Mit „Mehr als nur ein Like“ kritisiert Amy Wald unseren Umgang mit den sozialen Medien - und ist seit fünf Wochen Nr. 1 der Ö3-Austro-Charts. Sie wollte eigentlich Fußballerin werden.
Halsketten aus dem Baumarkt, fette Ringe mit Totenköpfen, knallorange Haare, Tattoos und Nasenring: Amy Wald ist ein Hingucker. Die meisten kennen die Salzburgerin allerdings vom Hören – aus dem Radio: „Mehr als nur ein Like“ heißt ihr poprockiger Ohrwurm, der es an die Chartspitze geschafft hat. Eine Auseinandersetzung mit Instagram & Co. Die 25-Jährige weiß, dass sie den sozialen Medien viele Fans zu verdanken hat. Aber sie besingt auch die negativen Seiten. Zum Gespräch hat sie die YouTuberin Valentina Vale mitgenommen. Mit ihr ist sie beruflich verbandelt und privat liiert.
freizeit: Amy, oft gelingt einem Künstler ein Hit mit einem Song, bei dem er am wenigsten damit gerechnet hatte. Ging es Ihnen auch so?
Amy Wald: Ich hatte absolut keine Erwartungen. Im Studio haben wir gesagt, wir schreiben diesen Song jetzt, ohne dass wir daran denken, dass er im Radio gespielt wird. Das hat Druck rausgenommen. Wir hatten überhaupt nicht damit gerechnet, dass der Song funktioniert. Als ich ihn das erste Mal im Radio gehört habe, war das ein Wow-Moment. Als er auf Platz eins ging, ein weiterer.
Wann haben Sie begonnen, Musik zu machen?
Erst spät. Mit 16 habe ich das erste Mal einen Akkord auf der Gitarre gelernt. Ich habe auch getrommelt, das war gut fürs Taktgefühl. Meine Mama hat probiert, mir Klavier zu lehren. Das ist schiefgegangen. Ich mag Musik, weil ich damit meine Gefühle besser ausdrücken kann als in einer Unterhaltung. Ich kann an einem Satz so lange tüfteln, bis er exakt das aussagt, was ich möchte. Eigentlich wollte ich aber Fußballerin werden.
Auf welcher Position haben Sie gespielt?
Alaba. Also, Linksverteidiger. Nur wurde ich schnell damit konfrontiert, dass man als Mädchen, das Fußball spielt, nur verarscht wird. Am Sportplatz haben die Jungs gesagt, ich habe hier nichts zu suchen. Die blöden Kommentare haben mich sehr eingeschüchtert.
Wie ging es weiter?
Ich habe den Sport geliebt, aber das hat mir die Freude daran verdorben. Ich wollte nie wieder dort spielen, und nie wieder mit diesen Jungs. Auch nicht, als ich besser als die geworden bin. Auch nicht, als mich ihr Trainer gefragt hat, ob ich mittrainieren möchte. Obwohl ich bei keinem Verein eingeschrieben war, habe ich es in die Salzburger Landesauswahl geschafft. Beim Abschlussturnier wurde ich zur Spielerin des Turniers und zur Torschützenkönigin gekürt. Darauf bin ich vielleicht stolzer als auf so manch musikalische Erfolge. (lacht)
Warum haben Sie aufgehört?
Mädchen, mit denen ich damals am Platz stand, wie Sarah Zadrazil oder Laura Feiersinger, spielen heute im Nationalteam. Dafür hätte ich früher beginnen müssen, professionell zu trainieren. Für die körperliche Durchsetzungskraft wäre es von Vorteil gewesen. Für mich war es halt ein Hobby.
War das der Moment, als Sie in Betracht gezogen haben, Sängerin zu werden?
Das kam in England. In Williton, West Somerset habe ich ein Auslandssemester absolviert. Ich war 16 und hatte viel Freizeit. Damals habe ich begonnen, Musik zu machen. Ich hoffte, ich könne beruflich Songs schreiben, die andere dann interpretieren.
Es kam anders.
Nach der Matura haben Sie Ihren Job als Verkäuferin gekündigt, als Sängerin alles auf eine Karte gesetzt und sind Straßenmusikerin geworden. Meine größte Angst war, was meine Eltern dazu sagen würden. Ich habe gezittert und geheult und hatte richtig Angst. Obwohl sie nur zehn Minuten entfernt wohnten, habe ich es ihnen am Telefon gesagt. Erst meinem Dad, weil ich ahnte, er würde es besser verkraften. Dann der Mama. Immerhin war die Entscheidung gefallen, ich hatte gekündigt. Ich konnte es nicht mehr ändern, und auch sie würden damit klarkommen müssen.
Wie war Ihr Leben als Straßenmusikerin?
Begonnen habe ich in Salzburg, am Mozartsteg. Teilweise habe ich nichts verdient, dann 50 Euro am Tag. Die Straße ist ein hartes Pflaster. Ich weiß, was es heißt, vor Leuten zu spielen, die gerade keinen Bock auf dich haben, gestresst sind, genervt von einem langen Arbeitstag. Das ist nicht negativ gemeint. Aufmerksamkeit muss man sich erkämpfen.
Es blieb nicht bei Salzburg.
Bei meiner ersten großen Tour war ich drei Monate in Deutschland unterwegs. Ich habe in dieser Zeit keinen Cent für eine Unterkunft ausgegeben, sondern ausschließlich bei Leuten übernachtet, die mir via Instagram einen Platz zum Schlafen angeboten haben. Die kannten mich von den Clips, die ich gepostet habe. Ich habe diese Videos als Projekt gesehen: Ich wollte zeigen, wie es mir geht beim Versuch, Musik zu machen und davon zu leben. Und das als völliger Anfänger. Von meinem ersten misslungenen Auftritt bis zur Panik im Proberaum.
Trotz dieser positiven Erfahrungen betrachten Sie mit „Mehr als nur ein Like“ die sozialen Medien auch von einer kritischen Seite. Warum?
Der Song ist eine selbstkritische Auseinandersetzung mit dem Thema. Ich musste ja persönlich realisieren, dass es nicht nur darum geht, mehr Follower zu bekommen, mehr Reichweite. Sondern dass es Wichtigeres gibt als diese Zahlen. Man verliert sich sehr schnell in dieser Welt. Jeder kennt das, wir freuen uns über ein Like. Und noch mehr freuen wir uns über mehr Likes. Ich musste lernen, damit umzugehen, weil es Momente gab, in denen ich das nicht konnte.
Viele sehr junge Menschen beschäftigen sich heute so intensiv mit Reichweiten, als wären Sie ein Medienunternehmen.
Es ist beängstigend. Wenn ich mal Kinder habe, ist es wahrscheinlich noch schlimmer geworden. Kinder messen sich daran, wie viele Likes sie haben. Wer viele aufweist, ist auch als Freund gefragter. Das ist gefährlich.
Sie sind privat mit einer Frau liiert. Wie haben Sie Ihr Outing in Erinnerung?
Ich war 15 Jahre alt. Ich habe es der Familie erzählt und engen Freunden, bei denen ich wusste, sie haben kein Problem damit – auch um mich aufzufangen, falls das bei anderen nicht der Fall ist. Meine Eltern sind sehr offen, mit ihnen habe ich großes Glück. Aber ich weiß, wie viele Menschen ihr Outing beschäftigt, sie deshalb nicht schlafen können und unter Panikattacken leiden. Man will niemanden damit verletzen. Gleichzeitig denkt man die möglichen Reaktionen durch, die einem selbst hart zusetzen könnten. Es frisst einen innerlich auf, weil man es niemandem erzählen kann. Ich musste selbst erst herausfinden, dass ich anders bin. Plötzlich nicht mehr der gesellschaftlichen Norm zu entsprechen – damit musst du erst klarkommen.
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