsprechen für Disneys „Hannah Montana“.

Der Rest ist Geschichte, beziehungsweise fängt die Geschichte der öffentlichen Figur Miley Cyrus, zu der jeder eine Meinung hat, hier an. Sie wurde ein Kinderstar mit allem, was dazugehört: glühende Verehrung und jede Menge Hate. Sieben Jahre lang blieb Miley auf Disneys strenger Schiene für brave Vorzeigemädchen, auch wenn das Ende nicht friktionsfrei war. „Disney will nicht, dass du erwachsen wirst“, sagte sie nachträglich in einem Interview.

Mit „Can't Be Tamed“ durfte sie 2010 ihr erstes, in den USA nur mäßig erfolgreiches, Erwachsenen-Album machen. Ihr letzter Hannah Montana-Soundtrack floppte darauf hin vollends und sie musste erkennen, dass die Bewunderung der glühenden Verehrer sehr schnell in Hass umschlägt, wenn der Star nicht mehr dem Bild entspricht, das sich der Fan von ihm gemacht hat.

Ziemlich genau hier, also drei Jahre vor ihrem Mainstream-Durchbruch mit ihrem Powerpop-Album Bangerz, beginnt Miley Cyrus Live-Videos auf YouTube zu posten, die sie in einem Garten mit ihrer Band einspielte. Unprätentiös, schnörkellos, einfach gut. „Jolene“ etwa, von ihrer Tante Dolly Parton.

2015 gründete sie die „Happy Hippie Foundation“, mit der sie Geld für obdachlose Jugendliche sammelt und sich für die Rechte der schwul-transgender-lesbischen Community setzte. Auch die „Backyard Sessions“ nahm sie mit ihren „Hippies“ wieder auf, Joan Jett, Melanie und Ariana Grande waren unter den musikalischen Gästen. Heuer gab es die dritte Staffel mit herrlichen Versionen von Lou Reeds „Sweet Jane“ und Pearl Jams „Just Breathe“.

In guter Gesellschaft

Zwischendurch schockte sie die Welt als Gangsterbraut an der Seite von Mike Will Made It und ganz allgemein als 20-jährige Frau, die mit ihrer Sexualität, nennen wir es einmal vorsichtig, „recht offensiv“ umgeht. Eine Verhaltensweise, die vor 50 Jahren bei jungen Männern wie Jim Morrison oder Robert Plant zu Protesten des Bürgertums sorgte, seitdem allerdings als naturgegeben hingenommen wird.

Vielleicht kann man das in 50 Jahren dann auch über die weibliche Hälfte der Bevölkerung sagen.

Dass sie dazu nicht nur schocktherapeutisch etwas beizutragen hat, zeigte Miley Cyrus kürzlich mit einem anderen YouTube-Video: Sie interviewte – damals noch – Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris, und erhielt für ihre Gesprächsführung auch von etablierten Journalisten uneingeschränktes Lob. Hut ab, vor der neuen, alten, noch immer jungen und vor allem immer aufregenden Miley Cyrus.

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