Reinprechtsdorfer Straße: Ein Theater in sechs Akten

Kenner der Stadtpolitik wissen: Verkehrsberuhigungsprojekte sind selten besonders ruhig, sondern meist mühsam umzusetzen – und fast immer von schrillem Polit-Getöse begleitet.
Klar ist auch: Bezirkspolitik hat ihre eigenen Gesetze. Immer wieder kommt es zu unerwarteten Allianzen und Frontstellungen, die es laut klassischer parteipolitischer Farbenlehre gar nicht geben dürfte.
Bei der Reinprechtsdorfer Straße werden derzeit beide Grundsätze bis zum Exzess ausgereizt. Diese Woche ist die Debatte erneut eskaliert – nun soll es eine Sondersitzung der Bezirksvertretung und eine Bürgerversammlung geben.
Wie aber kam es dazu? Ein Drama in (vorerst) sechs Akten.
Der Prolog
Wir schreiben das Jahr 2014: Nach heftigen Geburtswehen erfolgt der Spatenstich für die neue Mariahilfer Straße. Eine Verkehrsberuhigung würde auch der zur Durchzugsstraße verkommenen Reinprechtsdorfer Straße guttun, befindet man im benachbarten Margareten.
Und so verkünden SPÖ-Bezirksvorsteherin Susanne Schaefer-Wiery und die grüne Planungsstadträtin Maria Vassilakou die Umgestaltung. Mit breiter Bürgerbeteiligung, selbstredend.

Ex-Bezirksvorsteherin Susanne Schaefer-Wiery
Ein misslungenes Abschiedsgeschenk
Sechs Jahre sollten verstreichen, bis endlich – rechtzeitig vor der Wien-Wahl 2020 – konkrete Pläne auf den Tisch kommen: Das Konzept sieht eine Begegnungszone zwischen Arbeiter- und Leitgebgasse vor, verbreiterte Gehsteige, Tempo-30-Zonen sowie zusätzliche Radwege.
So weit, so erwartbar. Für Aufregung sorgt denn auch nicht der Plan selbst, sondern die Art und Weise, wie er präsentiert wird: Statt ihn dem Bezirksparlament vorzustellen, geht die Vassilakou-Nachfolgerin Birgit Hebein – zu diesem Zeitpunkt schon berüchtigt für ihre eigenwilligen Vorstöße – damit an die Öffentlichkeit.

Präsentation der Pläne im Herbst
Flankiert von Schaefer-Wiery, die kurz davor im wüsten Streit die SPÖ verlassen hatte und als parteilose Bezirkschefin ihrer Polit-Pension entgegenblickt. Wenig überraschend toben ihre Ex-Genossen.

Die grünen Umbaupläne
Das rote Imperium schlägt zurück
Prompt kommt nach der Wahl die Retourkutsche: Die neue SPÖ-Bezirksvorsteherin Silvia Jankovic kündigt im März an, die Pläne überarbeiten zu wollen, „um mehr aus ihnen rauszuholen“.
Auf eine Begegnungszone (in Wien immer ein Reizwort) will sie sich nicht mehr festlegen. Dafür kann sie sich vorstellen, dass die Reinprechtsdorfer Straße dauerhaft zur einspurigen Einbahn wird.

Bezirksvorsteherin Silvia Jankovic (SPÖ)
Damit könnten auch ÖVP, FPÖ und Linke leben, die das SPÖ-Vorhaben im Bezirksparlament unterstützen. Die ausgebooteten Grünen lassen kein gutes Haar an diesen Plänen: Die Einbahn würde für mehr Verkehr in den Nebenstraßen sorgen, der Baustart würde sich durch die Überarbeitung der Pläne verzögern.
Sie zählt wahrlich nicht zu den schönsten Straßen dieser Stadt. Vielleicht ist sie – sagen die, die sie kennen – sogar eine der unansehnlichsten. Und kennen tut die Reinprechtsdorfer Straße fast jeder.
Nicht, weil sie sich als eine der 80 Einkaufsstraßen der Stadt einen Namen gemacht hätte. Sondern, weil sie eine wichtige Verbindungsstraße zwischen Wienzeile und Gürtel war. Erst seit sie baustellenbedingt als Einbahn geführt wird, sinkt der Verkehr.
Zum Bummeln lädt sie dennoch nicht ein. Das liegt unter anderem am Branchen-Mix. Unter 119 vertretenen Branchen liegen (Billig-)Friseure auf dem ersten Platz, Gastro (vor allem Fast Food) rangiert auf dem dritten Platz. Auch zu finden: Handy-Shops, Wettbüros, Ein-Euro-Läden.
Wirtschaftlich gibt es Luft nach oben. Beim Kaufkraftindex liegt die Straße mit einem Wert von 93 leicht unter der Norm (100). Schlimmer ist es um die Kaufkraftbindung bestellt – also ob die verfügbare Kaufkraft in der Region genutzt wird: Bei der Reinprechtsdorfer Straße beträgt der Wert 6,4 Prozent. Zum Vergleich: In der Inneren Stadt sind es 53 Prozent.
Auch sonst ist die Straße wenig einladend: Die Gehsteige sind schmal, die Straße ist breit. Seit Jahren haben die Händler nicht einmal mehr die Weihnachtsbeleuchtung montiert, weil sie es sich nicht leisten können.
Dabei trägt die Straße einen geschichtsträchtigen Namen: den der Vorstadt Reinprechtsdorf, die 1730 hier lag. Der Name selbst ist viel älter: Schon 1270 wurde ein Dorf dieses Namens erwähnt. Es verödete und wurde nach der Türkenbelagerung aufgegeben. CHS/APR
Eine rot-türkise Affäre
Das will die SPÖ nicht auf sich sitzen lassen. In einer etwas seltsamen Allianz mit der ÖVP reitet man diese Woche eine Attacke gegen die Grünen und wirft ihnen vor, Dirty Campaigning zu betreiben.
Die ungleiche Liaison hält nur wenige Stunden – bis die oft als Autofahrer-Partei gescholtene ÖVP ihre eigenen Vorstellungen für die Straße ventiliert. Inklusive Begegnungszone und Sonnensegel.

Das ÖVP-Sonnensegel
Toni Mahdalik betritt die Bühne
Der blaue Verkehrssprecher und Ex-Fußballer, der immer für Späße zu haben ist, lässt sich den aufgelegten Elfmeter nicht entgehen: „Die ÖVP glänzt mit grünem Autofahrerhass“, kommentiert er die Vorgänge im 5. Bezirk und ortet eine „völlige Selbstaufgabe aller türkisen Grundsätze in der Verkehrspolitik“.

Toni Mahdalik (FPÖ)
Grüne geben sich nicht geschlagen
Die Grünen kehren zurück auf die Bühne: Sie verweisen darauf, dass die ursprünglichen Pläne auf das Bürgerbeteiligungsverfahren zwischen 2014 und 2016 aufbauen. „Die Ergebnisse wurden von den Verantwortlichen einfach verworfen und über unsere Köpfe hinweg entschieden“, wettern sie und fordern eine Sondersitzung. Das zu erwartende Ergebnis: offen.
Übrigens: Frühestens 2022 kann mit dem Umbau begonnen werden. Acht Jahre nach den ersten Planungen.

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