Wiener Stadtregierung: Rot-pinke Harmonie fast ohne Patzer
„Der Anfang einer Beziehung ist immer spannend“, schilderte Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) zuletzt die Stimmungslage in der rot-pinken Stadtregierung, österreichweit die erste ihrer Art.
Freilich: Mittlerweile ist man 70 Tage im Amt. Da neigt sich die Anfangsphase langsam dem Ende zu – und es beginnen die Mühen des Alltags. Und die bedeuten vor allem der Kampf mit der Pandemie und deren Auswirkungen.
Leicht aus dem Blickfeld geraten da die vielen anderen Themenfelder, in denen es im Zuge der Koalitionsbildung jedoch durchaus ambitionierte inhaltliche Ansagen und personelle Neubesetzungen gab. Der Versuch einer ersten Zwischenbilanz.
Zu den Neueinsteigern gehört allen voran Christoph Wiederkehr, der seine Neos ein wenig überraschend in die Stadtregierung geführt und dort sein Wunschressort erhalten hat: die Bildung. Anlaufschwierigkeiten gab es für ihn eher technischer Natur. Als er im Herbst in das Stadtratsbüro einzog, musste er erst eilig das nötige Personal zusammensuchen.
Inhaltlich ließ er dafür recht rasch mit neuen Ideen aufhorchen – etwa mit dem verpflichtenden Besuch von Elternsprechtagen oder den Schul-Dolmetschern für Eltern mit Deutsch-Defiziten.
Patzer, wie sie oft bei Newcomern auf der Regierungsbank vorkommen, hat sich der 30-Jährige bisher nicht geleistet. Zumindest keine großen. Dass aus dem verpflichtenden Elternsprechtag doch nichts wird, weil es sich die SPÖ mit der Gruppe der Migranten, auf die der Vorschlag abzielt, nicht verscherzen will, ist zwar ein Zeichen dafür, dass Ludwig die Zügel in der Hand hält. Wirklich nachhaltig in Erinnerung bleiben wird Wiederkehrs Umfaller aber nicht. Auch der Versuch der ÖVP, ihn mit alten Neos-Forderungen aus der Oppositionszeit bloßzustellen, haben ihn bis jetzt nicht in Bedrängnis gebracht.
Gerne wird im Rathaus betont, wie gut er und Ludwig miteinander können. Das dürfte tatsächlich so sein. Mittlerweile duzt man sich demonstrativ. Wer Ludwig kennt, der weiß, wie wichtig für ihn – gerade nach den rot-grünen Zerwürfnissen vor der Wahl – die persönliche Ebene ist.
Nicht allzu viel war von seiner gewohnt jugendhaften Lockerheit zu sehen, als Jürgen Czernohorszky zuletzt bei einem Fototermin beschlagnahmte illegale Glücksspielautomaten mit der Bohrmaschine bearbeiten musste. Es scheint fast: So ganz ist Czernohorszky noch nicht in der Rolle als Nachfolger von Ulli Sima angekommen. Zumindest, wenn es um das Posieren für leicht überinszenierte Pressefotos geht.
Dass ihm die Sacharbeit in seinen neuen Themenfeldern – Umwelt und Klimaschutz – behagt, kann der frühere Bildungsstadtrat viel glaubhafter vermitteln. Vom Klimabudget bis zur Solar-Offensive – groß und ambitioniert sind die Vorhaben. Sein Pech: Mit der Corona-Krise ist das an sich zentrale Zukunftsthema deutlich in den Hintergrund gerückt.
Akklimatisierung
Noch in der Akklimatisierungsphase für ihr neues Ressort (Planung und Verkehr) dürfte sich ihrerseits Ulli Sima befinden. Nach der Regierungsklausur wurde als ihr zentrales Projekt für das heurige Jahr die Renaturierung des zweiten Abschnitts des Liesingbachs präsentiert, die aber bereits seit Oktober läuft. Klingt nicht eben üppig.
Wenig zu hören war bis dato hingegen von einem wesentlichen Projekt, das ebenfalls in ihre Zuständigkeit fällt: die Reform der Parkraumbewirtschaftung, die noch in der Endphase von Rot-Grün angekündigt worden war. Ein wunder Punkt? Sima ist auf das Thema jedenfalls nicht gut zu sprechen. Als sie im Gemeinderat kürzlich von den Grünen darauf angesprochen wurde, reagierte Sima lautstark. Was der Langzeit-Stadträtin hingegen nicht ungelegen kommt: Auch ihr neues Betätigungsfeld bietet reichlich Möglichkeiten für Fototermine mannigfaltiger Art.
Wenig geändert hat sich für Gesundheitsstadtrat Peter Hacker. Sein Haupt- und Lieblingsgegner bleibt die Bundesregierung, allen voran in der Frage der Pandemie-Strategie.
Das führt zu mitunter skurrilen Szenen. So wettere Hacker zuletzt gegen die im Raum stehende Fortführung des Lockdowns, die dann nur wenige Stunden später sein Chef Ludwig gemeinsam mit der Bundesregierung verkündete. Mittlerweile gehört aber auch Ludwig zu denen, die langsame Öffnungsschritte fordern.
Stiefel statt Stecktuch
Was Peter Hacker zugute kommt: Verglichen mit anderen Bundesländern und Großstädten steht Wien aktuell bei den Infektionszahlen bemerkenswert gut da, was wohl auch mit den von ihm forcierten großzügigen Testmöglichkeiten zusammenhängt.
Alte Struktur- und Personalprobleme in den Gemeindespitälern sind durch die Krise in den Hintergrund getreten, bestehen aber weiter.
Zu den Nachfolgern Ulli Simas zählt auch Peter Hanke, der von seiner Kollegin die Öffi-Agenden geerbt hat. Das verlangt dem Finanz- und Wirtschaftsstadtrat (der mit den Corona-Hilfspaketen der Stadt eigentlich schon genug zu tun hat) so einiges ab.
Nicht organisatorisch – er übernahm ein sauber, straff geführtes Ressort –, aber im Tagesgeschäft: Auch Hanke, der Mann mit dem Stecktuch, muss sich für die Öffentlichkeit neu erfinden. Jetzt trägt er Gummistiefel und Warnwesten, um U-Bahn-Schächte zu inspizieren – und muss zur Rettung einer 80-jährigen Platane ausrücken, die dem Öffi-Bau (fast) zum Opfer gefallen wäre. Das ist Neuland für ihn.
Auch unangenehmen Fragen musste er sich schon stellen: Etwa jener, warum der Öffi-Ausbau so viel teurer ist als angegeben. Oder warum die Beteiligungs-GmbH der Stadt, die Firmen durch die Corona-Krise helfen soll, eher floppt. Bisher agiert Hanke souverän und hat von seinem guten Image nichts eingebüßt.
Bleibt noch Ludwig, der weiter seine Rolle als zurückhaltender, moderater Krisenmanager spielen kann. Sein jüngster Auftritt mit der Bundesregierung sorgte für Beachtung. Übrig bleiben zwei Botschaften: Ludwig kann – anders als so viele in seiner Partei – zur Not auch mit Bundeskanzler Sebastian Kurz. Noch viel bedeutender: Seit seinem Auftritt ist Ludwig innerparteilich gewichtiger denn je.
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