Nach welchen Kriterien die Grätzel ausgewählt wurden?
Sie sollen eine Geschichte zu erzählen haben und ein „authentisches, nicht glattgebügeltes“ Wien zeigen, sagt Kettner. Außerdem befindet sich in der Regel zumindest einen prominenter „Ankerpunkt“ in der Nähe: Viele Gäste besuchen etwa den Prater – ihnen kann man als zusätzliches Angebot künftig auch den Besuch des Stuwerviertels nahelegen.
Kriterien waren zudem die gute öffentliche Erreichbarkeit und ein vielfältiges kulinarisches Angebot. So kam man auf folgende elf Grätzel, deren Besuch man Touristen künftig empfehlen möchte – hier aufsteigend nach Bezirk sortiert:
Karmeliterviertel: „Cool und koscher“ lautet der Slogan für dieses Grätzel. Neben dem Karmelitermarkt gibt es im Viertel viel über jüdische Geschichte zu entdecken.
Stuwerviertel: Einst bekannt für das Rotlichtmilieu, bietet es viele Lokale und einen Blick auf das ungeschminkte Wien.
Freihausviertel: Dieses Grätzel möchte man als „Kreativ-Kosmos“ bekannt machen: Nahe des Naschmarkts gelegen, bietet es Galerien, Shops und Kaffeehäuser.
Gußhausviertel: Hinter der Karlskirche eröffnet sich Besuchern ein Gründerzeitviertel mit Haubenlokalen und Altwiener Küche.
Spittelberg: Das Biedermeier-Viertel bietet romantische Gassen und eine lebendige Lokalszene. Mariahilfer Straße und Volkstheater sind nicht weit.
Servitenviertel: Französisches Flair, das Sigmund-Freud-Museum und die Servitengasse, die ab November zur begrünten Fußgängerzone wird, sollen Touristen hierher locken.
Sonnwendviertel: Der Hauptbahnhof samt Umgebung ist ein Beispiel für moderne Stadtentwicklung.
Meidlinger Markt: Hier gibt es einen bodenständigen Arbeiterbezirk zu erkunden. Der Markt bietet sich etwa für einen Stopp auf dem Weg nach Schönbrunn an.
Yppenviertel: Der Yppenplatz zählt zu den buntesten Ecken der Stadt, der Brunnenmarkt ist mit mehr als 170 Ständen der längste Straßenmarkt Wiens.
Kutschkermarkt: Hier lautet das Motto „bürgerlich und bio“. Samstags wird der Kutschkermarkt zudem um einen Bauernmarkt erweitert, wo Landwirte aus der Region ihre Bio-Waren anbieten.
Seestadt: Das „Grätzel der Zukunft“ ist das einzige am Stadtrand. Erbaut um einen namensgebenden Badesee, steht hier auch das zweithöchste Holzhaus der Welt.
Stadtpläne sowie die Tourismus-App „ivie“ sollen Interessierte ab kommendem Jahr über die elf Grätzel informieren, inklusive Tipps zu Restaurants, Märkten und Geschäften – also den Weg ins ungeschminkte Wien weisen.
Infos: www.heartbeat.wien.info
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Reaktionen in den Bezirken: von Freude bis Skepsis
Am Montag stellte Wien Tourismus das Konzept Bezirksvertretern vor – die Reaktionen fielen unterschiedlich aus.
Es wäre „schon praktisch gewesen, wenn man im Vorfeld mit den Bezirken geredet hätte“, sagt etwa Silvia Nossek, grüne Bezirksvorsteherin von Währing. Der Kutschkermarkt sei bereits ein „super genutztes Grätzel“. Immerhin habe man den Markt gerade erst vergrößert, am kommenden Samstag steige das Eröffnungsfest. „Die Anrainer, die Standler und die Besucher: Da ist es schon jetzt ein Balanceakt, alle Interessen zu berücksichtigen.“
Gebe es mehr Besucher, könne das die Struktur des Grätzels verändern, gibt Nossek zu bedenken. Der Kutschkermarkt solle sich jedenfalls nicht in Richtung eines Naschmarkts entwickeln, der vorwiegend von Touristen lebt.
Auch Markus Reiter, grüner Bezirksvorsteher von Neubau, sagt: „Im Vorfeld war seitens des Bezirkes leider niemand eingebunden. Als nächste Schritte erwarten wir uns die gemeinsame Erstellung eines konkreten Konzepts.“ Man dürfe jedenfalls nicht auf die Einheimischen vergessen: „An einer Tagesbelebung durch kunstinteressierte Touristen – in gutem Einklang mit der lokalen Wohnbevölkerung – sind wir als Bezirk sehr interessiert.“ Auch die früher sehr aktive Kunstszene am Spittelberg könnte man so wiederbeleben, hofft er.
Bedenken, dass die Grätzel künftig von Touristen gestürmt werden, möchte Tourismusdirektor Norbert Kettner entgegentreten: „Es ist ja keine groß angelegte Kampagne, sondern ein Themenjahr – eher ein Thema für Feinschmecker“, entgegnet er. Man werde sicher keine Touristenmassen in Bussen in die Bezirke karren. „Falls sich jemand nicht gut informiert fühlt, tut mir das leid.“ Man werde jetzt in intensive Gespräche mit den Bezirken gehen.
Wilfried Zankl, SPÖ-Bezirkschef in Meidling, freut sich wiederum, dass sein Bezirk auf der Liste steht: „Ich finde es positiv und sehr gescheit, auch andere Destinationen in der Stadt anzubieten.“ Meidling sei jedenfalls „cool und lässig“, hier finde man noch ein authentisches Wien. Dass der Meidlinger Markt künftig überlaufen sein könnte, fürchtet er nicht. „Bei aller Wertschätzung für Wien Tourismus: Es werden jetzt nicht Hunderte Menschen kommen. Aber vielleicht schauen ein paar auf dem Weg nach Schönbrunn auf ein Frühstück bei uns vorbei.“
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