„Kein Wunder, dass Lehrende sich alleingelassen fühlen“

„Kein Wunder, dass Lehrende sich alleingelassen fühlen“
Schule und Gesellschaft verändern sich rapide und kontinuierlich. Lehrkräfte müssen flexibler sein denn je und sich ständig weiterentwickeln. Das Fortbildungsangebot könnte Nachhilfe gebrauchen.

Junge Menschen von heute werden in zwanzig Jahren in einer Zukunft leben, die sich von unserem Alltag radikal unterscheidet und die wir uns heute noch nicht einmal ansatzweise vorstellen können. Wie die Schule sie auf diese Zukunft vorbereiten soll? Dazu gibt es zahlreiche Modelle und Studien: Der OECD-Lernkompass und das 4K-Modell zeigen vielfältige Kompetenzen auf, die Lernende im 21. Jahrhundert erwerben müssen, um eine ungewisse Zukunft aktiv navigieren und gestalten zu können – etwa Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und kritisches Denken.

Diejenigen, die den Schülerinnen und Schülern genau das vermitteln sollen, wissen aber oft nicht, wie. „Während sie mit ohnehin überfrachteten Lehrplänen, Mangel an Lehrpersonen und mehrsprachigen Klassen kämpfen, werden ständig neue Anforderungen an sie herangetragen: innovativ und mit digitalen Tools unterrichten, fachübergreifende Kompetenzen vermitteln und gleichzeitig auch gute Elternarbeit betreiben sowie Schulveranstaltungen organisieren“, weiß Maximilian Schulyok, Geschäftsführer des öbv (Österreichischer Bundesverlag). „Mich wundert es nicht, dass viele Lehrende sich in diesem Zwiespalt überfordert und alleingelassen fühlen.“

Bessere Fortbildung

Wie lehrt man also diese neuen, übergreifenden Kompetenzen? Wie macht man gute Elternarbeit und wie setzt man digitale Tools im Unterricht tatsächlich sinnvoll ein? Vieles davon wird im Lehramtsstudium nicht oder nicht genug thematisiert. Zudem geben 47 Prozent der Lehrenden in einer Umfrage des öbv an, dass sie das bestehende Fortbildungsangebot nicht ausreichend finden: zu praxisfern, zu wenig konkret, zu unflexibel. „Da könnte ich jetzt zwei Stunden reden!“, ruft der Tiroler Mathelehrer Michael E. Luxner aus, als er nach aktuellen Problemen bei der Lehrendenfortbildung gefragt wird und fügt hinzu: „Ich bin kein Fan der Fortbildung mehr.“

Leila Babić, die bis letztes Jahr über Teach for Austria als Lehrerin tätig war, gibt zu bedenken: „Es gibt Fortbildungen, die großartig sind, aber eben auch viele, die theoretisch und verstaubt sind. Ein bisschen Nachhilfe könnte das Fortbildungsangebot schon gebrauchen.“ Die Lehrerin Anna Weghuber bemängelt vor allem den fehlenden Praxisbezug vieler Fortbildungen: „Ich habe acht Jahre lang an einer Mittelschule mit 100 Prozent SchülerInnen nichtdeutscher Herkunftssprache unterrichtet. Wenn man in Fortbildungen hört, was man alles tun sollte, ist das oft realitätsfern. Ich brauche praxisbezogenen Input, der umsetzbar ist und funktioniert.“

„Kein Wunder, dass Lehrende sich alleingelassen fühlen“

Maximilian Schulyok, Geschäftsführer des öbv

Lücken füllen

Die ehemalige Lehrerin Evelyne Fössleitner hat mit einem Team von engagierten Lehrerinnen und Lehrern beim öbv die innovative Fortbildungsplattform lörn entwickelt, die im November an den Start ging: „Wir wollen mit lörn genau diese Lücke füllen und praxisnahe Fortbildungen zu den Themen anbieten, die Lehrenden im Schulalltag am meisten weiterhelfen.“

Die lörn-Kurse werden zum Großteil von Lehrerinnen und Lehrern angeboten, die selbst jeden Tag in Österreichs Klassenzimmern stehen und so hautnah über die Bedürfnisse ihrer Kolleginnen und Kollegen Bescheid wissen – das Motto lautet „Aus der Praxis für die Praxis“. Teilnehmen können Lehrende ganz einfach online, örtlich und zeitlich flexibel.

Die drei inhaltlichen Schwerpunkte wurden mit Expertinnen und Experten erarbeitet, die die Bedürfnisse aus der Schulpraxis genau kennen: Unter dem Schlagwort Innovativer Unterricht werden etwa fächerübergreifende theaterpädagogische Ansätze sowie agiler Unterricht vorgestellt, der die Selbstständigkeit der Lernenden stärken soll. Der Einsatz digitaler Tools wird praxisnah mit konkreten sinnvollen Anwendungsfällen vermittelt, denn wie Luxner überzeugt ist: „A fool with a tool is still a fool. Mit dem Tool alleine kann man relativ wenig anfangen, man braucht ein Konzept dafür.“ Herausforderungen im Schulalltag, die schon im Lehramtsstudium kaum vorkommen, werden ebenfalls thematisiert: Elternarbeit und Leitung von Deutschförderklassen ebenso wie authentischer statt autoritärer Unterricht.

lörn ist eine digitale Bildungsplattform für Lehrende, die der öbv in Zusammenarbeit mit engagierten Lehrkräften als Antwort auf die vielfältigen Herausforderungen im Schulalltag ins Leben gerufen hat. Die angebotenen Fortbildungen sind digital, terminunabhängig, aus der Praxis für die Praxis und decken vielfältige Themen von innovativem Unterricht über Herausforderungen im Schulalltag bis hin zu neuen digitalen Tools und Trends ab.

www.loern.at

Projektmanagement

Weghuber kann kaum glauben, dass vieles in den Schulen noch so gemacht wird wie vor 30 Jahren: „Wenn das Schulsystem ein Unternehmen wäre, wäre es schon im Konkurs.“ Sie bietet auf lörn einen Kurs zur Organisation von Schulveranstaltungen an, der auf modernen Projektmanagement-Methoden beruht. Um ihn so praxisnah wie möglich zu gestalten, zieht sie den ganzen Kurs am Beispiel einer realen Schulveranstaltung auf, die sie selbst organisiert hat.

Mathe mit Memes

Luxner adressiert in seinen lörn-Einheiten das Problem, dass für junge Menschen Mathe meist sehr abstrakt bleibt. Für Lehrpersonen ist es oft herausfordernd, sie auf gute Art und Weise dabei zu unterstützen, in Mathe Erfolge zu feiern. Luxner erklärt, wie Bilder und Visualisierungen im Unterricht gezielt als Erinnerungshilfen eingesetzt werden können. Seine Klasse fordert er etwa auf, sich in die Rolle des Pythagoras zu versetzen, der eben seinen berühmten Lehrsatz entdeckt hat. Wie würde er diese Entdeckung auf Instagram teilen? So werden abstrakte Lerninhalte für junge Menschen plötzlich greifbar.

(Sprachliche) Diversität

Babić ist heute nicht mehr als Lehrerin tätig, sondern fördert im Rahmen der Culture School Diversität in Schulklassen. Sie bietet auf lörn Kurse zu kultureller Vielfalt und Gender-Dynamiken an. Unter Lehrenden herrscht viel Unsicherheit: Sollte ich Herkunft im Unterricht thematisieren? Wie spreche ich darüber, ohne dass es anmaßend oder rassistisch ist? Babić hat selbst zahlreiche Situationen in der Schule erlebt, wo Kindern durch unzeitgemäße Begriffe oder übergriffige Fragen das Gefühl gegeben wurde, nicht dazuzugehören. Oft lösen sogar Lehrkräfte, die es eigentlich gut meinen, unbewusst und aus fehlendem Wissen heraus negative Gefühle aus. „Mein Kurs ermöglicht es Lehrenden, diese Unsicherheit loszuwerden und selbstbewusst mit dem Thema umzugehen“, so Babić.

Erfahrungsaustausch

„Es ist toll zu sehen, wie Lehrende auf lörn ihre Expertise und Erfahrungen teilen, sodass andere davon profitieren“, freut sich Fössleitner. „Natürlich ist lörn nicht die Lösung für alle Probleme im Schulalltag“, weiß Schulyok, „aber wenn die Plattform einen Beitrag dazu leistet, dass Lehrende bessere Unterstützung und Entwicklungsmöglichkeiten bekommen und dadurch vielleicht sogar der Beruf etwas aufgewertet wird, haben wir unser Ziel erreicht. Seit jeher sehen wir es als unsere Aufgabe, dass Schülerinnen und Schüler ihre Potenziale entfalten können und auf die Zukunft vorbereitet sind. Der wirksamste Faktor dabei sind engagierte, gut ausgebildete, weltoffene Lehrerinnen und Lehrer.“

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