Tschetschenen und Syrer: Friedensvertrag mit bitterem Beigeschmack

Schüsse, Messerattacken und wilde Schlägereien: Nächtliche Straßenkämpfe zwischen jungen Syrern und Tschetschenen versetzten die Wiener Polizei zuletzt in Alarmbereitschaft. Am Dienstag wurde schließlich ein „Friedensvertrag“ präsentiert: Ausgehandelt wurde dieser von Vertretern beider Gruppen.
Der Konflikt dürfte also gelöst sein – doch was ist von einem derartigen Friedensvertrag zu halten?
Die Ältesten, Geistliche und Jugendliche berieten
Einer, der bei den Verhandlungen dabei war, ist der 24-jährige Influencer Ahmad Mitaev. Er hat tschetschenische Wurzeln und ist in der Community gut vernetzt. Die sogenannten Ältestenräte der Tschetschenen und Syrer, aber auch Jugendliche seien involviert gewesen, schilderte er gegenüber Ö1. Vor allem sei es um die moralische Frage gegangen, wie man sich in einem Land verhalte, in dem man nur zu Gast ist. Auch Geistliche seien anwesend gewesen. „Selbst wenn die Religion nicht der Grund für die Konflikte ist, ist sie für diese Menschen sehr wichtig“, sagte Mitaev. Ein Imam hätte an die jungen Männer appelliert, die Gewalt zu beenden.
Doch wer sind diese sogenannten Ältestenräte?
„In der Regel geht hier nicht um das tatsächliche Alter, sondern um den Respekt, den jemand in einer Community erworben hat“, erklärt der Historiker Heiko Heinisch, der unter anderem zu Parallelgesellschaften forscht. „Das ist auch eine kulturelle Frage: Die Ältestenräte gibt es in Gesellschaften, die von der Mentalität her eher kollektivistisch sind. Da sorgen die Ältesten dafür, dass ein Konflikt nicht eskaliert.“
Es sei zwar positiv, dass der gewalttätige Konflikt beigelegt wurde, „aber diese Form der außergerichtlichen Streitschlichtung ist bei Straftaten grundsätzlich abzulehnen“, fügt Heinisch hinzu. „Denn es muss davon ausgegangen werden, dass die Streitschlichter die Straftäter kennen, andernfalls könnten sie nicht vermitteln, und diese somit decken. Damit behindern sie die Arbeit von Polizei und Justiz.“
Wohin das führen kann, sehe man etwa bei arabischen Clans in Berlin: „Selbst bei schwersten Straftaten wie Mord wollen sie alles unter sich austragen. Sie handeln dann konzertiert und verweigern alle die Aussage vor Gericht.“
Polizei fahndet intensiv nach Tätern
Auch in Wien dürften sich die drei festgenommen Verdächtigen bisher nicht sonderlich kooperativ zeigen. Mit Fotos fahndet die Polizei derzeit intensiv nach weiteren Männern, die in die Straßenschlachten involviert waren.
Kein ethnischer Konflikt?
Doch handelte es sich, wie im Friedenspapier angeführt, tatsächlich nur um einen Konflikt unter Jugendlichen? In dem Schreiben wird betont, dass keine ethnische Auseinandersetzung dahinterstecke.
Heinisch bezweifelt das: „Das ist nicht plausibel, da gab es ganz klar eine ethnische Zusammensetzung der Gruppen.“ Der Konflikt betreffe nicht nur die Individuen, sondern weite sich aus.
Vorsicht walten lassen
Ob wir in Österreich schon eine Parallelgesellschaft haben? Teilweise, erwidert Heinisch, aber bei Weitem nicht so ausgeprägt wie in Deutschland oder Großbritannien. „Dass sich Zuwanderer tendenziell in eigenen Communitys aufhalten, ist verständlich. Man muss aber aufpassen, dass sich die Segmentierung nicht über Generationen hinweg verfestigt.“
"Muss klar sein, dass wir in einem Rechtsstaat leben"
Den Friedensvertrag an sich begrüßt auch die Politik. Aber: „Es muss absolut klar sein, dass wir in einem liberalen Rechtsstaat leben, in dem das Gewaltmonopol beim Staat liegt“, so Wiens Integrationsstadtrat Christoph Wiederkehr (Neos). In puncto Sicherheit müsse aber deutlich mehr getan werden: unter anderem mehr Polizei, Neustart-Programme für straffällige Jugendliche oder ein konsequentes Abschieben von straffälligen Drittstaatsangehörigen.
Letzteres sieht auch Wiens ÖVP-Chef Karl Mahrer so, denn „Menschen, die unter Ausnutzung ihres Schutzstatus Konflikte auf der Straße mit Fäusten, Messern und Pistolen austragen, haben keinen Platz in Europa, Österreich und in Wien“.
Und: Es dürfe jetzt nicht zur Tagesordnung übergegangen werden, sagt Mahrer . „Niemand kann behaupten, dass hier ein Sommerlochthema wegen des Wahlkampfs absichtlich hochgezogen wird. Die fast täglichen Ereignisse sprechen für sich.“
Kommentare