Pühringer: Wir haben als Grüne in der Bundesregierung erreicht, dass alle Sozialleistungen automatisch an die Inflation angepasst werden.
Kraus: Jeder muss auf der Ebene, in der er zuständig ist, auch etwas machen. Schräg finde ich das doppelte Spiel der SPÖ. Es vergeht kein Tag, an dem Babler und Co nicht fordern, jetzt bei den Energiepreisen einzugreifen. Das einzige Bundesland, das die Fernwärme-Preiserhöhung mit 92 Prozent einfach durchgewunken hat, war Wien.
Wie realistisch ist es, das Ziel von 60.000 Unterschriften zu erreichen?
Pühringer: Wir sind jetzt bei 5.000 Unterschriften, die zum Teil nach langen, intensiven Gesprächen auf der Straße getätigt wurden. 60.000 sind tatsächlich viele. Wir werden im Frühjahr beginnen, Hausbesuche zu machen und auch in Gemeindebauten zu gehen.
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Die Grünen werden oft als weltfremde Bobos aus dem 7. Bezirk abgestempelt. Wie kriegt man in den Gemeindebauten einen Fuß in die Tür?
Kraus: Indem man Themen anspricht, die nicht nur Politiker untereinander interessieren, sondern jene, die die Menschen in ihrem alltäglichen Leben beschäftigen.
Pühringer: Gerade im Gemeindebau, diesem Sinnbild für leistbares Wohnen, kann man aufzeigen, dass soziale Politik und Klimapolitik ineinandergreifen. Bei den Themen Photovoltaik oder Solarthermie passiert dort ganz wenig. Dort kann man zeigen, wie eine Transformation funktionieren kann und dass man diese im Geldbörsel spürt, weil die Energie günstiger wird.
Die Wiener ÖVP hat das traditionell blaue Ausländerthema im Fokus, die SPÖ präsentiert viele klimafitte Projekte und gibt sich damit grün. Sie wagen sich an die roten Gemeindebauten. Gibt es einen Wechsel bei der Frage, wofür die Parteien stehen?
Kraus: Die Grünen sind immer schon für Klimaschutz und soziale Politik gestanden. Das wird angesichts der Weltlage einfach neu sichtbar.
Pühringer: Die politische Kunst ist, zu erkennen, dass die Krisen so miteinander verwoben sind, dass sie auch nur gemeinsam gelöst werden können, anstatt nur ein singuläres Thema ins Zentrum zu stellen – wie die ÖVP, die total auf das Ausländerthema setzt und die FPÖ gerade rechts überholt.
Vor einem Jahr haben Sie im KURIER-Interview gesagt, es sei beschämend, wie die Stadt mit Klimaschützern umgeht. Seither sind Aktivistinnen und Aktivisten mit Aktionen wie dem Klimakleben aufgefallen. Stehen Sie immer noch hinter ihnen?
Pühringer: Ich finde es nach wie vor beschämend, wenn Diskussionen geführt werden, ob für Klimaschützer der Mafiaparagraf gelten soll. Sie sind keine kriminelle Organisation. Ich kann nachvollziehen, dass viele Menschen wegen der Art des Protests zunehmend grantig werden. Die Motive, warum Klimaschützer das tun, sind aber nachvollziehbar.
Kraus: Wenn sich heute einige Politiker aufregen, dass die Protestformen der letzten Generation zu heftig sind, dann muss man sich bitte auch über die Klagsdrohungen aufregen, die teilweise Kinder und etablierte Organisationen von der Stadt Wien bekommen haben, nachdem sie an angemeldeten Protesten gegen die Stadtstraße teilgenommen haben.
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Im selben Interview war auch Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka ein Thema, dem damals Amtsmissbrauch vorgeworfen wurde. Jetzt steht er wegen der Causa Pilnacek erneut in der Kritik. Ist Sobotka eine Belastung für die türkis-grüne Bundesregierung?
Kraus: Da waren die Kolleginnen und Kollegen im Bund vom Vizekanzler abwärts sehr klar und haben in unterschiedlichen Formulierungen eines gesagt, nämlich: Wir alle hätten an seiner Stelle schon längst den Hut genommen. Hier geht es gar nicht um das Ansehen der Bundesregierung, sondern um das des Parlaments.
Wir leben in einer Zeit der multiplen Krisen. Wie optimistisch blicken Sie in die Zukunft?
Kraus: Aus der Klimabewegung gibt es den klugen Gedanken, dass es für Pessimismus sowieso schon viel zu spät ist. Politik muss etwas sein, das Hoffnung, Zuversicht und Lösungen aufzeigt. Insofern haben wir gar keine andere Wahl, als optimistisch zu sein.
Wien führt immer wieder die Liste als lebenswerteste Stadt der Welt an. Würden Sie an Wien auch den ersten Platz vergeben?
Pühringer: Es gibt keine Stadt, die ich mehr liebe. Aber ich mache mir in ganz vielen Bereichen große Sorgen – um das Gesundheitssystem, um die Erhitzung in der Stadt, um die gerechte Verteilung des öffentlichen Raumes.
Kraus: Städte wie Paris oder Barcelona setzen riesige Programme für den Klimaschutz auf, die ziehen an uns vorbei. Wien kann sich nicht mehr lange auf seinen Lorbeeren ausruhen.
Pühringer: Ja, das wird sich mit unserer Wiener Gemütlichkeit nicht mehr lange ausgehen.
Sie haben sich bewusst für eine Doppelspitze entschieden. Büßen da nicht beide an Bekanntheit ein?
Pühringer: Ich bin davon überzeugter denn je, weil wir miteinander bessere Entscheidungen treffen und wir einander auch entlasten können.
Kraus: Unsere Egos halten es gut aus, wenn wir nebeneinanderstehen.
2025 steht in Wien die nächste Wahl an? Werden die Grünen danach wieder in der Regierung sein?
Pühringer: Das ist das Ziel, das wünschen wir uns.
Kraus: Die Grünen haben in ihrer Regierungszeit gezeigt, dass sie große Dinge bewegen können. Die Jahreskarte um 365 Euro, die Umgestaltung der Mariahilfer Straße oder die Kindermindestsicherung, um nur drei Beispiele zu nennen. In der Stadt gibt es eine Sehnsucht danach, dass man wieder große Ideen wagt. Für diese Sehnsucht sind wir ein gutes Angebot – und andere sind es nicht.
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