Soll nach dem Parlament das Wiener Rathaus modernisiert werden?

Unter die vielen Menschen, die in den vergangenen Tagen das neu eröffnete Parlament besucht haben, hat sich dem Vernehmen nach auch der eine oder andere Gemeinderat aus dem benachbarten Wiener Rathaus gemischt. Und so mancher soll ein bisschen neidisch zurückgekommen sein – angesichts des renovierten Sitzungssaals und der großzügigen Einrichtungen für Besucher.
Es ist aber nicht nur die Runderneuerung der nur wenige Gehminuten entfernten großen Schwester, die die Frage aufwirft, ob nicht auch das 1885 eröffnete Rathaus langsam den Erfordernissen des 21. Jahrhunderts angepasst werden müsste.
Zuletzt sorgte vor allem die enge stickige Erdgeschoß-Kammer, in der die Teilnehmer der Untersuchungskommission zur Causa Wien Energie alle zwei Wochen stundenlang ausharren müssen, für Debatten darüber, wie zeitgemäß der Neogotik-Bau noch ist.
Der KURIER hat sich umgehört, ob Wien dem Bund folgen und auch sein Parlament einem Facelift unterziehen soll. Und zwar bei jenen, die es am besten wissen müssten: Den Abgeordneten, die im Rathaus ihren Arbeitsplatz haben (wie übrigens insgesamt mehr als 1.100 Personen verschiedenster Professionen).
Beengte Verhältnisse
„Als moderner parlamentarischer Arbeitsplatz ist unser Sitzungssaal – im Vergleich mit dem Plenarsaal im Parlament – tatsächlich nur mäßig geeignet“, sagt Thomas Reindl (SPÖ), seit 2015 Vorsitzender des Gemeinderats.
Ein Problem seien vor allem die beengten Platzverhältnisse, die der historischen Ausgestaltung geschuldet ist. „Die Pulte der Abgeordneten sind so schmal, dass man fast schon seinen Vordermann stört, wenn man seinen Laptop aufklappt.“

Hölzerne Klappsitze mit dem Charme der Monarchie
Praktischer sei da schon das Corona-Ausweichquartier im Festsaal gewesen, das aber andere Nachteile hatte. Die Akustik und großen Abstände zwischen den Sitzen und dem Rednerpult hätten die Debattenkultur erheblich beeinträchtigt.
Umbau schwierig
Allzu großen Spielraum, den alten Sitzungssaal umzugestalten, sieht Reindl jedoch nicht. Die historische Bausubstanz lasse naturgemäß nur geringfügige Eingriffe zu.
Nicht das einzige Problem, wie der Politiker zu bedenken gibt: Um den Abgeordneten ein bequemeres Arbeiten zu ermöglichen, bräuchten sie mehr Platz – der allerdings im Sitzungssaal nicht vorhanden ist.
Vorgänger
Das alte Rathaus befand sich in der Wipplinger Straße. Mit dem enormen Bevölkerungswachstum Mitte des 19. Jahrhunderts und nach dem Abriss der Stadtmauern wurde der Beschluss zum Neubau gefasst. Im alten Gebäude ist heute unter anderem die Bezirksvorstehung Innere Stadt untergebracht.
Neubau
Er erfolgte zwischen 1872 und 1883 durch den deutschen Architekten Friedrich von Schmidt im neogotischen Stil. Die erste Gemeinderatssitzung fand hier 1885 statt.
Das unterscheidet ihn vom Plenarsaal des Nationalrats im benachbarten Parlament. Hier tagte bis 1918 das Herrenhaus. Das Gremium war deutlich größer als der heutige Nationalrat mit seinen heute 183 Mandataren, denen daher viel mehr Platz zur Verfügung steht.
Keine Pläne für Zubau
Bliebe noch die theoretische Möglichkeit, einen größeren Sitzungssaal in einem modernen Zubau zu schaffen. Wobei es auch dafür aktuell keine konkreten Ideen, geschweige denn Pläne gibt.
Manfred Juraczka (ÖVP) ist dritter Präsident des Wiener Landtags, der denselben Saal benutzt wie der Gemeinderat. Geht es nach ihm, sollte dieser bleiben wie er ist, „er gefällt mir außerordentlich gut. Man sitzt zwar nicht so bequem wie im Zug oder Flieger, zum Osteopathen muss man nach den Sitzungen aber auch nicht.“

Für größere bauliche Adaptierungen gibt es im historischen Sitzungssaal nur wenig Spielraum
Elektronisch Abstimmen
Was Juraczka wie Reindl vermisst, ist die Möglichkeit von elektronischen Abstimmungen (die es allerdings im neuen Parlament auch nicht gibt). „Man könnte direkt sehen, wie jeder einzelne Abgeordnete abstimmt. „Derzeit hat man nicht einmal den Überblick, wer gerade fehlt oder bei der Abstimmung nicht an seinem Platz war“, sagt Juraczka.
Er wünscht sich auch eine großzügigere Besuchergalerie. Das überrascht ein wenig, ist sie doch derzeit ziemlich schütter besucht. Das liege aber daran, dass die Stadt den Besuch der Sitzungen zu wenig aktiv bewerbe, ist der ÖVP-Politiker überzeugt.
Ähnliches gelte auch für die Stadt-Info im Erdgeschoß, die vor allem von Touristen genutzt werde.

Die Besuchergalerie kann mit jener im Parlament nicht mithalten
Auf jeden Fall brauche es aber einen größeren Saal für die U-Kommissionen, betont Juraczka. Dass es einen solchen aufgrund der vielen Veranstaltungen im Rathaus (ein weiterer Unterschied zum Parlament) nicht gebe, wie seitens der Stadt betont wird, will er nicht so recht glauben. „Für die Ausschüsse müssen die Räumlichkeiten auch vorübergehend adaptiert werden. Es müsste doch auch ein würdiger Raum für die U-Kommission zu finden sein.“
Letztlich gibt es aber einen entscheidenden Grund, warum derzeit kein Politiker – egal welcher Couleur – eine großflächige Umgestaltung des Rathauses fordert: das Geld. David Ellensohn, Klubchef der Grünen, fasst es stellvertretend für alle anderen zusammen: „Nach der umfassenden Sanierung der Außenfassade des Rathauses ist gerade in Zeiten wie diesen kein Geld für solche Projekte vorhanden.“
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