Wien-Wahl: Wieso die Ziffer 2 für die Parteien so wichtig ist
Zahlenspiele erfreuen sich in der Politik generell, vor Wahlen aber ganz besonderer Beliebtheit. Wer gewinnt, wer verliert? Wie viele Mandatare erhält welche Fraktion? Und welche Mehrheiten gehen sich aus?
Meinungsforscher und Parteistrategen horten in den Wochen vor einer Wahl die Zahlen. Mit ihnen wird Stimmung gemacht. Die Grundregeln sind dabei einfach zu erlernen.
Den eigenen Kontrahenten dichtet man vor der Wahl meist höhere Zahlen an - das soll deren Anhänger in Sicherheit wiegen und demobilisieren. Sich selbst setzt man eher niedrig an, um die eigenen Wähler zu motivieren. (Zu niedrig ist freilich auch schlecht. Der Wähler darf nie den Eindruck gewinnen, seine Stimme sei verloren.)
Eine zentrale Zahl für die Wien-Wahl ist die 48. So viel Prozent benötigt eine Partei (oder eine Koalition) mindestens, um die nötige Mandatsmehrheit im Wiener Gemeinderat zu bekommen.
Eine andere ist die Zwei. Die Ziffer beschäftigt aus ganz unterschiedlichen Gründen alle Parteien.
Die ÖVP: Die Krux mit "dem Zweier vorne"
An der Frage, ob die ÖVP 20 (oder mehr) Prozent erhält - oder eben weniger -, scheiden sich die Geister. Die meisten Umfragen sehen die ÖVP leicht bis deutlich über 20 Prozent. Zuletzt waren es, etwa in der KURIER-OGM-Umfrage, eher 24 Prozent.
"Der Zweier vorne" spielt dabei eine ganz zentrale Rolle.
Für Freude sorgen die hohen Werte (2015: 9,2 Prozent) zum derzeitigen Zeitpunkt - paradoxerweise - eher bei den Strategen der Kontrahenten, nicht bei den Türkisen selbst. Die anderen Parteien können mit diesen Zahlen die eigenen Wähler gut mobilisieren.
Vor allem der SPÖ passt der Wert gut in ihre zentrale Wahlkampfstrategie: Die Roten warnen eindringlich vor einer Dreier-Koalition zwischen ÖVP, Grünen und Neos. Mit derart guten türkisen Werten wird die Mehrheit (rein rechnerisch) wahrscheinlicher.
Dementsprechend verärgert ist man bei der ÖVP. Man sieht sich selbst eindeutig unter der 20-Prozent-Marke. Nämlich bei 18 Prozent. "Wenn sich die ÖVP am 11. Oktober in Wien auf 18 Prozent verdoppelt, wäre das für sie schon ein schöner Erfolg", meinte etwa Meinungsforscher Franz Sommer, der für die ÖVP die Demoskopie betreut, zuletzt im Gespräch mit dem KURIER.
Die ÖVP fürchtet sich bei zu guten Prognosen aber nicht nur vor einer Demobilisierung der eigenen Wähler. (Die hat man derzeit gut im Griff.) Sondern eher davor, was passiert, falls man mit dem eigenen Spin tatsächlich recht behält und unter 20 Prozent bleibt.
Wenn sich die guten Umfragewerte im kollektiven Gedächtnis festsetzen, wäre alles darunter - und seien es nur 19,9 Prozent - eine Niederlage. Die anderen Parteien würden diese ausschlachten, fürchtet man. Die ÖVP will viel, aber sicher nicht als Wahlverlierer dastehen - vor allem nicht, wenn man sich eigentlich verdoppelt hat.
Die FPÖ: Zittern um die Zweistelligkeit
Um einen anderen Zweier geht es den Blauen. Nämlich um die Frage, ob sie überhaupt zweistellig werden im Wahlergebnis. Dass der FPÖ nach den Ibiza- und Spesen-Skandalen ihres Ex-Chefs eine herbe Niederlage einfahren werden, scheint sicher. Jetzt geht es darum, wie herb sie ist.
Im Jahr 2015 kam die FPÖ auf 30,8 Prozent. Derzeit liegt sie in den Umfragen bei rund 10 Prozent. Wird sie einstellig - und das ist durchaus möglich -, wird sie zur Kleinpartei. Gerade in Wien, seit Langem eine der blauen Hochburgen, würde das schmerzen.
Derzeit gibt man sich in der FPÖ noch entspannt: "Ich freue mich schon auf den Wahlkampf", sagte Spitzenkandidat Dominik Nepp zuletzt im KURIER-Interview. "Oft hat man schon versucht, der FPÖ mit Spaltungen zu schaden. Immer sind wir stärker denn je zurückgekommen."
Die Neos: Das zweite Mal in den Gemeinderat
Für die Neos geht es um den Verblieb im Gemeinderat: Schenken ihnen die Wähler das zweite Mal das Vertrauen?
Im Jahr 2015 kamen die Neos in den Gemeinderat, und zwar mit 6,2 Prozent. Aus pinker Sicht bedenklich: Trotz des Absturzes der FPÖ und konsequenter Oppositionsarbeit liegen sie auch heute, fünf Jahre später, laut Umfragen an genau dieser Marke.
Rechnet man die üblichen Schwankungsbreiten mit ein, könnte es auch knapp werden. Der Wahlkampf ist noch lang. Und bis jetzt sind die Neos nicht durch starke Ansagen aufgefallen.
Einzige Ausnahme: Spitzenkandidat Christoph Wiederkehr hat am Samstag einer Koalition mit der ÖVP eine Absage erteilt. Und damit wohl auch all jenen Neos-Wählern, die ihre Partei gerne in Wien in Regierungsverantwortung sähen.
Die SPÖ: Kriegt Ludwig nach zwei Jahren eine zweite Amtszeit?
Gewählt wurde Michael Ludwig noch nie. Also zumindest nicht ins Amt des Bürgermeisters. Er übernahm mitten in der laufenden Periode von Langzeit-Vorgänger Michael Häupl und führt die Stadt jetzt seit etwas mehr als zwei Jahren.
Er muss jetzt beweisen, dass er auch wahlkämpfen kann. Bis die Corona-Krise aufkam, war er thematisch nicht allzu stark aufgestellt. Jetzt hilft ihm der Amtsinhaber-Bonus, der in schlechten Zeiten besonders durchschlägt.
Die Umfragen bescheinigen Ludwig eine mehr als passable Performance: Mehr als 90 Prozent der eigenen Wähler haben eine gute Meinung von ihm, auch bei den Wählern anderer Parteien hat er gute Werte.
Zu gut ist nicht gut - das wissen freilich auch die roten Strategen (siehe ÖVP). Und so zieht die SPÖ mit der Erzählung in die Wahl, dass der rote Bürgermeister-Sessel wackelt.
Dass die SPÖ in den Umfragen bei bis zu 38 Prozent liegt, macht das Vorhaben nicht gerade einfach. Dass ÖVP, Grüne und Neos zusammen auf bis zu 47 Prozent kommen, hilft hingegen. (Wir erinnern uns: Die magische Grenze liegt bei rund 48 Prozent.)
Die Grünen: Geht sich der zweite Platz aus?
Glaubt man der ÖVP, dann ist er den Grünen ja sicher: Der zweite Platz hinter der SPÖ. Bisher war die FPÖ auf den Posten des Verfolgers abonniert, jetzt ist er vakant.
Glaubt man den Umfragen, steigen die Grünen derzeit in der Wählergunst. Noch vor wenigen Wochen sahen sie die Meinungsforscher bei rund 16 Prozent. Derzeit geht man davon aus, dass es auch 18 oder 19 Prozent werden können.
Falls die Grünen in der Stadtregierung bleiben, geht es jedenfalls um eine andere Zwei: Nämlich dann, wenn die Stadtratsposten verteilt werden.
Derzeit haben die Grünen einen Sitz in der Stadtregierung, jenen von Parteichefin Birgit Hebein. Nach der Wahl werden es - so sieht es der Berechnungsschlüssel in der Stadtverfassung vor - ziemlich sicher zwei Sitze. Offen ist die Frage, an wen der Platz gehen könnte. Es gibt mehrere Favoriten.
Team HC Strache: Erhält Strache eine zweite Chance?
Verzeihen ihm seine Wähler Ibiza, Spesen und Co? Und erhält Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache eine zweite Chance? Für ihn geht es am 11. Oktober mit seiner neuen Liste Team HC Strache um den Einzug in den Gemeinderat.
Strache liegt in den Umfragen derzeit bei 4 bis 5 Prozent. Alle direkt an jener Hürde, die es zu überspringen gilt, um im Gemeinderat vertreten zu sein.
Zuletzt machte er mit neuen Unterstützern, die er der FPÖ in Hietzing abwerben konnte, und mit einer Würstel-Verteil-Aktion von sich hören. Vor allem aber mit Spekulationen über seinen Hauptwohnsitz. Nur wenn er diesen in Wien hat - und das ist strittig -, darf er kandidieren. Strache wurde angezeigt und die FPÖ droht bereits damit, die Wahl anzufechten.
Die Wahlbeteiligung: Kommt eine zweite Corona-Welle?
Sorgen müssen sich die Parteien auch um die Wahlbeteiligung. Die dürfte, wenn man den Meinungsforschern glaubt, diesmal deutlich unter dem Wert des Jahres 2015 liegen. Rund 68 Prozent der Wahlberechtigten gaben zuletzt an, tatsächlich an der Wien-Wahl teilzunehmen.
Spannend wird es vor allem mit Blick auf den Anteil jener, die nicht klassisch im Wahllokal wählen werden: Noch nie war die Zahl derer, die per Wahlkarte wählen wollen, so hoch. Das liegt auch an Corona und der Angst, sich bei Menschenansammlungen im Wahllokal zu infizieren.
Vor allem SPÖ und FPÖ macht das Kopfzerbrechen: Ihr Anteil unter den Wahlkartenwählern ist traditionell unterdurchschnittlich. Und: In Wien wählen viele Ältere die SPÖ. Sie gelten als Corona-Risikogruppe und könnten im Herbst besonders vorsichtig sein.
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