Problembezirk Innere Stadt: Wie die Parteien um die City rangeln

Problembezirk Innere Stadt: Wie die Parteien um die City rangeln
Der türkise Bezirkschef begibt sich mit der Verkehrsberuhigung auf dünnes Eis. Die FPÖ will mit Ursula Stenzel auftrumpfen. Die SPÖ ist zerstritten. Und die Neos haben ihr Aushängeschild verloren. Wie geht es weiter in der City?

Es ist eine Art politisches Rückspiel, das Markus Figl (ÖVP) bei der Bezirksvertretungswahl am 11. Oktober bevorsteht: Vor fünf Jahren beförderte die ÖVP überraschend ihre damalige Bezirkschefin Ursula Stenzel ins Aus, um mit Figl in die Wahl zu gehen.

Jetzt will es die 75-jährige Stenzel, mittlerweile eine Art Grande-Dame der Wiener FPÖ, ebenso überraschend noch einmal wissen. Und fordert Figl erneut heraus.

Was wie ein kleines Polit-Geplänkel wirkt, ist so unspannend nicht: Die Innere Stadt entwickelt sich für die Parteien immer mehr zum politischen Problembezirk.

Das liegt nicht nur daran, dass sie in den vergangenen Wochen als Aufmarschgebiet in Sachen Verkehrspolitik diente. Sondern auch daran, dass die Parteien hier seit Längerem Personalprobleme plagen. Und daran, dass die Innere Stadt eben nicht nur irgendein Bezirk ist, sondern Symbolkraft hat.

Türkise Verlustängste

Die ÖVP hat wieder einmal Sorge, dass der Bezirk verloren gehen könnte. Nicht zum ersten Mal. Schon seit den 1990er-Jahren, spätestens aber seit 2005, führt man einen Abwehrkampf gegen die anderen Parteien. Allen voran gegen die SPÖ. Das Problem: Den Sozialdemokraten sowie den anderen Parteien fehlt es an Stärke, die City zu übernehmen.

Um die heutige Ausgangslage zu verstehen, ist ein Blick in die Geschichte hilfreich: Die Innere Stadt ist für die ÖVP von großer Bedeutung. Seit 1946 ist der Bezirk eine Art konservative Trutzburg inmitten des roten Wien, auch vor dem Zweiten Weltkrieg war es kaum anders.

In der Zwischenkriegszeit stellt die Christlichsoziale Partei, die Vorläuferpartei der ÖVP, den Bezirksvorsteher. Nur 1932 ging das Amt kurz an die Sozialdemokraten (SDAP) verloren, weil die Christlichsozialen bei der Wahl große Stimmenverluste in Richtung NSDAP verzeichneten. Nach dem Verbot der SDAP übernahm die Vaterländische Front, bis der Posten des Bezirksvorstehers unter den Nazis überhaupt abgeschafft wurde.

Feindliche Übernahmen

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs setzte die sowjetische Besatzungsmacht zuerst den Kommunisten Theodor Köpl als Bezirksvorsteher ein, später folgten zwei SPÖ-Vertreter. Im April 1946 war die Innere Stadt dann wieder in konservativer Hand.

Ein Sprung in die 1990er-Jahre: Mit dem Aufstieg der FPÖ und der Grünen geriet die ÖVP auch in der Inneren Stadt unter Druck, sie verlor erstmals die absolute Mandatsmehrheit im Bezirk. Im Jahr 2005 witterte die SPÖ dann erstmals die Chance auf den ersten Platz. ÖVP-Bezirksvorsteher Franz Grundwalt hatte denkbar schlechte Umfragewerte.

Dann der Coup der ÖVP: Sie schickte Ursula Stenzel, zu dieser Zeit Europaabgeordnete für die Partei, in die City. Sie sollte ihren glücklosen Vorgänger als Spitzenkandidatin ablösen und mit ihrer Bekanntheit (als Ex-ORF-Moderatorin) punkten.

Ganz zur Unfreude von Grundwalt, der sich zur Wehr setzte und - als Spitze gegen seine eigene Partei - eine Zeit lang sogar seinen SPÖ-Vize Georg Niedermühlbichler die Geschäfte führen ließ.

Geschichte wiederholt sich

Der Plan ging dennoch auf. Stenzel sicherte die City für die ÖVP und bediente fortan die Bedürfnisse seiner konservativen Bewohner: Sie trat vehement gegen alles auf, was die Lebensqualität der ruhebedürftigen City-Anrainer minderte. Stenzel sprach sich gegen Punschstände ebenso aus wie gegen den Silvesterpfad. Die mediale Aufmerksamkeit war ihr sicher, das Spiel mit der Öffentlichkeit beherrscht sie bis heute.

Weil sich die Geschichte aber immer wiederholt, passierte Stenzel 2015 eben genau das, was sie zehn Jahre zuvor ihrem Vorgänger antat: Sie wurde vor der Wahl von ihrer eigenen Partei kurzerhand durch ein neues Gesicht ersetzt. Die ÖVP schickte Markus Figl, Großneffe von Leopold Figl, ins Rennen.

Stenzel gab nicht kampflos auf - und ließ ihre Zukunft lange offen. Schlussendlich kandidierte sie nicht mit einer eigenen Liste, sondern für die FPÖ. Die ÖVP fürchtete erneut um den Bezirksvorsteher-Posten.

Und tatsächlich wurde es bei der vergangenen Wahl knapp. Nicht die FPÖ mit Stenzel, sondern die SPÖ sah am Wahlabend zwischenzeitlich wie die Siegerin aus.

Am Ende reichte es für die Sozialdemokraten mit 24,2 Prozent nur für den zweiten Platz, die ÖVP kam auf (vergleichsweise schlechte) 25,7 Prozent. Wie eng die beiden Parteien beieinanderliegen, zeigt sich an den Mandaten im Bezirksparlament: Dort hat die SPÖ zehn Mandatare, die ÖVP ebenso.

Die FPÖ verzeichnete mit Stenzel ein deutliches Plus von 8,4 Prozentpunkten und landete bei 18,7 Prozent der Wählerstimmen. Viele Bezirksbewohner waren Stenzel gefolgt, die Berührungsängste mit der FPÖ waren aber dennoch zu groß.

Kein Amtsinhaber-Bonus?

Jetzt, fünf Jahre später, könnte es ähnlich verlaufen. Stenzel, die sich zwischenzeitlich in den Polit-Ruhestand verabschiedet hatte, um Jüngeren Platz zu machen, kehrte vergangene Woche medienwirksam zurück.

Sie gehöre eben zum 1. Bezirk "wie das Schlagobers zum Einspänner", sagte FPÖ-Wien-Chef Dominik Nepp. Ob das alle so sehen, ist fraglich. Dass so mancher die Positionen von Stenzel teilt, davon ist hingegen auszugehen. Sie attackierte Figl vergangene Woche heftig und bezeichnete ihn als "Handlager der Grünen".

Stenzel spielt auf das Fahrverbot in der City an, das Figl gemeinsam mit der grünen Vizebürgermeisterin Birgit Hebein umsetzen will. Oder, wie Stenzel es hämisch nennt: die "Verkehrsquarantäne für die Innenstadt".

Sie bringt es damit auf den Punkt: An der Frage, ob es Figl in den kommenden Wochen gelingen wird, das grün-türkise Fahrverbot zu seinem Vorteil zu nutzen, wird sich am Wahlabend vieles entscheiden.

Konsequente Klientelpolitik

An sich hat Figl - nicht immer zur Freude der türkisen Stadtpartei - in den vergangenen fünf Jahren konsequente Klientelpolitik für seine Wähler gemacht. Das Credo: Die Innere Stadt gehört ihren Bewohnern - und nicht den vielen anderen Wienern (oder Touristen), die hier tagtäglich arbeiten, bummeln oder urlauben.

Warum das Thema so große Relevanz hat: Die Zahl der Bewohner schrumpft im 1. Bezirk seit vielen Jahren. Zuletzt lebten hier nur noch rund 16.000 Menschen, zumeist sind es Ältere. Demgegenüber stehen mehr als 100.000 Beschäftigte, in keinem Bezirk arbeiten mehr Menschen als in der City.

Figl trat politisch-argumentativ in die Fußstapfen von Stenzel - und warnte während seiner Amtszeit davor, dass der Bezirk zu einer "toten Kulisse eines Habsburg-Disneylands" werde. Sogar die Fiaker (deren "Hinterlassenschaften riechen und stinken") wollte Figl verbieten lassen.

Außerhalb des Bezirks wird er dafür vielfach belächelt, bei den Bewohnern kommt derartiges aber gut an. Erst beim Fahrverbot schien Figl das politische Gespür ein Stück weit verlassen zu haben.

Problembezirk Innere Stadt: Wie die Parteien um die City rangeln

Ein Bild mit Symbolcharakter: Hebein steht beim City-Fahrverbot im Rampenlicht.

Das Problem: Grundsätzlich sprechen sich in der Inneren Stadt fast alle für eine Verkehrsberuhigung aus. Dass Hebein (mit Figl im Schlepptau) alle Beteiligungsprozesse links liegen ließ und das Fahrverbot noch vor der Wahl durchpeitschen will, sorgt aber für Irritation.

Seit zwei Jahren arbeiteten Experten im Bezirk daran, wie Verkehrsbeschränkungen funktionieren können, dann warfen Figl und Hebein alles über den Haufen.

Hinzu kommt, dass so mancher Konservative ihm die Zusammenarbeit mit den Grünen übel nehmen könnte - gerade in Sachen Verkehrspolitik. Die Wiener ÖVP hat in den vergangenen Jahren an ihrem Image als Autofahrer-Partei gebastelt. Figls Alleingang, mit dem er offenbar auch ÖVP-Granden überraschte, passt da nicht ins Konzept. Dass das Thema im bisherigen Wahlkampf so breiten Raum einnimmt, noch weniger.

Auch in der ÖVP-dominierten Wirtschaftskammer hat Figl keinen Rückhalt mehr. Dort ist man über das Fahrverbot, vor dem sich vor allem der Einzelhandel in der City fürchtet, verärgert. Ebenso wie in den Nachbarbezirken, darunter die ÖVP-regierte Josefstadt.

Dass sich Stenzel mit Figl um den ersten Platz duelliert, davon ist nicht auszugehen. Dafür sorgt nicht zuletzt der schlechte Allgemeinzustand der FPÖ. Sie könnte Figl - wie schon im Jahr 2015 - aber entscheidende Stimmen kosten.

Figls Stärke ist unterdessen die Schwäche der anderen. Denn wirklich für sich nutzen können die übrigen  Parteien den Zweikampf nicht.

SPÖ zerstörte sich selbst

Da wäre etwa die SPÖ, die sich durch interne Querelen zuletzt selbst geschwächt hat: Die Bezirkspartei verweigerte Mireille Ngosso, derzeit stellvertretende Bezirksvorsteherin für die SPÖ, im März die Gefolgschaft. Nur 46 Prozent der roten Delegierten wollten sie bei der Bezirksvertretungswahl als Spitzenkandidatin.

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Mireille Ngosso kam 2018 ins Amt. Die Genossen wollten sie aber nicht als Spitzenkandidatin für die Wahl im Herbst.

Über die Gründe für die rote Selbstzerstörung wurde viel spekuliert: Manche Genossen werfen Ngosso vor, neben ihrem Job zu wenig Zeit für ihre politische Tätigkeit zu haben. Andere störten sich dem Vernehmen nach an ihrem Engagement für die afrikanische Community in Wien. Auch wie Ngosso interne Konflikte (nicht) gelöst hat, sorgte angeblich für Verärgerung.

Die SPÖ geht nun mit der 29-jährigen Lucia Grabetz in die Wahl. Grabetz war ÖH-Vorsitzende, ist in der Wiener Stadtpolitik aber eher unbekannt. Erfolgsaussichten: ungewiss.

Schwierige Grüne

Auch die Grünen können in der City nicht wirklich Fuß fassen. Im Jahr 2015 kamen sie zwar auf knapp 16 Prozent, aber sogar innerhalb der eigenen Partei wird die Bezirksorganisation kritisch beäugt.

Angeführt werden die City-Grünen von Alexander Hirschenhauser. Er zählt zur Gruppe der Heumarkt-Gegner innerhalb der Grünen und gehörte 2017 zu jener Gruppe, die Maria Vassilakou bei der Landesversammlung abwählen lassen wollten.

Am desaströsen Bild, dass die zerstrittenen Grünen damals abgegeben haben, ist er mitverantwortlich. Viele in der Partei nehmen ihm das bis heute übel.

Neos ohne Spitze

Und dann wären da noch die Neos: Sie haben erst unlängst ihr Zugpferd verloren. Und zwar ausgerechnet an Markus Figl. Neos-Bezirksrat Gregor Raidl (bekannt wegen seines Vaters, dem Unternehmer und ÖVP-Mann Claus Raidl) wechselte erst Ende Juni zu Türkis.

Freilich nicht, ohne mit seiner zukünftigen Ex-Partei abzurechnen: Die Neos seien nicht mehr bürgerlich-liberal, argumentierte Raidl seinen Parteiwechsel. Innerhalb der Neos sieht man das anders: Der Parteiaustritt Raidls sei nur der Endpunkt einer Entfremdung, die bereits vor ein, zwei Jahren ihren Anfang genommen habe, heißt es.

Am 11. Oktober wird es in der City also jedenfalls spannend. Ob Figl seine Startposition noch verbessern kann, entscheidet sich aber vielleicht schon in den kommenden Tagen: Da könnte es eine Entscheidung darüber geben, wie es mit dem geplanten Fahrverbot weitergeht.

Falls sich Figl - wie zuletzt angedeutet - in Details noch gegen Hebein durchsetzen kann, könnte ihm das Sympathien bringen. Kommt das Fahrverbot in unveränderter Form, droht ihm eine Niederlage: Dann nämlich könnte sich Bürgermeister und SPÖ-Chef Michael Ludwig direkt in den Wahlkampf einmischen und sein Veto wahrmachen. Die Häme der anderen Parteien wäre Figl sicher.

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