Michael Patrick Kelly: "Ruhm hat nicht nur Vorteile"
Als Paddy in der Musikerfamilie Kelly Family schon in jungen Jahren bekannt, zeigt sich Michael Patrick Kelly, 42, heute in der TV-Show "Sing meinen Song" so nahbar wie nie zuvor. Im Gespräch mit einem, der erst im Kloster zu sich selbst fand.
13.06.20, 09:02
von Alexander Kern
Der Friede hielt nicht lange. Als sich die Kelly Family wiedervereinte, frohlockten die Fans. Dreieinhalb Jahre ging das gut, doch kürzlich verkündete Angelo, der Jüngste, seinen Abschied. Zu stressig, zu ungesund sei das alles. Und diesmal soll es für immer sein. Sein Bruder Michael Patrick Kelly, genannt Paddy, hat die Trennung von der Familienband schon lange vollzogen. Einst war er ein Teenie-Idol, angehimmelt von tausenden Mädchen. "Ich hatte Haare bis zum Po – wenn ich Bilder von damals sehe, muss ich schmunzeln", sagt er. Heute ist er Solo-Künstler mit erfolgreicher Single ("Beautiful Madness") und eigener TV-Show ("Sing meinen Song"). Wenn Kelly spricht, klingt er gelöst, zuvorkommend, und so reflektiert wie ihn wünschte man sich jeden Künstler. Die Kelly Family? Kein Thema. Doch der Weg dahin war weit.
Sie sind ein tiefgründiger Mensch, Popmusik hingegen ist meist etwas Leichtes. Es geht darum, eine gute Zeit zu haben. Wie geht das zusammen?
Michael Patrick Kelly: Sie haben Recht, meistens verkörpert die Popmusik Fun, Party, Love und Leichtigkeit. Es gibt aber auch tiefgründige Songs. Es ist wie mit dem Komiker, der einem die Wahrheit zu Gesicht bringt, indem er Humor einsetzt. Plötzlich macht es Spaß, die Wahrheit zu konsumieren. So sehe ich das auch. Ist ein Song ein Ohrwurm und zugleich bedeutsam, dann ist es ein gelungenes Werk.
Sie haben einen Hang zur Message. Sehen Sie sich als Sänger auch ein bisschen als Missionar?
Ich möchte einfach Gutes bewirken. Friedrich Nietzsche hat geschrieben: "Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum." Er hat Recht. Eine Hochzeit ohne Lieder? Morgens im Auto ohne Musik zur Arbeit? Das wäre ein trauriger Tag.
Ihr Leben als Musiker bietet beides, viel Grund zur Freude, aber auch bittere Momente. In jedem Fall geballte Ladungen von beidem.
Michael Patrick Kelly: Mein Leben könnte man in drei Phasen einteilen. Die ersten 27 Jahre bin ich in einer Großfamilie aufgewachsen. Angefangen haben wir als Straßenmusiker, dann ging es in die Stadien; gelebt haben wir erst in einem Doppeldeckerbus, dann auf einem Hausboot, irgendwann in einem Schloss. Ziemlich crazy also.
Und doch ging’s ab da erst richtig los.
Meine zweite Phase waren die sechs Jahre im Kloster. Zurückgezogen von der Öffentlichkeit, in Stille. Kein Vagabundenleben mehr, sondern ein reguläres. Jetzt ist die dritte Phase: Solo-Künstler. Ich verstehe, wenn viele fragen: Wie kann ein Mensch so viele Leben leben? Zumal sie widersprüchlich wirken.
Mit der Kelly Family feierten Sie riesige Erfolge. Dennoch haben Sie am Höhepunkt aufgehört und gingen ins Kloster. Warum?
Die meisten jungen Menschen haben als Wünsche im Kopf: Geld, Ruhm und ein Superstar werden. Sie wollen Schauspieler sein, Model, Fußballer oder ähnliches. Ich durfte mit Anfang 20 viel von diesem Erfolg erleben, dem alle nacheifern. Trotzdem hatte ich stets eine Sehnsucht nach mehr. Ich litt an einer inneren Leere und es gab nichts Materielles, das diese Leere ausfüllen konnte.
Für viele ist das unvorstellbar. Für sie gilt Erfolg als Heiliger Gral.
Viele Stars haben so tolle Karrieren. Man denkt, wow, die haben ja alles. Warum müssen die noch Drogen nehmen? Wozu Eskapaden und Exzesse? Weil ein Superstar zu sein nicht zwingend glücklich macht. Ich verstehe, dass viele Lotto spielen, um sich ihre Träume zu erfüllen. Aber Geld allein macht nicht glücklich. Das wäre zu leicht. Auch der Ruhm hat nicht nur Vorteile.
An einem gewissen Punkt waren Sie so unglücklich, dass Sie keinen Ausweg mehr gesehen haben. Wollten Sie tatsächlich allem ein Ende setzen?
Ja. Ich habe Leere und Leid gespürt, wollte einfach den Stecker ziehen, damit das endlich aufhört. Ich kann verzweifelte Menschen, die keinen anderen Ausweg sehen, gut verstehen. Ich hab’ Gott sei Dank die Kurve gekriegt. Auf gewisse Art deute ich es als Auftrag, mit Musik anderen Hoffnung zu bringen.
Was hat Ihnen geholfen, den Sinn im Leben wiederzufinden?
Meine spirituelle Suche. Ich habe mich in den Koran, asiatische Philosophie, den Buddhismus eingelesen. Die Bibel hat mich am meisten angesprochen. Ich fragte mich: Wer bin ich? Was passiert nach dem Tod? Die Antworten hatten mit meinem Leben nichts zu tun. Und schon gar nicht, was darin für Glück stand. Ich musste erst meine Identität finden. Die Zeit mit der Family-Band war so eine Kollektividentität. Wenn man als Solo-Künstler startet, erfordert das ein Loslassen, und das ist nicht einfach. Die Zeit im Kloster war ein Aufbruch.
Wie verlief Ihr Leben im Kloster?
Ich war einer von 60 Mönchen. Jeder Tag war sehr strukturiert. Erst vier Stunden Gebet und Meditation. Dann Unterricht in Theologie. Danach handwerkliche Tätigkeiten wie Abwaschen, Putzen oder Töpfern. Einmal die Woche wurde Fußball gespielt, aber natürlich musste ich auch Kartoffeln schälen. Das alles war sehr gesund für mich.
Kartoffelschälen als Lebenselixier sozusagen?
Vor der Zeit im Kloster hatte ich Leute, die mir jeden Wunsch erfüllt haben. Plötzlich musste ich simple Arbeiten verrichten. Ein Jahr lang war ich für den Müll zuständig, ich war der Müllmann. Das erdet einen wieder. Die meisten Mönche wussten auch nichts von meiner Vergangenheit. Man ist mir auf Augenhöhe begegnet, und das war etwas, das ich nicht kannte. Zum ersten Mal war ich nicht der Star, sondern der Mensch. Ich zehre heute noch von der Zeit.
Wo schöpfen Sie heute Kraft?
Zweimal im Jahr in Klöstern in den Bergen, ab und zu auch in Österreich. Einfach mal offline gehen und sich stattdessen bei Gott einloggen, das renkt mich wieder ein, bevor ich weitermache in dieser Zirkuswelt der Musikbranche.
Sie finden, wir sind zu wenig dankbar. Woran krankt es in der heutigen Zeit?
An der Gier nach Geld. Wenn Geld wichtiger wird als der Mensch haben wir ein Problem. Am Krieg werden Milliarden verdient. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist unverantwortlich. Die kapitalistische Denke "Mehr ist mehr" führt zu nichts. Die Gier ist vielleicht das schlimmste Virus. Nach Geld, Macht oder Anerkennung. Vielleicht verursacht das so viel Zerstörung. Sich solche Fragen zu stellen ist vielleicht das Positive an dieser Corona-Krise.
Glauben Sie, die Menschen werden sich auf die wahren Werte zurückbesinnen, wenn alles wieder "normal" ist?
Ich fürchte, viele werden tun wie vorher. Es wäre schön, wenn wir aus dieser Zeit lernen, dass der Planet vor Profit kommt. Für jeden Flug von mir lasse ich einen Baum pflanzen. Ich bin deshalb kein Held. Diese Kompensation müsste selbstverständlich sein. Meine Autokino-Konzerte spiele ich, um der Crew zu helfen. Sie wären sonst arbeitslos. Wer stark ist, kann dem Schwachen helfen.
Wen freuen Sie sich im Himmel zu treffen?
Den unsichtbaren Regisseur meines Lebens. Dann meine Eltern. Und Vorbilder wie Jimi Hendrix, Elvis und Amy Winehouse. Vielleicht darf ich für sie den Kabelträger spielen. Oder für Frank Sinatra. Das würde mir schon reichen. Ich muss nicht singen. (lacht)
MICHAEL PATRICK KELLY, 42, wurde 1977 in einem Wohnwagen in Dublin geboren. Als Kind der Kelly Family war er jahrelang Straßenmusiker. Mit 15 schrieb er den Riesenhit "An Angel" (1994). Die Band verkaufte mehr als 20 Millionen Platten. 2002 starb sein Vater, die Band begann sich aufzulösen. 2003 gab Kelly sein Solo-Debüt, 2004 begann er als Mönch in einem Kloster im Burgund ein neues Leben. Comeback 2010 (u.a. das Album „iD“). Mit den Kellys tritt er nicht mehr auf. Aktuell ist er Gastgeber von "Sing meinen Song", an der u.a. Max Giesinger teilnimmt. Seine Single "Beautiful Madness" ist auch Titelsong der Show. Kelly ist seit 2013 mit Jugendliebe Joelle verheiratet.
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