Mut zur Inszenierung: So mächtig sind die Wiener Bezirkschefs

Ernst Nevrivy: Übersteht er die Querschüsse aus den eigenen Reihen?
Die Bezirksvorsteher sind einflussreicher als man denkt: Keiner ist näher dran an den Menschen. Jetzt, vor der Wahl, ist das wichtig.

Im Gegensatz zu Wien sind Berlin, München und andere deutsche Millionenstädte ehrlich. Die Chefs der einzelnen Stadtteile heißen dort Bezirksbürgermeister. Das wäre wohl auch in Wien der korrektere Titel.

Denn im Grunde sind die 23 Wiener Bezirksvorsteher genau das: Bürgermeister von 23 Städtchen oder mitunter sogar Städten. Wäre Favoriten eigenständig, würde es Linz (gemessen an der Bevölkerungszahl) als drittgrößte Stadt Österreichs ablösen. Die Donaustadt läge vor Salzburg auf Rang fünf.

Das klingt nach Einfluss, nach Macht, und nach Prestige. Und so geben sich die Bezirksvorsteher auch.

Man denke da an Adi Tiller: Der ÖVP-Politiker regierte Döbling 40 Jahre lang absolutistisch – und sprach in Interviews nur noch in der dritten Person von sich („Und dann hat der Tiller...“).

Oder SPÖ-Politiker Ernst Nevrivy: Er ist Vorsteher des 22. Bezirks und richtet seiner Lieblingsfeindin, der Vizebürgermeisterin, alles aus, was ihm gerade einfällt. Etwa, dass es in seinem Bezirk kein flächendeckendes Parkpickerl geben werde. „Egal, ob Birgit Hebein das will oder nicht“.

Das zeigt: Das Amt zieht einen speziellen Typ Politiker an. Aber welchen?

Männlich und älter

Ein bisschen etwas verraten die biografischen Daten. Der typische Bezirksvorsteher ist männlich, älter als 50 Jahre und hat nicht studiert.

So weit, so durchschnittlich. Spannend wird es bei den Wesenszügen: Ein Bezirkschef darf nicht davor zurückschrecken, von den Normen abzuweichen. Er muss, wie es Politikberater Thomas Hofer formuliert, ein „Exzentriker“ sein: „Ein Bezirksvorsteher muss medial auf die Pauke hauen. Und sich als Anwalt der Bezirksbewohner geben.“

Wie das geht, haben zuletzt Neubaus grüner Bezirkschef Markus Reiter und der türkise Innenstadt-Chef Markus Figl demonstriert: mit einem Schwimmbecken mitten am Neubaugürtel und einem Fahrverbot für Autos in der City.

Ebenfalls wichtig: Die Bezirksvorsteher müssen hemdsärmelig und schmerzbefreit sein. Meist gibt es mehr schlechte Fotos von ihnen als gute. Das liegt daran, dass sie zu fast jedem Termin im Bezirk ausrücken – und Sprühnebelduschen eröffnen, Faschingssitzungen leiten oder Senioren-Geburtstage feiern.

Vor allem die Bezirkschefs alten Schlags ticken so: Adi Tiller vermittelte in Not geratenen Bewohnern persönlich einen Job. Erich Hohenberger aus dem 3. Bezirk verkleidet sich für ärmere Familien jedes Jahr als Weihnachtsmann und verteilt Geschenke an Kinder.

Das kommt bei der Bevölkerung gut an. Und die Bezirkschefs profitieren: Sie spielen in ihren Parteien eine große Rolle, weil sie direkten Zugang zu den Menschen ermöglichen. Keiner ist näher dran.

Wenig konkrete Rechte

Bezirkschefs, die sich solchen Inszenierungen entziehen, droht hingegen veritable Gefahr: Sie könnten ignoriert werden. Und zwar, weil ihre Macht rein formal gar nicht so groß ist. Ihr finanzieller Spielraum ist stark begrenzt– größere Projekte können sie meist nur mit Finanzspritzen aus dem Rathaus stemmen.

Ganz ohne den echten Wiener Bürgermeister können die 23 Bezirksbürgermeister eben doch nicht.

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