Sie greifen oft das Thema Zuwanderung auf. Was bedeutet sie für den Arbeitsmarkt?
Mahrer: Die Zuwanderung in den Arbeitsmarkt ist derzeit nur ein zufälliger Nebeneffekt illegaler Migration. Wir brauchen gezielte Zuwanderung und die gehört kontrolliert. Es hat niemand Verständnis dafür, wenn wir den Wildwuchs weiter wachsen lassen – im Glauben, dass irgendwer in dem Tross schon für Zuwanderung geeignet sein wird.
Aber braucht es nicht auch Vereinfachungen für Arbeitswillige?
Ruck: Als ich diese Woche gelesen habe, dass die Rot-Weiß-Rot-Karte ausgeweitet wird, habe ich mich gefreut. Eine Programmiererin aus Kandahar, die zu uns kommen will, hat derzeit keine Chance. Sie müsste schon vorher den Arbeitgeber wissen und auch eine Wohnung haben. Wie soll man das von Kandahar aus machen? Wer auch immer sich diese Dinge überlegt hat, sehr gut durchdacht waren sie nicht. Ich habe probiert, den Bewilligungsprozess zu durchlaufen, und bin gescheitert. Ich werde bei der Überarbeitung auch die Probe aufs Exempel machen.
Herr Mahrer, Sie setzen sich dafür ein, dass Migranten nicht ins Sozialsystem, sondern in den Arbeitsmarkt einwandern. Würden Sie heute wieder ein Video drehen, in dem Sie sich über einen Marktstandler mit Migrationshintergrund am Brunnenmarkt beschweren?
Mahrer: Mein Lernprozess ist, dass ich Botschaften, die komplex und sehr sensibel sind, nicht mehr in nur 35 Sekunden darstelle. Aber ich stehe weiterhin dazu, dass die Stadt Wien die Lenkungseffekte für die gute Mischung auf Märkten verstärken sollte.
Mit den Videos sind Sie auch parteiintern angeeckt – auch Sie beide untereinander. Haben Sie Ihre Differenzen beigelegt?
Ruck: Sonst würden wir nicht gemeinsam hier sitzen.
Mahrer: Wir sind seit mehr als einem Jahrzehnt eng befreundet. Diese Freundschaft kann man nicht zerstören. In der Volkspartei sind wir zudem daran gewöhnt, dass wir miteinander unterschiedliche Meinungen diskutieren.
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Auch mit Blick auf die nächste Wahl: Während die ÖVP einen harten Oppositionskurs fährt, setzt die Wiener Wirtschaftskammer traditionell auf eine enge Zusammenarbeit mit dem roten Rathaus. Wie oft kriegen Sie sich in die Haare?
Ruck: Die ÖVP wird einen Oppositionskurs auf parteipolitischer Ebene mit der SPÖ oder der FPÖ oder wem auch sonst fahren. Die Wirtschaftskammer Wien wird mit der Stadt Wien zusammenarbeiten. Wir haben verschiedene Rollen. Ich glaube, es ist gut, wenn wir uns öfter klar werden, in welchen Rollen wir eigentlich auftreten.
Mahrer: Den Menschen ist es egal, ob man harte oder weiche Politik macht, für sie ist es wichtig, dass etwas besser wird. Das versuchen wir in diesen unterschiedlichen Rollen – der Präsident der Wirtschaftskammer Wien als wesentlicher Partner der Stadt und ich als Chef der stärksten Oppositionspartei in Wien.
Gerade bei jungen Menschen ist oft nicht das Geld, sondern die durch die multiplen Krisen vermeintlich trostlose Zukunft ausschlaggebend. Warum soll man arbeiten, wenn man glaubt, keine Zukunft zu haben?
Ruck: Eine Perspektive zu haben, das ist für jeden Berufseinsteiger eines der entscheidenden Dinge. Das hat sich in den vergangenen 20, 30 Jahren nicht geändert. Was sich geändert hat, ist die Aufstiegserzählung, die mir, ich bin Jahrgang 1961, meine Eltern mitgeben konnten. Die Erzählung davon, dass es mir einmal besser gehen wird als ihnen. Wir müssen uns überlegen, welche Perspektiven man jungen Menschen bieten kann. Sie wollen sich auf ihre Zukunft verlassen können. Das erreicht man am besten mit einer in die Zeit passenden Bildung und Ausbildungsprogrammen in den Unternehmen.
Mahrer: Die jüngere Generation hat es nicht leicht, gerade wenn es um die Frage geht, wie man sich Eigentum leisten kann. Es muss hier Veränderungen geben, beginnend bei der Geldpolitik der EZB. Und Bund und Land müssen Modelle entwickeln, um den Menschen Eigentum wieder zu ermöglichen. Wir müssen schauen, dass diese Generation zur Erschaffergeneration werden kann, und nicht zur Verbrauchergeneration wird.
Sie haben die Bildung angesprochen. Wo gibt es hier Nachholbedarf?
Mahrer: Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr ist ein Mann, der sehr gerne runde Tische veranstaltet. Er sollte aber runde Tische mit Pädagogen und Lehrern persönlich machen. Ich glaube, dass da ein wenig über die Bedürfnisse hinweg gearbeitet wird.
Ruck: Die Wirtschaftskammer Wien ist der größte private Bildungsträger Österreichs. Ich würde also behaupten, dass wir im Haus über eine gewisse Expertise verfügen. Die Anforderungen an die Lehrkräfte, sowohl physischer wie auch psychischer Natur, steigen relativ stark. Die Frage ist, ob das immer mit Geld auszugleichen ist. Wie bei allen anderen Berufen wird man sich auch hier überlegen müssen, wie man ihn attraktiver machen kann. Schulbildung ist auch für den Wirtschaftsstandort immens wichtig.
Die Immokrise ist spätestens seit der Insolvenz von René Benkos Signa in aller Munde. Wie besorgt blicken Sie auf die Stadt und die Entwicklung in diesem Bereich?
Ruck: Ich glaube nicht an die dystopische Zukunftserzählung, die ich immer höre. Eine Marktkorrektur bedeutet nicht, dass gleich der gesamte Markt zusammenbricht. Es ist immer bedauerlich und hinterlässt Schäden, wenn ein Unternehmen, egal welcher Größenordnung, den Markt verlässt. Es ist aber dramatischer, wenn durch die Insolvenz einer Kaufhauskette – wie in Deutschland – sehr, sehr viele Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz verlieren.
Mahrer: Wenn weniger Wohnungen in Wien gebaut werden, dann werden die verbleibenden teurer werden. Es wird also notwendig sein, flankierende Maßnahmen zu setzen.
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