Netzausputzer bei den Wiener Netzen: Insider beklagen Zustand der Infrastruktur
6. Juni. Das Licht in der Leopoldstadt ist aus. Im Ernst-Happel-Stadion muss das Länderspiel Österreich – Dänemark unterbrochen werden. Besucher werden aus den Fahrgeschäften im Prater gerettet. Rund 1.500 Haushalte sind ohne Strom. Die Ursache: zwei defekte Kabelverbindungsstücke.
23. Juli. Schon wieder sind die Leopoldstadt, das Ernst-Happel-Stadion und der Prater betroffen. Aber nicht nur. Auch in Meidling, Hernals und Währing ist es dunkel geworden. Rund 2.500 Haushalte sind an diesem Abend betroffen, fast zweieinhalb Stunden lang. Die Ursache: zwei defekte Kabelverbindungsstücke und ein defektes Kabel.
25. Juli. Stromausfall in Floridsdorf und der Donaustadt. Rund 4.000 Haushalte sind betroffen. Die Ursache: technisches Gebrechen.
26. Juli. Stromausfälle in Meidling und Rudolfsheim-Fünfhaus. Die Zahl der Betroffenen ist noch unbekannt.
25. Juli. Stromausfall in Floridsdorf und der Donaustadt. Rund 4.000 Haushalte sind betroffen. Die Ursache: technisches Gebrechen.
26. Juli. Stromausfälle in Meidling und Rudolfsheim-Fünfhaus. Die Zahl der Betroffenen ist noch unbekannt.
Die Zahl der Störungen steigt
Der Eindruck: Die Zahl der Stromausfälle in Wien steigt. Ob das Gefühl trügt oder nicht, lässt sich jedoch nicht mit Sicherheit feststellen. Denn aktuelle Daten will der zuständige Netzbetreiber, die Wiener Netze, nicht publik machen. „Nicht aussagekräftig“, heißt es auf KURIER-Anfrage.
Der einzige Anhaltspunkt also: die österreichweite Statistik der Regulierungsbehörde E-Control vom Jahr 2021. Von den 18.850 gemeldeten Versorgungsunterbrechungen im Jahr 2020 seien 11.217 ungeplant – also ungewollt – gewesen. Laut E-Control sind das vier Prozent mehr als noch im Jahr 2019.
Hauptgrund für Unterbrechungen seien mit 24,67 Prozent „atmosphärische Einwirkungen“. Gemeint ist damit das Wetter – von Gewittern über Hitze und Erdrutsche bis Lawinen. An zweiter Stelle der Statistik folgen – mit 13,23 Prozent – sogenannte „netzbetreiberinterne Versorgungsunterbrechungen“. Und hier wird es interessant.
Ein Mitarbeiter der Wiener Netze (Name der Redaktion bekannt, Anm.) hat sich an den KURIER gewandt. Seine Warnung: Die Kabel des Unternehmens seien „an ihrer Leistungsgrenze angelangt“. Das liege unter anderem daran, dass manche Kabel schon Jahrzehnte alt seien und der heute erforderlichen Leistung nicht mehr standhalten. Zusätzlich würden Reservekabel – die die Netzstabilität erhöhen – totgelegt, sagt der Mitarbeiter. „Die Unternehmensphilosophie lautet: Wird ein Kabel nicht in einem gewissen Zeitintervall benutzt, dann kostet das Kabel nur Geld und wird deshalb stillgelegt.“
Der Grundsatz also: Einsparungen. Nicht nur bei den Kabeln, sondern auch bei den Mitarbeitern. Im Unternehmen herrscht laut Informanten ein akuter Personalmangel – weil viele Fachkräfte in Pension gehen und neue fehlen. Die nächste Pensionierungswelle, bei der 200 bis 300 Mitarbeiter das Unternehmen verlassen, stehe bereits im Herbst oder spätestens nach der Personalsitzung im nächsten Jahr bevor.
Die Badewannen-Kurve
Aufgrund des fehlenden Personals sei auch die Instandhaltung des Netzes schwierig – etwa jene der Trafostationen. Sind sie zu stark verschmutzt, führe das ebenfalls zu Ausfällen. Auf einen Fehler folge meist rasch der nächste, erklärt der Mitarbeiter. Eine Kettenreaktion. „Wir nennen das Netzausputzer.“
Der österreichische Blackout-Experte Herbert Saurugg bestätigt die Vorwürfe: „Die Wiener Infrastruktur ist schon sehr alt“, sagt er. „Ich habe bereits vor Jahren von Insidern gehört, dass Wartungsarbeiten, wie in allen Bereichen, hinausgeschoben werden. Das führt zur Badewannen-Kurve“.
Was sich hinter dem Fachausdruck versteckt? Die Kurve – der Name rührt von ihrer Form, die dem Querschnitt einer Badewanne entspricht – beschreibt die Zuverlässigkeit von technischen Anlagen im Zeitverlauf. Nach anfänglichen Ausfällen zeigt sich meist eine konstant niedrige Störungsrate, bevor die Zahl der Fehler aufgrund des Alters der Infrastruktur und wegen der aufgeschobenen Wartungen wieder steigt. „Und wir befinden uns gerade in der Phase der zunehmenden Störungsrate“, so Saurugg.
Keine Angst vor Totalausfall
Müssen sich die Wienerinnen und Wiener also ernsthaft Sorgen vor großflächigen Ausfällen machen? Eher nicht. „Lokalereignisse sind nicht aussagekräftig für das gesamte Netz“, sagt Saurugg. Prinzipiell sei die Systemstabilität in Österreich sehr hoch.
Dem schließt sich auch Christoph Schuh von Austrian Power Grid, dem Betreiber des österreichischen Übertragungsnetzes, an. Die Versorgungssicherheit liege in Österreich bei 99,9 Prozent. Aber: „ In Österreich haben wir ein Netz, das auf der Struktur beruht, die unsere Großeltern gebaut haben.“
Dabei gehe es vor allem um Kapazitätsfragen, sagt Schuh. Zukünftig werde immer mehr Leistung benötigt, die nur mit einem Netzumbau und Netzausbau gewährleistet werden könne. 18 Milliarden Euro sollen in den kommenden zehn Jahren deshalb investiert werden.
Dass es alte Strukturen gebe, dementiert auch die E-Control nicht. Allerdings, sagt Vorstand Alfons Haber im KURIER-Gespräch, würde die Technik bei guter Pflege lange halten. Dazu gehöre unter anderem das Monitoring, um etwaige Defekte schnellstmöglich erkennen zu können. Von schlecht gewarteten Netzen sei die E-Control bisher nicht in Kenntnis gesetzt worden.
Bei den Wiener Netzen versteht man das Problem jedenfalls nicht: Man würde „alle Komponenten entsprechend der Vorgaben instand halten“. Und bezüglich Personal: Die Fluktuation sei „vergleichsweise gering“. Aufgrund des Regelpensionsalters würden in den nächsten Jahren aber Mitarbeiter in Pension gehen. Deshalb nehme man jährlich 30 Lehrlinge auf. Und auch der Netzausbau werde mit 300 Millionen Euro vorangetrieben.
Bleibt abzuwarten, wann das Licht das nächste Mal ausgeht.
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