Alter Verschiebebahnhof Breitenlee: Wiens größtes Renaturierungsprojekt
Unabhängig vom aktuellen Hick-Hack rund um das EU-Renaturierungsgesetz wurde am Donnerstag das - laut Angabe der Initiatoren - in Wien bisher größte Projekt in Sachen Wiederherstellung auf Schiene gebracht.
Und das im wahrsten Sinn des Wortes: Der alte Verschiebebahnhof Breitenlee in der Donaustadt soll zu einem 90 Hektar umfassenden Naturschutz-Areal werden. Das ist in etwa die doppelte Fläche der Steinhofgründe im 16. Bezirk beziehungsweise fast so groß wie der achte Bezirk, wie betont wird.
Absage an Verbauung
Die Weichen für die Renaturierung des einstigen Betriebsgeländes wurden von Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) und ÖBB-Infrastrukturvorständin Silvia Angelo gestellt. Sie haben einen "Letter of Intent" für die Einrichtung des "Naturschutz-Areals Breitenlee" unterzeichnet, dessen Inhalt am Donnerstag präsentiert wurde. Einer Verbauung der großen Fläche soll damit eine Absage erteilt werden. Fortgeführt wird vielmehr eine Entwicklung, die vor Jahrzehnten begonnen hat. Bezirksvorsteher Ernst Nevrivy (SPÖ) ist besonders begeistert von dem Projekt. "Ich nehme gerne jedes Stückchen Natur in meinem Bezirk an."
Denn der Bahnhof im Nordosten der Stadt ist nach 1945 nie in seiner ursprünglichen Größe verwendet worden. Nur ein kleiner Teil wurde tatsächlich genutzt. Dadurch konnte sich laut Stadt auf dem Areal im Nordosten Wiens ein vielfältiger Biotopkomplex aus Trockenrasen sowie naturnahen Wäldern und Teichen ausbilden.
Das Gebiet verfügt auch über eine biologische Brückenfunktion zwischen dem Schutzgebiet Bisamberg und der Lobau bzw. dem Nationalpark Donau-Auen, wurde betont.
Rückzugsraum für Wildtiere
Für zahlreiche seltene und streng geschützte Arten ist das Gelände Rückzugsraum. Genannt wurden etwa Neuntöter, Wiedehopf, die Zaunechse oder mehr als 140 Wildbienenarten. Aus diesem bereits verwilderten Gebiet wird sich die ÖBB weitgehend zurückziehen, nur eine kleine verkehrstechnisch notwendige Fläche sowie die sich dort befindenden Kleingartensiedlungen der ÖBB, will man weiter betreiben. Der Rest wird entsiegelt, die Stadt wird das Areal zu einem Natura 2000 Gebiet entwickeln, ein Gebiet mit höherem Schutz-Status.
Die Stadtrand-Wildnis soll auch künftig eher den Tieren und Pflanzen gehören, der Zutritt soll allerdings auch für Besucher möglich sein. Es sind mehrere Einstiegsstellen geplant und versprochen wurde eine "behutsame" Wegführung durch das Gebiet sowie Beobachtungsplattformen. In dem gesamten Areal wird es ein Hundeverbot geben. Für die Besucher wird sich kaum etwas ändern.
Info-Haus geplant
"Wir wollen große Teile des Geländes der Natur überlassen und ein Miteinander mit der Bevölkerung schaffen, von dem alle Seiten profitieren", hob Wiener Umwelt- und Klimastadtrat Jürgen Czernohorszky (SPÖ) hervor. Informations-, Lehr- und Bildungsbereiche werden darüber Auskunft geben, wie ökologisches Gleichgewicht, Biodiversität und Klimaschutz zusammenspielen, kündigte er an. Dazu ist unter anderem ein Info-Haus geplant. Mittelfristig sollen dort auch lokal hergestellte Bio-Produkte, wie Feldfrüchte, Obst oder Fleisch von Weidetieren und Wild erhältlich sein.
Bürgermeister Ludwig sieht das Projekt als Vorbild für ein Zusammenwirken von Renaturierung, Artenvielfalt und Klimaschutz: "Hier wird deutlich, warum Wien seit langem viel Wert auf Renaturierung gelegt hat. Renaturierung sichert Biodiversität und damit funktionierende Ökosysteme, in denen wir und nachfolgende Generationen gesund leben können." Im Österreich-Vergleich liegt Wien im Punkto biologischer Landbau ganz vorne.
ÖBB-Vorständin Silvia Angelo betonte, dass es für die ÖBB wichtig sei, für nicht betriebsnotwendige Flächen eine passende Nachnutzung zu finden. "In Breitenlee hätte vor vielen Jahren ein großer Verschiebebahnhof entstehen sollen. Die Pläne wurden aus verschiedenen Gründen jedoch nie zur Gänze verwirklicht. So konnte sich im Laufe der Jahre ein schützenswertes Stück Natur entwickeln." Dieses sei nun auch künftig gesichert.
Finanzierung
Um der ÖBB den Grund abzukaufen wird die Stadt Wien "wahrscheinlich einen niedrigen zweistelligen Millionenbetrag" in die Hand nehmen müssen, so Czernohorszky. Zur Finanzierung des Projekts wird sich Wien laut eigenen Angaben um Förderungen aus dem Biodiversitätsfonds des Bundes für den Ankauf des Areals sowie um EU-Mittel für die Renaturierungsmaßnahmen bemühen.
Das EU-LIFE-Projekt soll eine Laufzeit von 10 Jahren haben und ein Budget von etwa zehn bis 15 Millionen Euro fordern, wovon 60 Prozent von der EU gefördert werden soll.
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