Hacker: "Sehe keinen Grund für kollektive Selbstgeißelung"
Vor dem Interview mit dem KURIER war Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) beim Gesundheitsgipfel mit den Spitzen der Wiener Ärztekammer. Das Krisentreffen fand nach heftigen Auseinandersetzungen zwischen ihm und der Kammer rund um die Personalnot der Spitäler statt. Über Inhalte des „konstruktiven Gesprächs“ verriet Hacker im Anschluss wenig, gesprächiger war er zum Thema Corona.
KURIER: Mit dem Aschermittwoch beginnt die Zeit der inneren Einkehr. Haben Sie sich in Ihrer politischen Karriere schon einmal für etwas entschuldigt?
Peter Hacker: Sicher, oft. Ich entschuldige mich regelmäßig bei Menschen. Aber für unsere Corona-Strategie muss ich mich nicht entschuldigen.
Das war jetzt allein Ihre Assoziation.
Ja, natürlich. Ich finde diese esoterische ÖVP-Erzählung, sich bei allen entschuldigen zu müssen, sonderbar. Wir haben die Stadt gut durch die größte gesundheitspolitische Herausforderung der vergangenen Jahrzehnte gebracht. Mal besser, mal schlechter, und selbstverständlich sind Fehler passiert. Aber ich sehe keinen Grund für kollektive Selbstgeißelung. Wenn Bundeskanzler Karl Nehammer der Meinung ist, dass er sich bei seiner Landeshauptfrau für das Wahlergebnis der ÖVP in Niederösterreich entschuldigen muss, dann ist das sein Problem, nicht meines.
Sie haben die Impfpflicht zuerst als „alternativlos“ bezeichnet, jetzt sehen Sie sie als Fehler.
So stimmt das nicht. Wenn sie weiter zurückblicken, finden Sie Aussagen von mir, in denen ich gegenüber der Impfpflicht sehr skeptisch war.
Dann haben Sie sie aber befürwortet. Warum haben Sie so oft die Meinung geändert? Wien rühmt sich ja immer für seinen geradlinigen Weg.
Die ÖVP hat sich für die Impfpflicht stark gemacht, wir für strenge Maßnahmen, um eine weitere Eskalation bei den Infektionen zu stoppen. Wien hat mitgestimmt, um den nationalen Konsens zu erhalten. Wir haben die bittere Pille geschluckt.
Das haben Sie damals aber nicht so kommuniziert.
Doch. Es war ein vereinbarter politischer Konsens mit der ÖVP, mehr nicht.
Sonst war Ihnen Konsens nicht wichtig, Wien hat oft einen Sonderweg gewählt.
Wir sind einen konsequenten Weg gegangen. Ich habe den „Sommer wie damals“ im Ohr, von dem die ÖVP fantasiert hat. Türkise Berater haben zugegeben, dass sie damals parteipolitische Strategie über Inhalte gestellt haben. Dagegen waren wir immer.
Distanzieren Sie sich jetzt von der Impfpflicht, weil Sie Angst vor der FPÖ haben?
Ich habe keine Angst. Diese Partei wollte ein Pferdemedikament verabreichen. Kompetenz der FPÖ zu Corona: Null. Ende der Durchsage.
Manche Experten kritisieren nun auch das ziellose Massentesten in Wien.
Es war immer klar, dass das Testen nicht alle Infektionen verhindert. Aber es kann sie abflachen, damit nicht alle gleichzeitig krank werden und dann das Gesundheitssystem kollabiert. Das ist uns gelungen. Ich weiß, dass die Wiener nicht gejubelt haben über das strenge Testregime. Aber sie haben es mitgetragen, weil sie verstanden haben, was wir damit erreichen wollten. Andere Landeschefs haben uns vorgeworfen, unsere Testerei würde ihnen den Tourismus kaputtmachen. Und dann waren wir das Bundesland, das erkrankte Salzburger per Hubschrauber einfliegen ließ, das Beatmungsgeräte nach Niederösterreich verborgt hat.
An den statistischen Daten, etwa an der Sterbestatistik, lässt sich der Erfolg der Wiener Strategie nicht ablesen.
Im Vergleich europäischer Großstädte stehen wir gut da.
Waren die Schulschließungen ein Fehler?
Nein. Aber wir sind vielleicht zu undifferenziert vorgegangen. Insgesamt haben wir die Rolle von Kindern als Spreader lange vernachlässigt, weil wir auf die Vulnerablen geblickt haben. Wir standen zu Beginn unter dem Eindruck der Bilder der Toten in Italien. Wuhan ist weit weg, Norditalien ist verdammt nah. Das haben wir damals gemerkt.
Haben wir die richtigen Lehren aus Corona gezogen?
Es gibt immer noch kein funktionierendes EDV-System im heimischen Gesundheitswesen. Wien hat als einziger seinen Epidemieplan adaptiert. Wir müssten die Konzeption der Spitäler überarbeiten. Das wäre wichtiger als die Sesselkreise des Kanzlers.
Wird dieser Sommer einer wie damals?
Mich nervt die Retro-Kiste, diese Sehnsucht nach früher. Es geht doch um die Zukunft, die ist keine Reproduktion der Vergangenheit. Aber ja, ich hoffe, dass alles gut wird.
Sie kommen von einem Gipfel mit der Ärztekammer. Alle Probleme bereinigt?
(lacht) Nein, das kann auch nicht der Anspruch sein. Das können drei Ärztevertreter, der Bürgermeister und ich alleine auch nicht. Es war ein guter Gedankenaustausch, bei dem wir Unklarheiten besprochen haben.
Welche Unklarheiten?
Wir haben vereinbart, keine Inhalte nach außen zu tragen, daran halte ich mich.
Ärztekammerchef Johannes Steinhart steht wegen einer Finanzaffäre unter Beschuss.
Wir sind an Aufklärung interessiert. Und ich habe ihm gesagt, dass ich in Absprache mit ihm diese Aufklärung gerne noch intensiver betreiben würde. Derzeit lassen wir uns alle Unterlagen schicken.
Wie sehr würden Sie es bedauern, sollte Ihnen im Zuge dieser Affäre Steinhart abhandenkommen – und durch Vizepräsident Stefan Ferenci ersetzt werden?
Ich würde das unabhängig vom Herrn Ferenci sehr bedauern, weil ich Steinhart außerordentlich schätze.
Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil hat die Fachärzte-Gehälter in den Spitälern erhöht. Wann wird Wien nachziehen?
Das wäre ein echter Bärendienst, den ich ihm erweisen würde. Weil was macht er dann? Wenn wir nachziehen, hat er wieder ein Problem.
Sie gönnen ihm, dass Wiener Ärzte ins Burgenland abwandern?
Ja, wunderbar. Wir haben sehr viele Gastpatienten aus dem Burgenland. Wenn es ihm gelingt, die Spitalsversorgung vor Ort zu verbessern, freue ich mich total.
In Wien gibt es also genug Spitalsärzte?
Nein, aber Gehälter sollen die Sozialpartner bestimmen, nicht Landeshauptleute.
Sie fordern zur Entlastung der Spitäler eine dritte Säule zwischen Krankenhäusern und Ordinationen, die vom Bund finanziert werden soll. Wie gut kommt das Konzept in den laufenden Finanzausgleichsverhandlungen an?
Es finden keine Verhandlungen statt. Wir hoffen, dass es bald eine Einladung des Gesundheitsministers gibt. Wir nehmen zur Kenntnis, dass er Interviews gibt und viele unserer Gedanken aufgreift. Aber eine erste inhaltliche Runde hat noch nicht stattgefunden.
Der Gesundheitsminister fordert eine zentrale Steuerung des Gesundheitssystems, um es besser zu machen. Doskozil hat das scharf abgelehnt.
Dem ist nichts hinzuzufügen. Wir reden nicht über eine Reform der Verfassung.
Wäre es nicht sinnvoll, dass der Bund das Gesundheitssystem zentral managt?
Wo wäre das Know-how des Bundes? Dort gibt es niemanden, der je ein Spital geführt hat.
Der Kärntner SPÖ-Chef Peter Kaiser will ein Team an der Spitze der SPÖ – eine Art Schattenkabinett. Interesse?
Nope. Ich bin unendlich glücklich in meinem Job. Und die SPÖ wird ohnehin von einem Team geführt. Es nennt sich Präsidium. Im Übrigen finde ich, dass nicht immer jeder in der SPÖ alles kommentieren muss.
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