Pflanzen wuchern über den stillgelegten Schienen, auf Bahnschwellen wächst Moos. Und dann steht da auch noch eine ausrangierte Lok mitten im "Natur Park Schöneberger Südgelände" in Berlin. "Hier leuchten nicht nur die Augen der kleinen Jungs", sagt Rita Suhrhoff von Grün Berlin – das landeseigene Unternehmen ist für nachhaltige Stadtentwicklung zuständig.
Der weitläufige Park ist eine Grünoase mitten in der Großstadt und hat einiges zu bieten. Nicht nur die Überreste des alten Rangierbahnhofs, dessen Gelände sich die Natur langsam wieder zurückerobert, sondern auch Kunst, Schafe, Infotafeln und sogar eine eigene Fläche, bei der sich Sprayer ausleben können. "Wenn wir für jeden in der Gruppe etwas haben, dann kriegen wir sie alle", sagt Suhrhoff. Damit ist gemeint, dass die Berlinerinnen und Berliner für den Naturschutz begeistert werden sollen, für den dieses Areal steht.
Anregungen aus Berlin für Wien
Einer der Besucher des Parks ist Wiens KlimastadtratJürgen Czernohorszky (SPÖ), gemeinsam mit einem Expertenteam ist er nach Berlin gereist, um sich dort Anregungen zu holen.
Das Schöneberger Südgelände sei bis in die 1980er-Jahre im Dornröschenschlaf verharrt, dann wurde das fast vergessene Areal zum Park umgestaltet, eröffnet wurde er im Rahmen der Weltausstellung Expo 2000. Fast 18 Hektar ist der Park groß, die geschlenderte Führung dauert mehr als eine Stunde.
Die Vorstellung, dass in Wien ein derart großes Gelände in Wien neu entdeckt werden kann, klingt skurril – und ist dennoch so passiert. Im Norden Wiens liegt sogar ein fünfmal so großes ungenutztes Gebiet. 90 Hektar groß ist das Gelände des ehemaligen Verschiebebahnhofs Breitenlee, seit 1945 ist er weitgehend unberührt.
Vor wenigen Wochen haben Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) und ÖBB-Infrastruktur-Vorständin Silvia Angelo einen Letter of intent unterzeichnet, damit das Projekt "Naturschutz-Areal Breitenlee" umgesetzt werden kann.
Bereits jetzt seien dort wertvolle Biotope zu finden, ebenso seltene Pflanzen und Tierarten.
Das Areal soll zu einem Natura 2000 Gebiet entwickelt werden – also einem Schutzgebiet, in dem gefährdete Arten und Lebensräume für die Zukunft erhalten werden. In Wien gibt es bereits fünf dieser Gebiete:
die Wiener Teile des Nationalparks Donau-Auen
der Bisamberg
das Landschaftsschutzgebiet Liesing
Naturschutzgebiet Lainzer Tiergarten
der Orchideen-Kalk-Buchenwald Leopoldsberg
Man bewahre naturnahe Lebensräume und bedrohte Arten unter anderem deswegen, weil man eine "Großstadt mit Verantwortung für die Bewohnerinnen und Bewohner" sei, wie Michael Kienesberger, Leiter der Wiener Umweltschutzabteilung sagt. Ein weiterer Vorteil: Breitenlee soll künftig als natürliche Klimaanlage für die Stadt und den 22. Bezirk dienen.
Breitenlee ist ein Leitprojekt in der Biodiversitätsstrategie der Stadt Wien, die gerade erarbeitet wird. Neben Aktionsplänen zu Wäldern und Gewässern liege der Schwerpunkt in der Förderung von Artenvielfalt, sagt Czernohorszky. "Gesund und artenreiche Ökosysteme binden und speichern Kohlenstoff, stabilisieren das Klima, mildern extreme Wetterereignisse und stärken die Stadt in ihrer Anpassungsfähigkeit an die Folgen des Klimawandels."
Man orientiere sich dabei an den Zielen der Vereinten Nationen, der EU und der Bundesregierung. In manchen Bereichen, wie etwa bei den Renaturierungszielen der EU, wolle man vorausgehen.
Dabei sei natürlich auch wichtig, die Bevölkerung zu sensibilisieren und auf den Naturschutz einzuschwören. Im Berliner Park gelingt das in vielerlei Hinsicht.
Hier ist kein Zaun nötig
In den geschützten Gebieten gibt es leicht erhabene Wege. "Nichts ist abgesperrt, die Besucherinnen und Besucher wissen aber dadurch genau, dass sie die Wiesen dort nicht betreten dürfen", erklärt Suhrhoff. "Die Schwelle hält die Leute genauso effektiv von den Wiesen fern wie ein Zaun."
Diese subtile Art, auf den Schutz hinzuweisen, kann sich Czernohorszky auch gut für Wien vorstellen.
Eine Jahreskarte für Graffiti-Sprayer
Die soziale Kontrolle sei auch sehr ausgeprägt. Verhält man sich nicht achtsam genug, wird man von anderen Besuchern darauf hingewiesen. Das gilt übrigens auch für den Bereich für die Sprayer. "Es gibt bereits mehr als 20 Sprayer, die eine Jahreskarte für den Park haben", so Suhrhoff. "Diese sagen den Jungen, dass man sich an die Regeln halten müsse, weil das Sprayen sonst ganz verboten wird."
Nichts ist abgesperrt, die Besucherinnen und Besucher wissen aber dadurch genau, dass sie die Wiesen dort nicht betreten dürfen. Die Schwelle hält die Leute genauso effektiv von den Wiesen fern wie ein Zaun.
von Rita Suhrhoff
Grün Berlin
Eintritt in Wien ist gratis
Eines will man sich definitiv nicht von Berlin abschauen: den Eintritt für den Park. Zwar zahlt man dafür nur einen Euro, aber für Wien sei das kein Thema sagt Czernohorszky. "Die Areale gehören den Wienerinnen und Wiener, sie können sie also auch gratis benutzen." Ein bisschen wird es aber noch dauern, der schrittweise Ausbau des Schutzgebiets ist für zehn Jahre anberaumt.
Die Reise nach Berlin erfolgte auf Einladung der Stadt Wien.
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