Wien-Wahl: Die Spitzenkandidaten, die Chancen und Prognosen
Am Sonntag ist es soweit - in Wien wird ein neuer Gemeinderat und die Bezirksvertreung gewählt. Die Bundeshauptstadt wird zwar ziemlich sicher auch nach dem 11. Oktober "rot" bleiben - und damit Michael Ludwig (SPÖ) Bürgermeister.
Die Ausgangslage ist aber eine komplett andere als es bis zum Ibiza-Mai im vergangenen Jahr zu erwarten war: Das 2015 dominierende Flüchtlingsthema spielt heuer nur eine kleine Rolle (vor allem in der Debatte um die Aufnahme von 100 Flüchtlingskindern aus Moria), die Corona-Pandemie dafür eine umso größere.
Diese Wien-Wahl ist eine Wahl voller Premieren. Mit Ausnahme von Heinz-Christian Strache ist es für jeden Spitzenkandidaten der größeren Parteien die erste Wahl in dieser Rolle. Und es ist die erste Wahl mit dem neuen Wiener Wahlrecht.
Folgende Parteien werden wien-weit bei der Gemeinderatswahl antreten:
- SPÖ
- FPÖ
- Grüne
- ÖVP
- NEOS
- Liste HC Strache
- Liste Links (KPÖ)
- SÖZ
- Bierpartei
SPÖ
Mit unerwartet guten Karten geht SPÖ-Chef Michael Ludwig in seine erste Wahl. Er kann laut den Meinungsforschern ziemlich sicher sein, sein Wahlziel zu erreichen - die 39,6 Prozent, die sein Vorgänger Michael Häupl 2015 erreicht hatte, zu halten. Oder sogar wieder über die 40-Prozent-Marke zu kommen. Dass Ludwig den Platz 1 nicht halten wird, ist sehr unwahrscheinlich.
Das war vor dem Ibiza-Video alles andere als gewiss, segelte doch die FPÖ bis dahin auf Erfolgskurs. Die Coronakrise hat - obwohl die Zahlen in der Stadt zuletzt stark stiegen - Ludwigs Aussichten ebenfalls verbessert, verstärkt sie doch den Trend zugunsten der Amtsinhaber.
Aber Ludwig selbst hat auch seinen Beitrag geleistet: Es ist ihm gelungen, die bei Michael Häupls Abgang 2018 hoch zerstrittene Wiener Partei zu befrieden. Auseinandersetzungen - durchaus scharfe - gab es zuletzt vor allem mit dem grünen Koalitionspartner. Einen solchen wird Ludwig wieder brauchen, denn die Absolute zeichnet sich für ihn nicht ab.
So ist es recht wahrscheinlich, dass Ludwig die 2010 von Häupl geschmiedete einzige rot-grüne Koalition auf Landesebene fortsetzt - wenngleich er wohl auch die rot-türkise Alternative haben wird. Rekorde dürfte Ludwig keine holen.
Spitzenkandidat: Michael Ludwig (59)
Ergebnis 2015: 39,59% (44 Mandate)
Umfragewerte: 42% (damit Platz 1)
Grüne
Ebenfalls bessere Karten als bei ihrer Kür hat die Grüne Vizebürgermeisterin Birgit Hebein für ihre Premiere. Mit dem Comeback der Grünen bei der Ibiza-Nationalratswahl 2019 haben auch ihre Wiener Umfragewerte einen Sprung nach oben gemacht. Jetzt kann Hebein mit einem Zuwachs rechnen - nachdem 2015 ein leichtes Minus auf 11,8 Prozent den Abgang ihrer Vorgängerin Maria Vassilakou eingeläutet hatte.
Ihr Wahlziel ist durchaus realistisch: "Das beste Ergebnis" dürfte es wohl werden. Das waren bisher 14,6 Prozent aus 2005.
20,7 Prozent wählten bei der NR-Wahl 2019 grün. Dass sich der hohe Wert nicht auch für die Wien-Wahl abzeichnet, führen die Meinungsforscher auf die persönlichen Werte Hebeins zurück: Die bei ihrem Amtsantritt als Stadträtin im Juni 2019 weitgehend unbekannten Sozialarbeiterin liegt weit unter den Parteiwerten.
Um Profil zu gewinnen, hat Hebein seit dem Sommer die Kernwähler mit einschlägigen Aktionen bedient.
Hebein warb während des Wahlkampf durchgehend für die Fortsetzung von Rot-Grün. Dies scheint auch recht wahrscheinlich.
Übrigens haben die Vorarlberger Parteifreunde die Latte für Hebein wohl unerreichbar hoch gelegt: Sie holten sich 2019 als österreichweit erste grüne Landespartei Platz 2 bei der Landtagswahl - mit dem aktuellen Topergebnis von 18,9 Prozent. Platz 2 in Wien dürfte ihnen aber die ÖVP wegschnappen.
Spitzenkandidatin: Vizebürgermeisterin Birgit Hebein (53)
Ergebnis 2015: 11,84% (10 Mandate)
Umfragewerte: 15-17% (damit Platz 3)
ÖVP
Die erstmals von Finanzminister Gernot Blümel in die Wahl geführte Volkspartei kann sich, wie es aussieht, nach langem Niedergang auf diesen Wahlsonntag freuen. 2015 war die ÖVP mit dem glücklosen Manfred Juraczka als erste Landespartei unter die Zehn-Prozent-Marke (9,2 Prozent) gestürzt und erstmals nur Vierte geworden.
Auf einen erhofften Stimmenanteil legt sich Blümel nicht fest, den größten Zuwachs nennt er als Ziel. Und dass die ÖVP - wie schon bei der Nationalratswahl - viele enttäuschte FPÖ-Wähler einsammeln will. Darum bemühte man sich im Wahlkampf kräftig.
Besonders gut war das Wiener Pflaster für die ÖVP bisher nicht: Sie lag stets weit hinter der SPÖ - mit selbst zu Spitzenzeiten knapp bei 35 Prozent. 24,6 Prozent hatten bei der Nationalratswahl in Wien türkis gewählt.
Dass die ÖVP als Juniorpartner mit der SPÖ in Koalition geht, ist unwahrscheinlich. Blümel stünde zwar für eine Koaltion bereit - und würde für den Posten als Vizebürgermeister von der Bundesregierung in die Bundeshauptstadt wechseln.
Spitzenkandidat: Finanzminister Gernot Blümel (38)
Ergebnis 2015: 9,24% (7 Mandate)
Umfragewerte: rund 20% (damit Platz 2)
NEOS
Recht gut könnte die Wien-Wahl auch für die Neos verlaufen. Ihnen kam zwar mit dem Aufstieg Beate Meinl-Reisingers zur Bundesparteichefin die Spitzenkandidatin abhanden, die sie 2015 in den Gemeinderat geführt hatte. Aber auch wenn ihr Nachfolger - Christoph Wiederkehr - zunächst vielen kein Begriff war - könnten die Neos mit einem leichten Plus abschneiden.
Wiederkehrs Wahlziel, ein Mandat mehr zu holen (damit wären es sechs), erfordert allerdings nicht viel. Mittlerweile wurde das Wiener Wahlrecht weniger mehrheitsfreundlich - was den kleinen Parteien quasi automatisch ein Mandat mehr beschert.
Wien gilt als Hochburg der Pinken, bei der Nationalratswahl 2019 zeigte sich (mit 9,9 Prozent) ein Potenzial von fast zehn Prozent. Auf Landtagsebene sind aktuell die Salzburger (7,3 Prozent 2018) und allen voran die Vorarlberger (8,5 Prozent) allerdings deutlich stärker als die Wiener. Ob sich das in Wiederkehrs erster Wahl ändert, ist fraglich. Nicht fürchten müsse er laut Meinungsforschern aber, dass die Neos die Fünf-Prozent-Hürde verpassen.
Vertreten sind die Neos in sechs Landtagen, im Burgenland, in Kärnten und in Oberösterreich reichte es bisher nicht dafür.
Spitzenkandidat: Christoph Wiederkehr (30)
Ergebnis 2015: 6,16% (5 Mandate)
Umfragewerte: 6-7%
FPÖ
Auf die lange nicht mehr geübte Rolle des großen Wahlverlierers muss sich heuer die FPÖ einstellen. Spitzenkandidat Dominik Nepp bemüht sich zwar um Optimismus und erfreut sich schon daran, dass die FPÖ nach zuvor fünf bis sechs Prozent in manchen Umfragen knapp zweistellig ausgewiesen wurde. Aber auch das wäre ein tiefer Fall - ausgehend vom 2015 gesetzten Rekord von 30,8 Prozent.
Zum Vergleich: 2010 machte schon das Plus mit 10,9 Prozentpunkten etwa so viel aus wie die FPÖ jetzt an Stimmenanteil erwarten kann. Auf den Höhenflug gebracht hatte die Partei der Bundes- und Wiener Parteichef Heinz-Christian Strache - der sie dann nicht nur mit seinen Ibiza-Eskapaden in der Wählergunst in die Tiefe riss, sondern seiner Heimatpartei jetzt auch noch Konkurrenz macht.
Erschwerend kommt für seinen Nachfolger Nepp dazu, dass ihm - im Coronakrisen-Jahr - auch das große Mobilisierungsthema Migration wenig hilft. Das hatte den Blauen vor fünf Jahren während der Flüchtlingskrise noch ein Top-Ergebnis nach dem anderen beschert. Seit dem Ibiza-Crash setzte es ein Desaster nach dem anderen.
Bei der Nationalratswahl 2019 stürzte die FPÖ in Wien von 21,4 auf 12,8 Prozent ab. In Wien muss sie hoffen, zweistellig zu bleiben - und wird - wie es aussieht - den seit 1991 (ausgenommen nur 2005) fünfmal eroberten zweiten Platz einbüßen müssen. Aller Voraussicht nach könnte es sogar nur Rang 4 für die FPÖ werden, erstmals seit 1954 (wo die KPÖ stärker war). Ob Nepp dann tatsächlich noch zum Parteichef gewählt wird, wird sich zeigen.
Spitzenkandidat: Dominik Nepp (38)
Ergebnis 2015: 30,79% (34 Mandate)
Umfragewerte: 9% (Platz 4)
Team HC Strache
Wie hoch der Verlust der FPÖ ausfällt, hängt auch davon ab, wie sich Heinz-Christian Strache mit seiner neuen Partei "Team HC Strache - Allianz für Österreich" schlägt. Nach dem jähen Ende seiner FPÖ-Karriere durch das Ibiza-Video wollte er sich - trotz Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft - nicht mit der Rolle des Privatmannes zufriedengeben.
Im Dezember 2019 spalteten sich drei (mittlerweile sind es vier) Wiener Gemeinderäte von der FPÖ ab und gründeten "Die Allianz für Österreich". Nach langem öffentlichen Zieren gab Strache Ende Februar bekannt, dass er Spitzenkandidat der neuen Partei ist.
Versuche, seinen Antritt (u.a. der Kleinpartei "Wandel") mit Hinweis auf seine Klosterneuburger Villa zu verhindern, waren nicht erfolgreich. Das Verwaltungsgericht attestierte ihm einen Wiener Hauptwohnsitz, somit konnte sich Strache als "HC"-Listenerster um die Gunst der Wähler bemühen. Ob er die Fünf-Prozent-Hürde schafft, ist laut Meinungsforschern offen.
Spitzenkandidat: Heinz-Christian Strache
Umfragewerte: 5%
Drei weitere Parteien stehen bei der Gemeinderatswahl wien-weit noch am Stimmzettel:
Bündnis Links (LINKS)
Das Bündnis versteht sich als „linke Opposition zu Rot-Grün“; auch die KPÖ ist dabei. Gefordert wird eine bedingungslose Existenzsicherung von 1.500 Euro pro Monat für alle, die 30-Stunden-Woche und eine Anhebung der Mindestpension. Auf Listenplatz drei steht Can Gülcü, Mitorganisator der Donnerstagsdemos gegen die türkis-blaue Bundesregierung.
Spitzenkandidatin: Anna Svec
SÖZ (Soziales Österreich der Zukunft)
Ebenfalls im linken Spektrum ist die Partei um den türkischstämmigen Listengründer Hakan Gördü und die frühere Liste-Jetzt-Nationalratsabgeordnete Martha Bißmann einzuordnen.
Die Partei – oft als Migrantenliste bezeichnet – forderte kürzlich, Austrotürken und Personen aus Ex-Jugoslawien als Volksgruppen anzuerkennen. Weitere Forderungen: eine Bildungsreform, mehr Gehalt für Sozialberufe. Von seiner Vergangenheit als Vizechef der UETD, die als verlängerter Arm der Erdoğan-Partei AKP gilt, distanziert sich Gördü. Es gebe keine Einflussnahme aus der Türkei.
Spitzenkandidatin: Ex-Pilz-Abgeordneten Martha Bißmann
Bierpartei (BIER)
Auch wenn sie sich selbst nicht als Satirepartei bezeichnen, sagen ihre Forderungen etwas anderes. Bereits ihr Slogan „Make Wien dicht again“ verrät, dass es der Partei darum geht, dass die Wiener nicht um ihr Bier umfallen. Ziel von Spitzenkandidat und Turbobier-Sänger Marco Pogo ist kein geringeres, als Bürgermeister zu werden. Auf Social Media legte die Bierpartei einen starken Auftritt hin.
Spitzenkandidat: Dominik Wlazny alias Marco Pogo
Meinungsforscher sehen bei allen drei Parteien keine Chance auf einen Einzug in den Gemeinderat.
Darüber hinaus stehen drei weitere Listen nur in einzelnen Bezirken auf dem Stimmzettel:
- Die Liste Volt Österreich (VOLT)
- Die Liste Pro23: Liste Ernst Paleta - für ein lebenswertes Liesing! (PRO)
- Die Liste WIFF - Wir für Floridsdorf (WIFF)
Welche Parteien und Listen bei der Bezirksvertretungswahl antreten, steht hier:
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