Pilgramgasse: Ein Grätzel findet zu sich selbst
„Wladimir, kommst du zu Mittag? Heute hab’ ich ausnahmsweise ein Rindsgulasch“, ruft Joachim Ivany über die Pilgramgasse, als er einen seiner Stammgäste erspäht. Es sind fast schon klischeehafte Szenen eines funktionierenden Grätzel-Lebens, die sich hier im Herzen des 5. Bezirks abspielen.
Das war nicht immer so: Noch vor einigen Jahren säumten Glücksspiellokale die Pilgramgasse, die von der gleichnamigen U4-Station bis zum Margaretenplatz führt. Das änderte sich 2014, als in Wien das Kleine Glücksspiel verboten wurde. Schlagartig standen in der belebten Straße große Geschäftsflächen zur Verfügung.
Einer der Ersten, der sich eine unter den Nagel riss, war Ivany, der sich hier mit seinem kleinen Imbiss-Lokal „Die Erbsenzählerei“ einquartierte. Anstelle von Käsekrainer und Kebab setzt der gebürtige Niederösterreicher auf gehobene Qualität. Mit einer großteils vegetarisch-veganen Küche (Gulasch eben nur ausnahmsweise), basierend auf heimischen Rezepten mit italienischem Einschlag.
Bio-Apfelkuchen
Gekocht wird mit regionalen Produkten – und das täglich frisch. Das Lokal ist CO2-neutral und bald auch bio-zertifiziert. „Für unserer Mürbteig-Apfelkuchen nach Omas Rezept kommen die Kunden aus ganz Wien“, sagt Ivany, der recht bald mit jedem seiner Gäste per du ist, einigermaßen selbstbewusst.
Die meisten kommen aber aus dem Grätzel, um hier ihr Mittagessen zu holen oder es gleich im Lokal zu verspeisen. Viele sind Stammgäste wie Wladimir.
Dem Fokus auf das Mittagsgeschäft sind auch die ungewöhnlichen Öffnungszeiten (11 bis 16 Uhr) geschuldet. Da muss es auch in der Küche schnell gehen: „In der Mittagspause haben die Gäste wenig Zeit. Bei uns warten sie aber nur drei Minuten, bis das Essen fertig ist“, verspricht der Wirt.
Ungarisch frühstücken
Die ideale Ergänzung zur Erbsenzählerei findet sich nur wenige Meter weiter die Pilgramgasse hinunter: das kleine, gediegene Budapest Bistro, das sich auf Frühstücksgäste spezialisiert hat. Neben klassischen Angeboten werden im aktuell so beliebten Vintage-Ambiente auch ungarische Salami und Weine serviert.
Dennoch: Die Verwandlung der einst öden Glücksspiel-Meile zum angesagten Trendviertel schreitet nur langsam voran – gemessen an der Zeit, die seit dem Verbot der einschlägigen Lokale schon vergangen ist. Gleich neben den neuen, schicken Betrieben finden sich immer noch Handyshops oder leer stehende Geschäftslokale, die einen traurigen Eindruck machen.
Baustelle
Zumindest vorläufig verschwunden ist eines der trendigsten Lokale im Grätzel: das „ghisallo“ in der Schönbrunner Straße. Ebenfalls in einem ehemaligen Spiellokal untergebracht, war es Rennrad-Shop und Restaurant in einem. Derzeit ist der Standort aber eine wüste Baustelle. Ob und wann das Lokal wieder aufsperrt, ist unklar. Immerhin: Über die Website des Geschäfts kann man noch Fahrräder bestellen.
„Viele Geschäfte und Lokale machen auf und schnell wieder zu. Manche übersiedeln auch innerhalb des Grätzels“, erzählt Gastronom Ivany. „Es ist eine etwas schwierige Gegend, die sich noch finden muss. Umso wichtiger ist es, dass man ein gutes Konzept hat“, sagt er und serviert eine Kostprobe seines Gulaschs.
Pilgramgasse
Schon für das 16. Jahrhundert ist ein Weg dokumentiert, der vom heutigen Margaretenplatz bis zum Wienfluss führte. Im 18. Jahrhundert als Bäuhausgasse bekannt, wurde sie im Jahr 1862 nach dem Barock-Architekten Franz Anton Pilgram (1699 bis 1761) benannt
Margaretenplatz
Hieß bis ins Jahr 1862 Schlossplatz, benannt nach dem längst verschwundenen Schloss Margareten, dessen Geschichte sich bis ins 14. Jahrhundert zurückverfolgen lässt
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