Wie ein Kaffee und ein warmes Mittagessen die Existenz retten können

Das Café der Sozialorganisatoin Neunerhaus
Die Teuerung ist für viele Menschen nach wie vor eine Herausforderung. Ein Lokalaugenschein im Neunerhaus-Café, wo Menschen Essen und Hilfe von Sozialarbeitern bekommen.

„Momentan wohne ich in einer Notschlafstelle“, sagt Peter (Name geändert, Anm.), während er sich an seinem Wasserglas festhält. Kontakt zu seiner Familie habe er schon lange nicht mehr, erzählt der 26-jährige Deutsche. Er spricht leise, wirkt schüchtern. 

Um nicht allein zu sein, habe er einen Ort gesucht, an dem er einen Kaffee trinken und ein wenig plaudern könne. Aber in anderen Betreuungszentren für Obdachlose „waren so krasse Typen, da bin ich  nach einer Minute wieder rückwärts raus.“

Peter ist einer der Gäste an einem kühlen Maivormittag im Café der Sozialorganisation Neunerhaus. Auf den ersten Blick ein gewöhnliches Kaffeehaus: Die Menschen bestellen an der Theke Espresso und Cappuccino, auf einer Tafel ist das Mittagsmenü aufgelistet, die Gäste an den Tischen plaudern oder blättern in einer Zeitung. 

Erst auf den zweiten Blick erkennt man kleine Unterschiede: Auf der Karte stehen keine Preise, die Bezahlung landet in einer Spendenbox. So mancher Gast hat einen Schlafsack dabei. Und an einem Stehtisch lehnt eine Sozialarbeiterin, falls Ansprache benötigt wird. 

Jeder bezahlt, soviel er sich leisten kann

„Bei uns gibt es Essen, Kaffee und ein offenes Ohr“, beschreibt Laura Wahlhütter, Sozialarbeiterin und Leiterin des Neunerhaus-Cafés. Geöffnet ist werktags von 10 bis 15 Uhr. Jeder bezahlt, was er geben kann –  für hochwertigen Kaffee und Mittagessen in Bio-Qualität. Denn gesundes Essen ist  nicht für alle Menschen täglich leistbar. 

Erst am Donnerstag wurde eine Umfrage publik, laut der 420.000 Menschen in Österreich an „schwerer Ernährungsarmut“ leiden, wie es im Fachjargon heißt. Sie mussten also Mahlzeiten  ausfallen lassen oder hatten  an manchen Tagen gar nichts zu essen. 

„Wir merken seit zwei Jahren, dass die Teuerung die Menschen sehr belastet“, beschreibt Wahlhütter.  Auch wenn die Inflation zurückgehe, seien Lebensmittel für viele immer noch vergleichsweise teuer. Im Café steige die Nachfrage nach leistbarem Mittagessen sogar: Waren es früher 90 Portionen, die täglich serviert wurden, seien es mittlerweile mehr als 100. 

Über Existenzängste zu sprechen ist oft schwierig

Die hohen Mieten, teils nach wie vor hohe Energiekosten: Zahlreiche Klienten plage die Sorge, ihre Wohnung nicht bezahlen oder die Kinder nicht versorgen zu können. Themen, die belasten, über die sich aber viele nicht zu sprechen trauen. 

„Manchmal fällt es  in einem entspannten Rahmen wie hier leichter, sich zu öffnen“, sagt Wahlhütter. „Man redet zuerst oft über Banales wie das Wetter. Ist eine Vertrauensbasis da, erzählen uns Menschen eher ihre Sorgen.“ Dann setze man sich zusammen, suche nach Lösungen, helfe beim Weg durch den Bürokratiedschungel.

Die Hilfe reicht  von kurzer Beratung bis zur Kriseninterventionen

Sozialarbeiter helfen auch bei Übersetzungen

An diesem Vormittag ist es ruhig im Café. Ein Gast ist Peggy aus Nigeria. Sie sei alleinerziehende Mutter zweier Kinder, daher sei es schwierig, Arbeit zu finden, sagt sie. Und Deutsch spreche sie nicht so gut. Daher trinke sie gerne  Kaffee hier, eine Sozialarbeiterin helfe ihr beim Übersetzen von Behördenschreiben.

Ein Gast Mitte dreißig, – ein paar Tattoos, unauffällige Kleidung, Bart – nimmt  an einem Tisch im Freien Platz. Er rührt im Kaffee und zündet sich eine Zigarette an. Hierher geführt habe ihn sein treuer Begleiter: der kleine Hund namens Shifu. Denn Neunerhaus bietet auch kostenlose tierärztliche Versorgung an. „Da hab’ ich gesehen, dass es hier  auch ein Kaffeehaus gibt.“

Das Café als zweites Wohnzimmer

Der Gast stellt sich als Michelle vor. Früher sei sein Name Michael gewesen, doch er fühle sich als Transperson. Dass er von der Interviewerin aufgrund des Barts als Mann angesprochen wurde, nimmt er mit Humor: „Nicht einmal meine Mutter hat sich schon dran gewöhnt.“ 

Seit drei Jahren komme er her, hier werde jeder akzeptiert, wie er – oder sie – sei. 

Nach vielen Jahren im Gefängnis habe er zuerst keinen Job und kaum Geld gehabt, „da hab’ ich nur Kleingeld fürs Essen zahlen können“. Später, als er Arbeit hatte, warf er 20, 30 oder gar 50 Euro in die Spendenbox. „Als Dank. Weil ich ja auch herkommen können hab’, als ich gar nix g’habt hab“, sagt Michelle. 

Darum sei das Café quasi ein zweites Wohnzimmer. 

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