Zwischen Esoterik und Protest: Warum so viele Ärzte MFG wählten
Normalerweise interessieren sich für Ärztekammer-Wahlen außerhalb des Berufsstandes nur politische Feinspitze. Beim aktuellen Urnengang in Wien ist das anders: Gleich bei ihrem ersten Antreten konnte die impfkritische MFG rund um den Gynäkologen Christian Fiala sechs der 90 Mandate in der Vollversammlung erobern. Das bedeutet Platz fünf und rund 6,2 Prozent der Stimmen. In der Gruppe der niedergelassenen Allgeinmediziner kam die MFG mit einem Stimmenanteil von rund 13 Prozent sogar auf Platz zwei.
Viele fragen sich nun: Wie kann es sein, dass akademisch-naturwissenschaftlich gebildete Personen eine Gruppierung unterstützen, die im Zusammenhang mit Corona von einer „Schnupfen-Pandemie“ spricht? Geführt von einem Arzt, der in der Vergangenheit schon mit umstrittenen Aussagen zum Thema HIV aufgefallen ist.
Von einem „bestürzenden Wahlergebnis“ spricht Wiens Patientenanwältin Sigrid Pilz. Sie wirft der Kammer vor, in der Vergangenheit nicht energisch genug gegen Ärzte vorgegangen zu sein, die sich außerhalb der wissenschaftlich basierten Medizin bewegen. „Auf der Homepage mancher Wahlärzte finden sich esoterische Angebote, die einem den Atem stocken lassen“, sagt Pilz und kritisiert, dass es nach wie vor Fortbildungsveranstaltungen zu umstrittenen Methoden wie Homöopathie gibt, für die auch offizielle Ärztekammer-Diplome vergeben werden.
Hört man sich in der Kammer um, fällt die Analyse etwas differenzierter aus. Zwar gebe es – wie in der Gesamtbevölkerung – auch unter den Ärzten einen harten Kern an Impfgegnern. Man nimmt aber an, dass der Corona-Kurs der Kammer-Spitze zusätzlich auch gemäßigtere Mediziner in die Arme der MFG getrieben habe.
So habe ein Schreiben von Kammerpräsident Thomas Szekeres aus dem Dezember für heftige Diskussionen gesorgt, wonach Medizinern Disziplinarverfahren drohen, die Patienten von Corona-Impfungen abraten. Manche Ärzte hätten dadurch die ärztliche Behandlungsfreiheit bedroht gesehen.
Unzufriedenheit
Hinzu kommt eine allgemeine Unzufriedenheit mit der Kammer. Für Empörung sorgte zuletzt der Kauf einer Innenstadt-Immobilie um 327,5 Millionen Euro durch den Kammer-Wohlfahrtsfonds (der KURIER berichtete). Ein Thema, das die grünen Ärzte, aber auch die MFG ausschlachteten. Und wohl nicht zufällig eroberte die neue Liste We4U, die explizit die Abschaffung des Wohlfahrtsfonds fordert, ebenfalls auf Anhieb sechs Mandate.
Dass bei soviel Unmut die etablierten Großgruppierungen (die „Vereinigung“, das „Team Szekeres“ und die „Wahlgemeinschaft“) in Summe sogar an Mandaten zulegten, überrascht nur auf den ersten Blick. MFG und We4U profitierten enorm vom Absturz der Liste „Asklepios“ nach internen Streitereien. Die systemkritische Gruppe hatte 2017 noch elf Mandate erobert, davon sind nach dieser Wahl nur mehr zwei übrig.
Pilz will sich mit der Erklärung, dass viele die MFG aus Protest gewählt haben, nicht zufriedengeben: „Es kann nicht sein, dass den Ärzten nicht klar ist, wofür diese Partei steht. Und um Szekeres einen Denkzettel zu verpassen, hätte es auch andere Möglichkeiten gegeben.“
Kommentare