1922 wurde jenes Punktesystem eingeführt, nach dem die Gemeindewohnungen vergeben wurden. Eine neue Ausstellung gewährt einen Blick in den Alltag von damals
Energiesparen war schon in den 1920ern ein Thema. In Wien wurde die Bevölkerung darum mit nützlichen Tipps versorgt: Man solle beim Kochen etwa mehrere Töpfe übereinander auf den Gasherd stellen, um die daraus entstehende Wärme bestmöglich zu nutzen.
Recherchiert hat das Lilli Bauer vom Museum „Das Rote Wien“ im Waschsalon Karl-Marx-Hof (19., Halteraug. 7). Für eine neue Ausstellung hat sie zusammengetragen, wie die Wohnungen damals ausgestattet waren – und vor allem, wie der Alltag der Menschen in den Gemeindewohnungen ausgesehen hat, die im roten Wien ab 1922 nach einem nach Dringlichkeitsstufen geordneten Punktesystem vergeben wurden.
Herangezogen habe sie Zeitungsartikel von damals, auch Leserbriefe oder Zitate von berühmten Persönlichkeiten, erzählt Bauer im KURIER-Gespräch. „Die Menschen, die in diese Wohnungen hineinkommen, erfahren erst, was Wohnen ist“, sagte etwa der prominente sozialdemokratische Politiker Otto Bauer im Jahr 1928. „Sie haben zum ersten Mal nicht bloß eine Schlafstelle, sondern eine Wohnung.“
Tatsächlich waren um 1900 die „Gangküchenwohnungen“ berüchtigt, in denen es weder fließendes Wasser noch Elektrizität gab.
Strenge Regeln
Die Gemeindewohnungen verfügten laut Expertin Bauer über Aborte mit Wasserspülung, in den Küchen waren Gasherde und Wasserausläufe montiert, in alle Räume war elektrischer Strom eingeleitet. Bäder innerhalb der Wohnungen, Aufzüge und Zentralheizung blieben hingegen ein Wunschgedanke. Die Wohnungen hatten in den Anfangsjahren eine Größe von 38 bis 48 Quadratmetern. Um Konflikte in den Gemeindebauten zu vermeiden und die Mieter auch zu „erziehen“, wie Bauer sagt, wurden strikte Hausordnungen an die Bewohner ausgeteilt. Darin zum Beispiel festgeschrieben: „Das Zerkleinern von Holz und Kohle in den Wohnungen ist strengstens untersagt und darf nur im Keller oder im Hofe geschehen.“
Auch für die sogenannten „Klopfbalkone“ gab es strenge Regeln. Kleider durften nur zwischen 7 und 10 Uhr ausgeklopft werden, das Teppichklopfen war nur im Hof gestattet. In der Ausstellung gibt es zwölf Schautafeln, die so angeordnet sind, dass man das Gefühl hat, man würde einen Wohnungsrundgang machen. So werden Eingangsbereich, Wohnzimmer oder Schlafbereich nacheinander beleuchtet.
Die Rolle der Frau
Besonderes Augenmerk wird in der Sonderschau auf die Rolle der Frau gelegt. Da die Gemeindewohnungen günstig waren, war der Zuverdienst vieler Frauen nicht mehr notwendig und viele gaben ihre Posten auf – sie wurde daraufhin zur „Hüterin der Familie und der Wohnung“, erzählt Bauer.
Das unterstreicht auch eine Mitteilung des Magistrats im Jahr 1928: „Der Fußboden soll der Stolz jeder Hausfrau sein.“ In einem Merkbüchlein, das an die Mieter ausgegeben wurde, fand sich zudem ein eigenes Kapitel für Frauen – „Ein paar Worte an die Hausfrau“ – in dem diese geduzt werden. Darin sind Tipps zum Lüften oder zur Reinigung der Wohnung zu lesen.
Das widerspreche dem damals von der Sozialdemokratie propagierten Idealbild der berufstätigen Frau, sagt Bauer. „Aber auch die sozialdemokratischen Männer hatten die Wunschvorstellung, die Familie alleine ernähren zu können.“
Sonderschau
„Schöner Wohnen im Roten Wien“ ist von 8. September 2022 bis zum 17. Dezember 2023 im Waschsalon Karl-Marx-Hof
(19., Halteraug. 7) zu sehen
Führungen
Kuratorinnen-Führungen gibt es am 29.9., 20.10., 10.11. und 1.12. 2022. Der Beginn ist jeweils um 18 Uhr, eine Anmeldung ist erforderlich unter info@dasrotewien-waschsalon.at. Eintritt: 10 Euro pro Person
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