Wiederkehr: „Wir müssen schneller sein als die Extremisten“
Christoph Wiederkehr. Der Wiener Neos-Chef zeigt in Integrationsfragen vermehrt Kante. Ein Gespräch über die Situation in Schulen, unkooperative Eltern und was ihn von Herbert Kickl unterscheidet
Wiens Vizebürgermeister und Neos-Chef Christoph Wiederkehr ist für Integration und Bildung zuständig. Mit dem KURIER hat er über die großen Herausforderungen in beiden Bereichen gesprochen. Außerdem hat er beantwortet, warum er im Dezember nicht in Wien geheiratet hat.
Bildung und Integration sind die Themen, bei denen es gefühlt gerade an allen Ecken und Enden brennt. Würden Sie sich wieder für diese Ressorts entscheiden?
Christoph Wiederkehr: Auf jeden Fall. Denn genau in diesen Bereichen liegt die Zukunft. Die Frage, wie die Gesellschaft künftig ausschaut, hängt sehr stark davon ab, welche Bildungschancen Kinder und Jugendliche bekommen. Was mich politisch antreibt, seitdem ich selber jung bin, ist, für die besten Bildungschancen für alle Kinder, die in Wien aufwachsen, zu sorgen.
Auf Ihren Vorstoß zur Wohnsitzauflage für anerkannte Flüchtlinge (siehe Infobox weiter unten, Anm.) reagierte SPÖ-Sozialstadtrat Peter Hacker mit den Worten „Man muss auch ein bisschen die Kirche im Dorf lassen.“ Wird die Integrationsdebatte in Wien ernst genug genommen?
Mir persönlich ist es extrem wichtig, die Sachen offen anzusprechen. Es gibt ein Problem, wenn so viele in kurzer Zeit nach Wien zuziehen, die weniger Bildungserfahrung mitbringen. Wir haben im letzten Jahr gesehen, dass unter dem Jahr 3.000 Kinder zusätzlich in das Schulsystem gekommen sind. Und das sind vermehrt Kinder, die noch nie in einer Schule waren. Das ist eine riesige Herausforderung. Die kann die Stadt nicht alleine stemmen, aber es ist notwendig, auch in Wien Maßnahmen auszubauen.
Wir forcieren massiv Alphabetisierungskurse und Qualifizierungsmaßnahmen, damit die Menschen, die zu uns kommen, auch einen Arbeitsplatz bekommen und die deutsche Sprache lernen. Das erwarten sich die Menschen in Wien zu Recht von gelungener Integration. Und auch ich erwarte mir das.
Sie werden beim Thema Integration sehr deutlich. Die Presse hat in einem Kommentar getitelt „Macht Wiederkehr den Kickl?“. Wie würden Sie das beantworten?
Herbert Kickl ist ein Brandmelder, aber auch ein Brandbeschleuniger. Das heißt, er spielt Feuerwehr, löscht aber nicht mit Wasser, sondern mit Öl. Mein Ansatz ist, Probleme zu benennen, aber auch sinnvolle Lösungen anzubieten. Das ist der große Unterschied zu Rechtspopulisten.
Extremismus-Prävention an Schulen ist in aller Munde. Wie realistisch ist es, radikalisierte Jugendliche von den westlichen Werten zu überzeugen?
Wir müssen schneller und überzeugender sein als die Extremisten. Die warten nur darauf, die Jugendlichen auf ihre Seite zu bringen. Das gilt für linksextreme, rechtsextreme und religiöse Extremisten. Jugendliche sind sehr gefährdet, weil durch Social Media Propaganda so leicht direkt ins Wohnzimmer kommt. Wir machen unter anderem mit Vorbildern von Jugendlichen Werbung für die Demokratie im digitalen Raum. Zum Beispiel reden ein Polizist und ein tschetschenischer Jugendlicher, der früher straffällig war, gemeinsam mit Schulklassen über das Zusammenleben und stellen diesen Content ins Internet, damit es dort auch positive Narrative gibt.
Gerade von Lehrern hört man oft, dass sie von den Neos enttäuscht sind. Können Sie das verstehen?
Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass Lehrkräfte aufgrund der vielen Krisen und des Fachkräftemangels sehr gefordert sind und deshalb auch Frust entsteht. Darum ist mir auch wichtig, jede Woche in einer Schule zu sein und mit Lehrkräften und Direktoren zu sprechen, um konkrete Verbesserungsmaßnahmen auf den Weg zu bringen. Durch diese Dialoge ist im letzten Jahr sehr viel gelungen. Wir haben etwa die administrativen Unterstützungskräfte massiv aufgebaut.
Wie wollen Sie dem Lehrermangel entgegensteuern?
Er ist in Österreich zum Teil hausgemacht. Ich kann mich an meine Schulzeit erinnern, wo es einen Brief von der ÖVP-Unterrichtsministerin Elisabeth Gehrer gegeben hat, in dem sie davor gewarnt hat, Lehrer zu werden. Es ist ein Fehler der Vergangenheit, den vor allem die ÖVP gemacht hat. Das spüren wir bis heute. Die notwendigen Schritte sind nun, neben der Attraktivierung des Lehrberufs auch den Quereinstieg zu erleichtern. Die Verantwortung genug Lehrkräfte auszubilden, liegt aber ganz klar auf Bundesebene.
Vorstoß Christoph Wiederkehr (Neos) fordert eine Wohnsitzauflage für anerkannte Flüchtlinge. Nicht berufstätige Menschen, deren Asylverfahren abgeschlossen wurde, sollen drei weitere Jahre in jenem Bundesland leben müssen, in dem das Verfahren durchgeführt worden ist
Begründung Damit soll eine Überlastung des Wiener Bildungssystems verhindert werden. Für neu eingetroffene Kinder, die noch nicht schulreif sind, werden Orientierungsgruppen eingeführt
Sie wollen unkooperative Eltern bestrafen. Wie?
Ich halte es für notwendig, wenn Eltern gar nicht mit der Schule kooperieren. Und da gibt es Fälle, dass zum Beispiel Väter, zum Teil muslimischen Glaubens, nicht mit weiblichen Lehrkräften reden. Ich finde, hier muss es von der Schule die Möglichkeit geben, auch Sanktionen auszusprechen. In einem ersten Schritt soll es eine verpflichtende Sozialarbeit geben. Wenn aber auch das nicht klappt, bin ich für Verwaltungsstrafen. Dafür braucht es aber gesetzliche Änderungen. Vom Bund habe ich leider noch keine konkreten Antworten bekommen, wie wir weiter vorangehen.
Wie würden Sie die Zusammenarbeit mit dem Bund beschreiben?
Punktuell gelingen einzelne Themen, aktuell eine massive Aufstockung von den finanziellen Mitteln für Qualifizierungen von Migrantinnen und Migranten. Es gibt aber viele Forderungen, die für Wien notwendig wären und ÖVP und das Bildungsministerium bremsen und lieber auf Wien schimpfen.
Gewalttätige Schüler werden suspendiert. Geht es nicht in die falsche Richtung, diese Schüler ins „Nichts“ zu entlassen?
Suspendiert wird dann, wenn eine Gefahr von einzelnen Schülern ausgeht. Ich finde es aber auch als nicht zufriedenstellend, wenn nach der Suspendierung nichts mehr passiert. Deshalb haben wir ein Gewaltschutzpaket geschnürt. Das beinhaltet, dass bei einer Suspendierung ab heuer ein verpflichtendes Gespräch mit Sozialarbeitern und Eltern geführt wird.
Kleingärten, Wien Energie, Undurchsichtigkeit bei Parteilokalen in Gemeindebauten: Müsste man als Transparenz-Partei nicht lauter wegen der Vorgänge bei Ihrem Koalitionspartner SPÖ aufschreien?
Für mich ist es wichtig, Missstände klar anzusprechen. Das haben wir auch in vielen dieser Fälle gemacht. Es ist aber eine interne Kulturfrage in den Parteien, wie man damit umgeht. In diesen Fällen wird es wohl keine gesetzlichen Verfehlungen geben, aber moralische. Wir haben einen anderen Standard, den wir als Neos leben.
Ich setze alles daran, dass eine Regierungsbeteiligung wieder klappen wird. Wir sind der Motor und die Kontrolle in der Regierung.
von Christoph Wiederkehr
Über die Wien-Wahl 2025
Auf einer Skala von 1 bis 10 – wie transparent würden Sie das Rathaus bewerten?
Ich würde dem Rathaus 5/10 Punkten geben, denn bis es ein Informationsfreiheitsgesetz gibt, das hoffentlich bald kommt, sind Bürger überall in Österreich Bittsteller beim Zugang zu Informationen. Wir haben schon viele Schritte gesetzt. Zum Beispiel haben wir eine Whistleblowing-Plattform eingeführt, damit auch Missstände gemeldet werden können.
Was ist Ihr Wahlziel für 2025? Wird sich wieder eine Koalition ausgehen?
Ich setze alles daran, dass es wieder klappen wird. Wir sind der Motor und die Kontrolle in der Regierung. Viele Projekte entfalten erst nach einigen Jahren die wirkliche Kraft. Ich denke also nicht nur für eine Legislaturperiode, sondern für zwei.
Warum hat der Wiener Vizebürgermeister nicht in Wien geheiratet?
Meine Partnerin ist aus New Jersey. Sie gibt sehr viel für unsere Beziehung und hat die Entscheidung getroffen, nach Wien zu ziehen. Wir haben uns darum entschieden, in den USA zu heiraten.
Gab es wenigstens Punschkrapferl als Hochzeitstorte?
Nein, aber wir haben den Tag trotzdem sehr genossen.
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