Mordversuch am Reumannplatz: "Er dachte, ich sei Tschetschene"

Mordversuch am Reumannplatz: "Er dachte, ich sei Tschetschene"
Wegen versuchten Mordes musste sich am Donnerstag im Wiener Landesgericht ein 20-jähriger Syrer verantworten. Die Verhandlung wurde vertagt.

Zwei Polizisten stehen am Donnerstagvormittag vor dem Eingang zum Wiener Landesgericht, vor dem Großen Schwurgerichtssaal sind elf Beamte positioniert.

Die Sicherheitsvorkehrungen waren vor diesem Prozess verstärkt worden. In der tschetschenischen Community hatte es in den vergangenen Tagen zahlreiche Aufrufe gegeben, an der Verhandlung teilzunehmen.

Der große Ansturm blieb aber aus. Im Zuschauerbereich waren ausschließlich Journalisten, Rechtspraktikanten, Rechtshörer und Studierende. Die Stimmung war außerordentlich ruhig.

Grundwehrdiener wurde schwer verletzt

In Handschellen wurde der schmächtige Angeklagte im blau-karierten Hemd in den Saal geführt. Der 20-jährige Syrer soll am 17. März 2024 am Reumannplatz in Favoriten einen 21-jährigen Grundwehrdiener niedergestochen und schwer verletzt haben.

Er muss sich deshalb wegen Mordversuchs vor Gericht verantworten. Als der Angeklagte zu sprechen beginnt, ist er kaum zu verstehen. Der Dolmetscher muss mehrfach nachfragen. Er habe jedenfalls nicht auf den 21-Jährigen eingestochen, er sei unschuldig, bekräftigte der junge Mann.

Der Tag, an dem der Grundwehrdiener, der in Österreich geboren wurde, beinahe ums Leben kam, hätte eigentlich einer der schönsten seines Lebens werden sollen. "Ich habe an diesem Tag geheiratet. Wir sind danach zum Eissalon Tichy gegangen und wollten danach nach Hause", sagt der breitschultrige junge Mann. 

"Alle haben nur gefilmt"

In der Nähe der U-Bahnstation Reumannplatz habe seine Frau ihn dann erinnert, noch einen Döner für seine Oma mitzunehmen. Das Paar drehte um und ging zurück. Wenige Meter entfernt nahm der 21-Jährige eine Auseinandersetzung wahr. "Eine Gruppe junger Männer hat ein Mädchen beschimpft. Niemand hat etwas gemacht, alle haben nur gefilmt, also hab' ich was gemacht", schildert das spätere Opfer. 

"Du Hure, ich töte dich, ich steche dich ab", soll der Angeklagte laut Staatsanwaltschaft der jungen Frau zugerufen haben, die er vom Sehen kannte. Der 21-Jährige hörte das und griff ein. 

"Er zeigte Zivilcourage und wollte das Mädchen vor diesen jungen Männern bewahren", schilderte die Staatsanwältin. Daraufhin habe der Angeklagte dem 21-Jährigen mit der Faust ins Gesicht geschlagen und "in Sekundenschnelle" ein Messer gezogen. 

Der Grundwehrdiener ergriff die Flucht, drei bis vier Männer hätten ihn daraufhin verfolgt. Der Angeklagte habe ihm dann mit einem Messer eine zehn Zentimeter lange Schnittwunde im rückwärtigen Schulterbereich und eine 37 Zentimeter lange Schnittwunde am rechten Oberschenkel zugefügt. 

"Wurde abgestochen"

"Irgendwann hab' ich gemerkt, ich kann nicht mehr laufen, und dass mir jemand in den Rücken gestochen hat. Ich hab' mich auf den Boden gelegt, da haben sie dann auf mich eingetreten", so der 21-Jährige. Er sei regelrecht "abgestochen" worden: "Für was? Ohne nix, ohne Grund. Die Naht am Oberschenkel ist 35 Zentimeter groß."

Passanten leisteten daraufhin Erste Hilfe, der Angreifer hatte die Flucht ergriffen.

"Er hat nicht die Stiche geführt, es war ein anderer", hielt Verteidiger Wolfgang Haas der Anklagevertreterin entgegen. Der Anwalt betonte außerdem, sein Mandant sei "in keine Gangkriminalität" verwickelt. 

"Kein Fall Syrer gegen Tschetschene"

Er gehöre vor allem nicht der so genannten 505/515-Bande an: "Er hat damit gar nichts zu tun. Er ist ein ganz normaler Mann, der im Tichy Eis essen wollte. Es handle sich dabei um keinen Fall "Syrer gegen Tschetschene" Sein Mandant sei erst 2022 nach Österreich gekommen.

  • Bei der 505/515-Gruppierung handelt es sich um einen Zusammenschluss junger, ursprünglich aus Syrien und Afghanistan stammender Männer, die sich seit Jahresbeginn in einem gewalttätigen Konflikt mit Tschetschenen und Türken befinden.
  • Mehrere bewaffnete Auseinandersetzungen mit Schwerverletzten in mehreren Bezirken sind seit Ende Jänner dokumentiert. Am 3. Juni wurde ein 30-jähriger Tschetschene im Arthaberpark in Favoriten niedergestochen und lebensgefährlich verletzt, am vergangenen Wochenende kam es an von Freitag bis Sonntag jeweils nach Einbruch der Dunkelheit zu Straßenkämpfen in der Brigittenau und in Meidling, bei denen Messer und Schusswaffen zum Einsatz kamen. Zumindest vier Personen wurden dabei schwer verletzt.

Der Angeklagte dürfte davon ausgegangen sein, dass es sich beim Opfer um einen Tschetschenen handelte: "Er hat wohl gedacht, ich bin Tschetschene, aber das stimmt nicht, ich seh' vielleicht nur so aus", sagte der Grundwehrdiener. Der 21-Jährige ist groß gewachsen, kräftig, hat rötliche Haare und trägt einen Vollbart. 

Der junge Moslem ist allerdings in Wien geboren und hat nordmazedonische Wurzeln, wie der 21-Jährige auf Frage des vorsitzenden Richters bekräftigte. "Es war also kein syrisch-tschetschenischer Konflikt", betonte der Richter.

Der 21-Jährige betonte, sein "Leben für wen riskiert für zu haben", den er nicht kennt. Dass er dafür mit keiner angemessenen Entschädigung in Form von Schmerzengeld rechnen könne, "finde ich ungerecht", bemängelte der junge Mann. Er sei in den Wochen nach der Tat "kaputt" gewesen: "Mir ging es gar nicht gut."

Es sei für den 21-Jährigen aber "selbstverständlich" gewesen, der jungen Frau zu helfen. Wenn er den Grundwehrdienst absolviert hat, will er Polizist werden. 

Das Gericht will nun versuchen, den vom Angeklagten namentlich genannten Mann, den auch ein Zeuge erwähnte, ausfindig zu machen. Zu diesem Zweck wurde die Verhandlung auf den 2. Oktober vertagt.

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