Wiener Corona-Cluster: Tonfall zwischen Bund und Stadt wird rauer

CORONAVIRUS: ÜBERGABE VON SCHUTZ- UND HYGIENEAUSRÜSTUNG VON HUAWEI AN DIE ÄRZTEKAMMER WIEN / HACKER
Stadt Wien ist von eigener Strategie überzeugt: Mehr Fälle gebe es wegen mehr Tests - und belegt das erstmals mit Zahlen

Er wolle, sagt Karl Nehammer, „als Innenminister eine Mahnung an die Stadt Wien aussprechen“. Der ÖVP-Minister verschärft damit – zumindest rhetorisch – erneut die Gangart im Streit zwischen Bund und Stadt.

Corona-Streit: Nehammer attackiert Wien

Die steigenden Corona-Zahlen in Wien seien „besorgniserregend“, so Nehammer bei einer eigens zu diesem Thema einberufenen Pressekonferenz. Sein Vorwurf an die rot-grüne Stadtregierung: Die Zusammenarbeit mit dem Krisenstab und der Landespolizeidirektion sei verbesserungswürdig, es hapere an der Informationsweitergabe.

Dass in Wien zuletzt neue Corona-Cluster mit Infizierten auftauchten, befeuert den Streit zwischen Bund und Stadt. Die Auseinandersetzung ist nicht zuletzt im Lichte der anstehenden Wien-Wahl zu sehen. Die türkisen Attacken auf Rot-Grün werden aber auch zur Belastungsprobe für die Koalition im Bund. Immerhin sitzen die Grünen in beiden Regierungen.

Nehammer ermahnt die Stadt Wien

Anschober widerspricht

So sieht der grüne Gesundheitsminister Rudolf Anschober die Causa ein wenig anders – wie er fast zeitgleich mit Nehammer verkündet: Nach dem Bekanntwerden der Infektionsfälle hätten sowohl Wien als auch Niederösterreich die richtigen Schritte gesetzt, sagt er. Man müsse nun Infektionsclustern in prekären Arbeitsverhältnissen nachgehen  – eine Maßnahme, die Wien bereits angekündigt hat. Und: Der Informationsaustausch mit der Stadt sei gut, so Anschober.

Auf diesen türkis-grünen Widerspruch reagierte dann auch Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ): Innerhalb kürzester Zeit habe es von zwei Ministern Lob und eine Mahnung für Wien gegeben, so der Stadtchef. „Als Bürgermeister muss ich von der Bundesregierung verlangen können, dass sie klar, verständlich und mit einer Stimme kommuniziert.“ Das sei  nicht der Fall.

Streit um polizeiliche Corona-Maßnahmen in Wien geht weiter

Meiste Infektionen und 172 "Detektive"

Warum aber gibt es in Wien so viele Neuinfektionen? Und wie geht Wien mit den Corona-Clustern um?

Zuletzt hatte die Stadt das Angebot des Innenministers für das sogenannte "Contact Tracing" - also die Nachverfolgung von Infektionsketten - auf Polizisten zurückzugreifen, abgelehnt. Brauche man nicht.

172 Mitarbeiter der Bezirksgesundheitsämter und des Büros für Sofortmaßnahmen, Schulärzte und Medizinstudenten verfolgen in der Stadt derzeit die Spur des Virus. Sie haben viel zu tun, erst am Montag wurden sieben Asylwerber in einer Unterkunft in Mariahilf positiv auf Covid-19 getestet. Am Sonntag gab es einen Coronafall in einer Obdachlosenunterkunft in Hietzing.

Zudem wurde am Wochenende das Cluster rund um die Posterverteilerzentren Inzersdorf, Hagenbrunn in NÖ, ein Wiener Logistikzentrum und das Asylheim in Erdberg bekannt. In absoluten Zahlen liegen die Neuinfektionen (374 waren es in den vergangenen zwei Wochen) tatsächlich weit über jenen der anderen Bundesländer. Mit Stand Montagfrüh gab es in Wien 2.914 bestätigte Fälle.

Ein Viertel aller Tests, aber auch mehr Einwohner

Doch laut der Stadt Wien liege das daran, dass mehr getestet und dadurch mehr gefunden werde. Wien belegt das erstmals mit Zahlen.

So wurden zwischen 1. und 18. Mai 101.794 Coronatests durchgeführt. Rund 25 Prozent davon entfallen auf die Bundeshauptstadt.  Der Anteil der Wiener an der Gesamtbevölkerung liegt aber nur bei 21,5 Prozent.

Zum Vergleich: Auf den Musterschüler Kärnten entfallen 3,8 Prozent der Tests, der Anteil der Kärntner an den Österreichern beträgt 6,3 Prozent. Die Testquote ist also niedriger. Und auch in Niederöstererich, das Bundesland, in dem nach Wien in aboluten Zahlen am meisten getestet wird, kommt "nur" auf eine Testquote von 17,3 Prozent - bei 18,9 Prozent Bevölkerungsanteil.

Allerdings: Gemessen an der Einwohnerzahl testet Tirol am meisten - mit 13,5 Prozent Testanteil bei 8,5 Prozent Tirolern an der Gesamtbevölkerung. In aboluten Zahlen führt Tirol im Schnitt 811 Tests pro Tag durch.

Und noch etwas zeigen die Zahlen: So liegt die Quote jener Menschen, die mit dem Coronavirus infiziert sind, gemessen an der Testanzahl in Wien bei rund 3,5 Prozent. Damit liegt die Bundeshauptstadt unter dem Schnitt, Österreich-weit sind es nämlich rund 4,2 Prozent.

Tests auch ohne Symptome

Im Schnitte werden in Wien pro Tag rund 1.500 Tests durchgeführt. Dabei entfallen aber nur rund 100 auf Menschen, die sich an die Hotline 1450 gewandt haben. Die restlichen Testungen werden im Rahmen von Schwerpunkten und Cluster-Analysen durchgeführt, betont man seitens der Stadt. Und dabei auch bei symptomlosen Personen.

So werden derzeit nicht nur Bewohner und Personal in Pflegeeinrichtungen und Spitalsmitarbeiter systematisch untersucht, sondern auch Asylheime und Obdachlosenunterkünfte. Man wolle "genau hinschauen", hatte es der zuständige Stadtrat Peter Hacker (SPÖ) formuliert.

Bisher wurden sechs Flüchtlings- und vier Obdachlosenheime  „gescreent“. Insgesamt wurden so mehr als 1.000 Flüchtline und mehr als 70 Mitarbeiter auf das Virus getestet. Ebenso wurden Corona-Abstriche bei rund 1000 Wohnungslosen und ebenfalls bei rund 70 Betreuern genommen. So wurde infizierte Bewohner der Notschlafstelle im ehemaligen Geriatriezentrum Wienerwald in Hietzing sowie die sieben erkrankten Asylwerber entdeckt. Da läuft derzeit das Contact Tracement. Ob es Verbindungen zuden Fällen in den Postzentren gibt, wird geprüft.

Sie sollen so wie zahlreiche Infizierten aus den Postverteilerzentren symptomlos gewesen sein und daher gar nicht gemerkt haben, dass sie krank sind.

Neue Details zu Post-Cluster

Dass sich diese systematischen Testungen lohnen, zeige der Fall des Clusters rund um die Postverteilerzentren, heißt es bei der Stadt. Dazu werden immer mehr Details bekannt.

Man habe nach Bekanntwerden der ersten Fälle im Asylheim Erdberg vor zwei Wochen begonnen, die Flüchtlingseinrichtungen zu untersuchen, heißt es im Büro Hacker. Der Infektionsherd in der Unterkunft hatte für Aufsehen gesorgt, Probleme bei der Quarantäne-Unterbringung in der Messe Wien brachten der Stadt Kritik ein.

Rasch zeigte sich eine Verbindung zu betreuten Wohnungen für Asylberechtigte in Simmering. Ehemalige Erdberg-Bewohner waren dorthin gezogen, man hielt Kontakt zu Freunden in der ehemaligen Unterkunft. Es zeigte sich: Nicht nur gab es 24 infizierte anerkannte Flüchtlinge aus Erdberg, die in der Messe Wien in Quarantäne bleiben mussten, sondern zehn weitere Erkrankte.

Umweg über weitere Asylunterkünfte

Andere Unterkünfte waren zu diesem Zeitpunkt aber weitgehend virusfrei. Welche Gemeinsamkeit hatten die Asylberechtigten also noch?

Es zeigte sich, dass sie als Leiharbeiter bei den beiden Postverteilzentren in Wien und NÖ arbeiteten. Das Cluster bei der Post wurde bekannt. Allein bis Montag waren 500 Mitarbeiter im Verteilzentrum Wien getestet worden, 70 waren Covid-19-positiv. Bei mehr als 50 Mitarbeiter, die derzeit im Krankenstand sind, sind die Tests noch ausständig.

Zahlreiche Betroffene wurden von mehreren Leiharbeitsfirmen an die Post vermittelt, aber nicht nur dahin. Auch im Logistikzentrum eines Möbelhauses wurden dorthin entsandte Mitarbeiter positiv getestet.

Dazu kommt eine Verbindung in einen Kindergarten in Wien-Liesing: Die Frau eines Leiharbeiters arbeitet dort und wurde ebenfalls positiv getestet. Ein infiziertes Kind aus derselben Einrichtung hatte laut Stadt wiederum keinen näheren Kontakt mit der Frau. Weitere Fälle gab es nicht.

Fleischindustrie kein Hot Spot

Bei der Stadt betont man, ohne das Screening und das genaue Contact-Trecement hätte man das Cluster nicht gefunden, denn 90 Prozent der Infizierten hätten keine Symptome gezeigt und daher gar nicht gewusst, dass sie infiziert waren.

Laut Stadtrat Hacker habe der Fall jedoch gezeigt, dass man bei prekären Arbeitsverhältnissen genau hinsehen muss. Nun sollen alle Leiharbeitsfirmen in Wien kontaktiert werden.

Auch auf die Fleischindustrie hatte der Stadtrat bereits ein Auge geworfen. Nach Bekanntwerden eines Corona-Ausbruchs in einem fleischverarbeitenden Betrieb in Deutschland Anfang Mai, wurden in der Bundeshauptstadt mehrere Firmen getestet. Positive Fälle gab es keine.

Der Bericht wurde aktualisiert.

 

Kommentare