Hat das Schulbuch ausgedient?

Hat das Schulbuch ausgedient?
öbv-Geschäftsführer Maximilian Schulyok über die Zukunft der Schulbuchaktion in Zeiten der Digitalisierung.

Wer an seine Schulzeit zurückdenkt, der erinnert sich meist auch an ein Schulbuch, das ihn besonders geprägt hat. Dem Geschäftsführer des öbv (Österreichischer Bundesverlag Schulbuch), Maximilian Schulyok, geht es da nicht anders: „Bei mir war es der Liber Latinus – ein herausforderndes Lateinbuch“, erzählt er. Dass seine Eltern das Buch nicht bezahlen mussten, haben sie der österreichischen Schulbuchaktion zu verdanken, die heuer ihr 50-jähriges Jubiläum feiert. Maximilian Schulyok über die Zukunft des Schulbuchs in Zeiten der Digitalisierung.

KURIER: Die Schule hat sich in den vergangenen 50 Jahren verändert – und mit ihr die Schulbücher. Was heißt das für die Zukunft der Schulbuchaktion?

Maximilian Schulyok: Dass man die Aktion weiterentwickeln muss. In welcher Form das geschehen soll, wird jetzt diskutiert. Denn 2025 läuft der Vertrag aus, der die Rahmenbedingungen regelt. Der Grundgedanke, dass die öffentliche Hand für die Dinge aufkommt, die Schülerinnen und Schüler im Unterricht brauchen, ist ein wichtiger und richtiger und sollte beibehalten werden. Das ist insbesondere im Hinblick auf Bildungsgerechtigkeit und Chancenfairness essenziell und im Jahr 2022 genauso aktuell wie 1972.

Weiterentwickelt werden muss die Aktion aber im Hinblick auf digitale Bildungsmittel, denn als die Schulbuchaktion eingeführt wurde, hat noch niemand an digitale Unterrichtsmittel gedacht. Aktuell werden von der Regierung einige Schritte in Richtung Digitalisierung der Schulen gesetzt. Da ist es nur logisch, dass man darüber nachdenken muss, wie man über die Schulbuchaktion neben dem Buch auch andere Ausgabekanäle und Produktformen finanzieren kann.

Heißt es, dass das klassische Buch bald ausgedient hat?

Nein, wir sind überzeugt, dass es das Schulbuch auch weiterhin geben wird. Insbesondere in der Volksschule ist es wichtig, um Lesen, Schreiben und Rechnen zu lernen. Aber auch in späteren Jahren wird das Buch noch gebraucht.

Dennoch wird die Digitalisierung in der Schule fortschreiten. Was heißt das für die Schulbuchaktion?

Man sollte sich überlegen, wie man digitale Unterrichtsmittel in der bewährten Schulbuchaktion abbildet. Ab dem kommenden Schuljahr 2022/23 werden aus dem Budget erstmals reine E-Books bezahlt – bisher wurden diese nur in Kombination mit dem Schulbuch finanziert. Aus meiner Sicht gibt es hier zwei weitere logische Schritte. Erstens braucht es analog und digital verschränkte Lehrmittel, mit denen Lehrpersonen gut hybrid unterrichten können.

Hat das Schulbuch ausgedient?

Schulyok: „Mit unseren Lehrmitteln die Lehrpersonen unterstützen“

Was heißt hybrider Unterricht?

In der Praxis sieht das so aus, dass Schülerinnen und Schüler Tablet, Heft und Buch gleichermaßen benutzen. Die Idee ist, dass diese verschränkten Lehrmittel in Kombination den Lehrplan erfüllen – also, dass das Buch nicht mehr allein den kompletten Lehrplan abdeckt, sondern gemeinsam mit digitalen Inhalten und Lehrmitteln.

Und der zweite Schritt?

Der nächste Schritt ist, rein digitale Lehrmittel über die Aktion zu finanzieren. Lehrmittel, die nicht ausschauen wie die derzeitigen E-Books oder E-Books plus (blätterbare PDFs mit digitalen Anreicherungen), sondern vollständig digital konzipiert sind und damit die Digitalisierung in den Klassenzimmern vorantreiben. Wünschenswert wäre, wenn es künftig keinen Unterschied mehr macht, ob ein Lehrmittel analog oder digital ist.

Sollte die Schulbuchaktion also im Grunde fortgesetzt und nur um die Digitalisierung erweitert werden?

Man muss die Schulbuchaktion jedenfalls an die aktuellen Entwicklungen rund um die Digitalisierung anpassen: Den großen Vorteilen digitaler Lehrmittel muss in Zukunft Rechnung getragen werden; sie können leichter aktuell gehalten und schneller angepasst werden als gedruckte Bücher. Wie damit künftig die Qualitätssicherung der Lehrmittel und aufwendige Approbationsverfahren ausgestaltet werden sollen, ist sicherlich eine Herausforderung. Derzeit ist ein Lehrmittel einmal genehmigt und ich darf daran nichts mehr ändern. Das ist in der Ära der Digitalisierung nicht mehr zeitgemäß.

Chancengleichheit

Die österreichische Schulbuchaktion ist eine familien- und bildungspolitische Leistung. Als Leistung des Familienlastenausgleichs dient sie zur finanziellen Entlastung der Eltern und ist gleichzeitig ein wichtiger Beitrag zur Ausbildung und Chancengleichheit aller Schülerinnen und Schüler. Im Rahmen dieser Aktion werden seit 1972 Schülerinnen und Schüler an österreichischen Schulen unentgeltlich mit den notwendigen Unterrichtsmitteln ausgestattet. Die Schulbuchaktion wird vom Bundeskanzleramt, Sektion V - Familien und Jugend - und dem Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBWF) getragen.

www.schulbuchaktion.at

Ist ein digitales Lehrmittel insgesamt billiger, weil die Druckkosten wegfallen?

Wenn ich nur den Inhalt des Buches darstelle, dann ja, aber das ist nicht unsere Vorstellung digitaler Unterrichtsmittel. Unsere Vision sind Systeme, die erkennen, wo die Stärken, Schwächen sowie die Interessen von Schülerinnen und Schülern liegen, damit sie punktgenau und je nach ihren persönlichen Interessenslagen lernen können. Ist ein Kind etwa Fußballfan, so findet es Matheaufgaben, in der es die Flugbahn des Balls berechnen kann. Gleichzeitig liefern die Systeme der Lehrperson einen guten Überblick über den Lernstand der einzelnen Lernenden sowie der gesamten Klasse. Solche neuen Technologien sind teuer in der Entwicklung, also nein, digitale Lehrmittel sind keinesfalls billiger.

Welche Herausforderungen bedeuten solche digitalen Systeme für die Verlage?

Die Entwicklung neuer Technologien ist teuer, dazu kommen hohe Aufwendungen, etwa für Serverlandschaften. Zudem muss das Produkt ständig weiterentwickelt werden, damit es täglich besser werden kann und am neuesten technologischen Stand bleibt. Gerade bei der Entwicklung neuer Plattformen sind die Kosten hoch, weil gewisse Leitungen teuer zugekauft werden müssen. Um den Markt gut bedienen und unterschiedliche Lehr- und Lernbedürfnisse gut abdecken zu können, dürfen die Budgets für Unterrichtsmittel keineswegs gekürzt werden.

Wäre es billiger, wenn es nur einen oder zwei Anbieter von Unterrichtsmitteln gäbe?

Monopole würden dazu führen, dass die Qualität leidet. Zudem sollte jede Lehrperson entscheiden können, welche Bildungsmittel sie für den Unterricht einsetzen möchte. Das gilt auch für die Frage, ob analoge oder digitale Lehrmittel bevorzugt genutzt werden und welche didaktischen Konzepte zum Einsatz kommen sollen.

Wie können digitale Lehrmittel die Arbeit der Lehrkräfte erleichtern?

Das Beste, was wir machen können, ist die Lehrerinnen und Lehrer zu unterstützen – denn sie sind und bleiben das Wirksamste im Unterricht. Hier gibt es viele Möglichkeiten der Unterstützung und Entlastung, zum Beispiel bei den Hausübungen: Mit unserer Mathematik Lernapp Studyly kann die Lehrkraft Aufgaben bestimmten Schülerinnen und Schülern zuweisen. Das System korrigiert die Aufgaben automatisch, zeigt Rechen- und Lösungswege direkt an, während die Lehrkraft eine Rückmeldung erhält, wer die Hausübung gemacht hat und wer sie lösen konnte – eine enorme Zeitersparnis. Auch fächerübergreifendes Lernen und Unterrichten gelingt mit digitalen Lehrmitteln besser. Im Sprachenunterricht, insbesondere bei Freitexten, wird es hingegen noch eine Zeit dauern, bis es ausgereifte Systeme gibt.

Sind Pädagoginnen und Pädagogen ausreichend auf digitales Lernen und Unterrichten vorbereitet?

Eine wichtige Aufgabe wird es sein, Lehrkräfte nicht zu überfordern und ihnen sinnvolles Handwerkszeug mitzugeben, damit sie gut digital-unterstützt unterrichten können. Wenn man es mit der Digitalisierung ernst meint, wird man einiges in die Aus- und Weiterbildung der Lehrpersonen investieren müssen. Es ist vergleichsweise einfach, Laptops zu kaufen, weitaus schwieriger ist es zu überlegen, wie man Pädagoginnen und Pädagogen bei dem Prozess der Digitalisierung bestmöglich unterstützt. Der Druck auf die Schulen, sich digital weiterzuentwickeln, wird jedenfalls steigen.

Wo sehen Sie hier die Rolle der Verlage?

Man kann jedenfalls nicht nur Druck machen, sondern muss die Pädagoginnen und Pädagogen in diesem Veränderungsprozess gut begleiten. Die Schulen hier mit hochqualitativen, verlässlichen Unterrichtsinhalten aber auch dem nötigen Weiterbildungsangebot zu unterstützten, sehe ich als eine unserer zentralen Aufgaben.

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