Die Polizei rückte gestern vor der Wirtschaftskammer Wien an. Ein ungewöhnlicher Anblick. Sie war präventiv gekommen, weil eine Pressekonferenz anberaumt war – zum derzeit wohl größten Infrastruktur-Zankapfel des Landes: dem Lobautunnel.
Demonstranten ließen sich zwar keine blicken, bei der Veranstaltung wurde der Ton allerdings noch einmal rauer als in den Wochen davor. Walter Ruck, Präsident der Wiener Wirtschaftskammer, stellte die Möglichkeit einer Ministerinnen-Anklage gegen Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) in den Raum.
Deren im Vorjahr verhängte Weisung, den Lobautunnel nicht zu bauen, sei nämlich rechtswidrig, so Ruck. Die Projekte seien bereits im Bundesstraßengesetz verankert gewesen, rechtlich mehrfach geprüft – und somit umzusetzen.
Zwei neue Gutachten
Gestützt wird diese Aussage von zwei neuen Gutachten, eines vom Verfassungsrechtsexperten Heinz Mayer, das andere hat Gesellschaftsrechtsexperte Jörg Zehetner erstellt. Beide Juristen orten „rechtswidrige Handlungen“. Insbesondere Mayer ging mit der Ministerin hart ins Gericht.
Aus verfassungsrechtlicher Sicht bestünde eine rechtliche Verantwortung der Ministerin gegenüber dem Nationalrat, heißt es im Gutachten von Mayer. Darum könnte der Nationalrat mit einfacher Mehrheit Anklage wegen schuldhafter Rechtsverletzung beim Verfassungsgerichtshof erheben.
Klage unwahrscheinlich
Eine solche Ministerinnen-Anklage sei aber unwahrscheinlich – für eine Mehrheit müsste auch der Koalitionspartner, also die ÖVP, zustimmen. Eine Klage sei aber auch bis zu einem Jahr nach der Tätigkeit als Ministerin möglich, so Mayer. Bei einer Verurteilung könnte der Verfassungsgerichtshof eine mehrjährige Sperre für ein politisches Amt verhängen.
Relevanter sei aus Sicht der Juristen die etwaige finanzielle Haftung. Würden Vertragspartner ihre Schadenersatzansprüche einklagen, wäre dies nämlich „erfolgversprechend“, heißt es etwa im Gutachten von Zehetner.
Der bisher angelaufene direkte wirtschaftliche Schaden habe – errechnet von der in der Wirtschaftskammer ansässigen Standortanwaltschaft – die dreistellige Euro-Millionenhöhe bereits deutlich überschritten, sagt Ruck.
Im Klimaschutzministerium gab man sich noch unaufgeregt. Man habe selbst „umfassende Gutachten eingeholt, die bestätigen, dass die Vorgehensweise rechtskonform ist“. Die Wirtschaftskammer selbst jedenfalls werde nicht juristisch aktiv werden. „Ich bin nicht aufgerufen, zu handeln oder zu ahnden. Das sind die Mitglieder des Nationalrats“, sagt Ruck. Eine Aussage mit einiger politischer Brisanz.
Die Kammer sei zudem nicht direkt geschädigt – und somit nicht klagsberechtigt. Anders verhalte es sich bei der Stadt Wien. Dort gebe es einen direkten volkswirtschaftlichen Schaden, so Ruck. Im „guten Vertrauen auf die Vereinbarung“, dass der Tunnel gebaut wird, habe die Stadt 1,7 Milliarden Euro in die Seestadt Aspern investiert, die bis heute auf die Anbindung an das höherrangige Straßennetz wartet.
Sowohl von Wien als auch von Niederösterreich wird der Vorstoß goutiert. Die Gutachten würden erneut belegen, dass der Baustopp ohne taugliche Rechtsgrundlage getroffen worden sein, ließ Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) verlauten. Der niederösterreichische Landesrat Ludwig Schleritzko (ÖVP) ortete einen klaren Auftrag, „die Projekte endlich anzupacken“.
Ich bin nicht aufgerufen, zu handeln oder zu ahnden. Das sind die Mitglieder des Nationalrats.
von Walter Ruck
Präsident der Wirtschaftskammer Wien
Kritik an Gutachten
Kritik hagelte es hingegen von den Grünen und Umweltschützern. „Die Stadt Wien hat Klimaziele, und diese sind mit dem Lobautunnel nicht in Einklang zu bringen“, sagte Peter Kraus, Parteivorsitzender der Wiener Grünen. „Die Wirtschaftskammer setzt ihre ganze Macht ein, um Klimaschutz zu blockieren“, urteilten die Aktivisten von „Lobaubleibt“.
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