Muslima legte Kopftuch ab: "Dann bist du plötzlich eine Nutte"
Zeliha Çiçek galt als "Vorzeige-Muslima" und arbeitete als Religionslehrerin für die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ). Bis sie sich scheiden ließ und bemerkte, wie eng das Korsett des Systems war, in dem sie lebte: Sie legte das Kopftuch ab und wollte einen modernen Islam unterrichten. Dann sei sie von der IGGÖ unter Druck gesetzt wurden, berichtet sie.
Das Dienstverhältnis wurde beendet, 2021 klagte Çiçek die IGGÖ wegen Verdienstentgang und Diskriminierung auf 30.000 Euro – das Verfahren läuft, die IGGÖ wollte sich vorerst dazu nicht äußern. Çiçek, die mittlerweile als Integrationslehrerin arbeitet, will nun vor radikalen Tendenzen warnen.
KURIER: Wie würden Sie das Umfeld in Kaisermühlen in Wien beschreiben, in dem Sie groß wurden?
Zeliha Çiçek: Kaisermühlen war unser kleines Dorf. Damals wurde die Serie „Kaisermühlen Blues“ gedreht, wir haben die Dreharbeiten mitbekommen. Es gab zwei türkische Familien, wir waren eine davon. Es war eine schöne Kindheit, wir waren Radfahren oder im Gänsehäufel. Bis mein Vater immer öfter in die Moschee gegangen ist. Schließlich mussten auch wir Kinder jedes Wochenende in die Moschee. Mein jüngster Bruder war aufmüpfig, er wollte lieber Fußballspielen. Damals war ich zehn, ab 13 habe ich dann Kopftuch getragen.
Wie war Ihre Jugend?
Ich hatte keine. Ich war traurig, einsam, zurückgezogen. Das Kopftuch war damals auch noch nicht so präsent auf der Straße.
Sie haben aber lange wie eine „typische“ Muslima gelebt?
Ich habe eine vierjährige Ausbildung bei Millî Görüş gemacht, da ich den Islam studieren und lernen wollte. Ich war eine Einser-Schülerin und das Vorzeige-Top-Model der IGGÖ. Ich habe versucht, die Vorgaben der Religiosität zu leben. Mein ältester Sohn wurde Imam. Ich wurde gelobt – bis zur Scheidung und bis ich das Kopftuch abgenommen habe.
Haben Sie damals auch einmal am Glauben gezweifelt?
Es gab schon Zweifel. Einmal hat mein Ehemann nach dem Freitagsgebet erzählt, dass der Prophet gesagt hat, man darf sich die Augenbrauen nicht zupfen, weil man sich nicht schön machen soll. Ich war immer Feministin und habe gesagt: Hat der Prophet nichts Besseres zu tun? Anstatt über das Zupfen der Augenbrauen sollen sie lieber über das Zusammenleben reden.
Ihre Ehe war arrangiert, Sie mussten mit 16 heiraten. War das schwierig für Sie?
Mir ist es mit der Zeit immer schlechter gegangen. Ich habe ein Jahr lang Nachtgebete gemacht und mir den Wecker auf 2 Uhr nachts gestellt, um zu beten. Da habe ich Gott angefleht, dass er mir hilft: Ich wollte sterben oder meine Situation ändern. 2012 habe ich beschlossen, mich scheiden zu lassen. Ich hatte daraufhin einen Zusammenbruch. Das hatte aber auch sein Gutes: Ich war zu nichts mehr fähig, so konnte mich auch niemand überreden, das wieder rückgängig zu machen. Nach meiner Scheidung habe ich gemerkt, wie scheinheilig das System ist: Andere verheiratete Frauen wollten mir damals sogar das Lachen verbieten.
Wie war es dann, das Kopftuch abzulegen?
Ohne fühlt man sich zuerst nackt. Anfangs habe ich es zum Beispiel im Flugzeug noch aufgehabt und es dann testhalber in Istanbul abgenommen. In Wien habe ich mich nämlich so beobachtet gefühlt: Ich war zum Beispiel einmal ohne Kopftuch unterwegs, da hat mich ein Taxifahrer erkannt und darauf angesprochen. Zuerst habe ich es in Wien am Abend zum Fortgehen abgenommen, dann auch am Tag. Es war schon krass. Ich war mit Kopftuch in Österreich diskriminiert – und ohne bei den Muslimen. Ich habe dann gefragt, warum ich es nicht ablegen darf. Sie haben gesagt: Dann bist du eine Nutte, das Schlimmste, was es gibt.
Werden konservative Strömungen im Islam dominanter? Auch Ihr Vater hat ja erst in Wien begonnen, nach immer strengeren Regeln zu leben?
Die radikalere Form der Islam-Auslegung wird seit 20, 30 Jahren präsenter. Die Imame, die kamen, als mein Vater in die Moschee ging, sind an einer Universität der Muslimbrüder ausgebildet worden. Frauen werden im Namen Allahs ausgenutzt und unterdrückt. Mädchen ohne Kopftuch können nicht heiraten, sie gelten als "haram" (verboten, Anm.).
Was hört man so in den Moscheen?
Kinder lernen lauter Dinge, die für das Leben nichts bringen. Ich habe erlebt, dass Kinder nicht einmal wussten, was der Tiergarten Schönbrunn ist. Es ist gesetzeswidrig, dass man Kindern und Jugendlichen ihre Jugend nimmt. Sie hören, dass man in die Hölle kommt, dass Gläubige sich von Nicht-Gläubigen fernhalten sollen. Es geht um Zwang und um Angst. Es wird alles schlecht gemacht – aber die Österreicher sind nicht schlecht. Auch ich dachte früher, die Österreicher gehen alle in Swinger-Clubs (lacht).
- Forschung
Dass an Wiener Moscheen teilweise problematische Inhalte gepredigt werden, besagen zwei Studien: Als 2017 die ersten Forschungsergebnisse dazu publiziert wurden, sorgte das für politische Aufregung. Im Februar erschien nun die Folgestudie, ein Forschungsbericht des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) mit dem Titel „Moscheen in Wien: Was hat sich seit der Veröffentlichung der Studie im Herbst 2017 verändert?“. Die IGGÖ kritisierte beide Studien jedoch als nicht repräsentativ
- 52 Predigten
in 14 Moscheen aus dem Jahr 2020 wurden für die zweite Studie analysiert. Dazu wurden religiöse, politische und soziale Themen erfasst, über die die Imame sprachen
- Das Ergebnis
In zwei der Moscheen wurden Integrations-fördernde Inhalte vermittelt. In fünf weiteren Einrichtungen wurde Integration zwar nicht gefördert, aber zumindest nicht behindert
- Problemfälle
Sieben der untersuchten Moscheen stellten sich als problematisch heraus, zwei davon sehr. Wer nicht nach dem Islam lebe, dem drohen Höllenstrafen, hieß es da etwa. Andersgläubige wurden abwertend als "Kuffar" bezeichnet. "In diesen Fällen leben die Menschen in einem Biotop, das mit unserer Welt nichts zu tun hat", sagte Heiko Heinisch, einer der Studienautoren, dazu zum KURIER
Was sagen Sie zu dem Argument vieler Frauen, sie tragen das Kopftuch freiwillig?
Das habe ich damals auch gesagt, obwohl ich damit zum Beispiel nicht schwimmen konnte. Sie glauben, sie tun das für Allah. Sie glauben, wenn jemand etwas gegen das Kopftuch sagt, wird die Religion angegriffen, und man muss das verteidigen. Wenn diese Frauen öffentliche auftreten, sind sie Role Models. Sie fühlen sich wichtig – ich habe mich damals auch so gefühlt. Mädchen tragen das mittlerweile schon mit sechs, sieben Jahren. So wird ihnen das Körperbewusstsein als Mädchen genommen. Das Kopftuch ist aber kein religiöses Gebot, es ist ein politisches Symbol.
Übt man Kritik am Islam, heißt es oft, man sei islamophob?
Die Opferrolle beherrschen sie perfekt. 2014 bin ich in der U-Bahn von einer Frau attackiert worden, weil ich ein Kopftuch getragen habe. Das kam in allen Zeitungen, in der Türkei wurde ich im TV live zugeschaltet. Alles, was mit dem Kopftuch passiert, wird gepusht. Wie das Ausland riesige Summen für die Erdbebenopfer gespendet hat, wurde das in türkischen Medien klein berichtet. Wenn ein einzelner Ausländer irgendwo den Koran beleidigt, kommt das groß. Propaganda können sie gut. Sie beherrschen es, andere mundtot zu machen. Sie haben unsere humanistische Gesellschaft gut ausgenutzt – die Humanisten haben uns das eigentlich eingebrockt.
Gibt es die oft zitierte Parallelgesellschaft?
Ja. Und wenn ich lese, dass hier bei uns 700.000 Muslime leben, kriege ich bei der Zahl Angst.
Warum wollten Sie nun an die Öffentlichkeit gehen?
Wenn du etwas so geballt unterdrückst, wie die Frauen im Islam, dann kommt es auch geballt heraus. Vor allem die jungen Mädchen tun mir so leid – es ist so schwierig, sich davon zu befreien.
Haben Sie Angst? Werden Sie bedroht?
Kann man auch freundlich drohen? Viele sagen mir: Sei kein Werkzeug, beschmutze nicht den Islam, sei keine Verräterin. Ich höre nicht mehr hin. Es haben sich aber auch schon Frauen gemeldet, die in einer ähnlichen Situation sind wie ich. Ich glaube, es gibt schon auch ein Erwachen. In Österreich, als Wienerin, hoffe ich nun auf die Unterstützung von den Österreichern.