Wiens Gemeinderat tritt zusammen: 40 Neue und ein altes Zeremoniell
Heute werden die 100 Mitglieder des Stadtparlaments angelobt. Wie das zusammengesetzt ist – und welche (diesmal leicht abgewandelten) Rituale die Mandatare erwarten.
24.11.20, 05:00
Im Rathaus hat man in den vergangenen Wochen emsig auf den heutigen Tag hingearbeitet. Auf politischer Ebene, um rechtzeitig bis 24. November die rot-pinke Koalition festzuzurren. Und auf Magistratsebene, damit das Zeremoniell passt, wenn heute der neue Gemeinderat bzw. Landtag zusammenkommt.
Wie gewöhnliche Sitzungen startet auch die heutige Premiere um 9 Uhr. Fragestunde und Aktuelle Stunde gibt es nicht, stattdessen wird Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) seine Regierungserklärung vortragen. Diese wird im Anschluss debattiert.
Im Rahmen der Sitzung werden die 100 Abgeordneten angelobt. Darauf folgt die Wahl zum Stadtsenat – also der amtsführenden und der nicht amtsführenden Stadträte. Dann wählt der Gemeinderat auch den Bürgermeister und seine Stellvertreter, die Vizebürgermeister.
Zum allersten Mal kam der Gemeinderat übrigens vor 172 Jahren zusammen: Am 7. Oktober 1848 fand die konstituierende Sitzung des ersten Stadtparlaments statt.
Seither haben sich rund um diesen Anlass viele Traditionen entwickelt. Dieses Mal werden sie unter erschwerten Bedingungen gepflegt: Wegen der Corona-Pandemie ist die konstituierende Sitzung von Sicherheitsmaßnahmen – wie einer Maskenpflicht – begleitet (und wird deshalb in die Stadtgeschichte eingehen).
Ein Streifzug durch die Gepflogenheiten – und die Neuerungen.
Blumen in Parteifarben
Wie im Parlament ist es auch im Gemeinderat Usus, dass die Abgeordneten in der konstituierenden Sitzung Blumenschmuck tragen.
Die roten Mandatare werden sich das SPÖ-Traditionsgewächs Nelke ans Revers stecken, die FPÖ-Abgeordneten bleiben bei den bewährten Kornblumen.
Bei der ÖVP dekoriert man sich mit weißen Rosen, bei den Grünen mit grünen Chrysanthemen und bei den Neos mit pinken Gerbera.
Anstecker als Eintrittskarte
Im Vorfeld der Sitzung haben sämtliche Mandatare runde Anstecker zugeschickt bekommen. Sie sind das exklusive Erkennungszeichen der Abgeordneten. Darauf abgebildet sind ein goldener Adler und das Wappen der Stadt.
Der Anstecker ist nicht nur hübsch, sondern hat auch praktischen Nutzen: An ihm erkennen die Rathauswachen, wer in den Sitzungssaal eingelassen werden darf.
Hinter den Masken
Praktisch ist auch das Willkommensgeschenk, das Landtagspräsident Ernst Woller (SPÖ) für die Mandatare vorbereiten hat lassen: Jeder Abgeordnete erhält eine Maske mit dem Wien-Wappen darauf.
In den Räumlichkeiten des Rathauses muss verpflichtend ein Mund-Nasen-Schutz getragen werden – auch während der Sitzung. Die ÖVP bleibt lieber beim Partei-Branding: Die Mandatare werden türkise Masken tragen, war im Vorfeld zu erfahren.
Saaltausch
Der markante Luster, die aufwendige Kassettendecke und die hölzernen Bänke des Gemeinderatssitzungssaals sind heuer ausnahmsweise nicht die Kulisse der ersten Sitzung. Diese findet im nicht minder schmucken und viel größeren Festsaal statt.
Die Idee dahinter: Im Gemeinderatssitzungssaal waren zuletzt die Besucherreihen für Zuseher gesperrt, damit dort auch Mandatare sitzen können (um die nötigen Abstände zu wahren).
Der Festsaal bietet – auch für die erwarteten zahlreichen Medienvertreter – genug Platz.
Überraschungen bei Wahl
Sie ist an sich eine Formsache, genügt doch die Mehrheit der rot-pinken Gemeinderäte, um den Bürgermeister und seine Stadträte zu bestätigten. Dennoch wird sie immer wieder mit Spannung erwartet: Immerhin barg die Wahl in der Vergangenheit Überraschungen.
2015 etwa unterstützten den damaligen Bürgermeister Michael Häupl nur 52 der 100 Gemeinderäte. Das heißt: Zwei Vertreter der rot-grünen Koalition (54 Mandate) hatten ihn nicht gewählt. Mit 50 Stimmen schaffte die grüne Verkehrsstadträtin Maria Vassilakou überhaupt nur ganz knapp die Wahl.
Der damalige Wohnbaustadtrat Michael Ludwig bekam dagegen 81 Stimmen. Vor allem viele Blaue unterstützten ihn damals, um Unruhe innerhalb der SPÖ zu schüren.
Spaziergang in die Hofburg
Gegen Mittag wird Michael Ludwig die Sitzung kurzerhand verlassen. Und zwar, um spazieren zu gehen.
Allerdings nicht ohne Ziel: Ludwig begibt sich in die Hofburg, um von Bundespräsident Alexander Van der Bellen als Wiener Landeshauptmann angelobt zu werden.
In dieser Zeit wird die Sitzung unterbrochen. Zum Glück für die Mandatare: Sie werden in dieser Zeit bewirtet.
Unbeliebte Bürgermeisterkette
Schmuck gibt es zur Feier des Tages übrigens nicht nur für die Abgeordneten, sondern – theoretisch – auch für Ludwig: die Bürgermeisterkette. Im Jahr 1883 genehmigte Kaiser Franz Josef I. ihre Anschaffung.
Getragen wurde sie zu feierlichen Anlässen – allerdings nicht von den sozialdemokratischen Bürgermeistern. Man geht davon aus, dass sich diese so von der Machtsymbolik der Monarchie lösen wollten.
Vielleicht mit ein Grund: Die Kette ist ziemlich schwer.
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