Mit Türkis-Grün kommt Wien ein Außenfeind abhanden
„Lupenreiner Sozialabbau“, „Politik aus der Mottenkiste“, gegen die Wien ein „Bollwerk sein“ werde. So empört tönte es aus dem rot-grün regierten Wien, als Ende 2017 das türkis-blaue Regierungsprogramm vorgestellt wurde.
Allen voran die geplanten Kürzungen bei der Mindestsicherung oder die Aufhebung des Rauchverbots sorgten damals für Entrüstung und monatelange Kontroversen zwischen Stadt und Bundesregierung.
Heute, zwei Jahre später, fallen die Reaktionen auf das nunmehr türkis-grüne Programm vergleichsweise schaumgebremst aus. Das mag daran liegen, dass die Wiener SPÖ keine allzu große Lust verspürt, über ihren grünen Koalitionspartner herzufallen. Möglicherweise aber schlichtweg daran, dass das Regierungsprogramm so unspektakulär (oder unambitioniert) ausgefallen ist.
„Es fällt auf, dass es überwiegend die Handschrift der ÖVP trägt. Den Grünen ist es scheinbar lediglich gelungen, im Bereich des Klimaschutzes Positionen zu verankern. Hier sind wiederum Maßnahmen festgeschrieben, die in Wien bereits seit Jahren gelebte Praxis sind", sagt Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ).
"Insgesamt bin ich doch einigermaßen erstaunt, dass die Grünen eine dermaßen starke ÖVP-Dominanz in den Inhalten akzeptiert haben. Das sieht sehr nach Regierungsbeteiligung um jeden Preis aus."
„Von einem Feuerwerk am neuen Projekten kann nicht die Rede sein, auch nicht im Bereich Klimaschutz“, formuliert es ein Wiener Roter, der namentlich nicht genannt werden will. „Das ist wohl ein Zeichen dafür, dass sich ÖVP und Grüne bei wesentlichen Themen nicht einigen konnten."
Damit fehlen aber auch die großen Aufreger, an denen sich die Wiener Stadtregierung in den nächsten Monaten abarbeiten könnte. Ein Befund, der sich durch die meisten Themenfelder zieht.
Gesundheit und Soziales
„Auch wenn er mir sehr am Herzen liegt: Es wundert mich sehr, dass sogar der Sport im Regierungsprogramm ein längeres Kapitel bekommen hat als die Gesundheit“, ätzt der zuständige Stadtrat Peter Hacker (SPÖ).
Er vermisst für den Gesundheitsbereich große Konzepte wie etwa eine Entwirrung der unterschiedlichen Finanzierungsströme. „Es sind auch keinerlei Ziele für die Gesundheitskasse definiert“, sagt er zum KURIER.
Zwiespältig fällt Hackers Urteil zum Kapitel Pflege aus: „Hier gibt es viele Punkte, denen ich zustimmen kann. Etwa dass, die Finanzierung der Hospize und Palliativ-Einrichtungen auf sichere Beine gestellt werden soll.“ Andere, sehr wesentliche Punkte würden aber rätselhaft bleiben.
So habe ÖVP-Chef Sebastian Kurz bei der Programmpräsentation von einer Pflegeversicherung als „fünfte Säule der Sozialversicherung“ gesprochen. Im Papier selbst finde sich aber nichts dazu. Stattdessen die kryptische Ankündigung, dass die Unfallversicherung AUVA (die in Wien zwei UKH betreibt) künftig auch Aufgaben im Bereich Pflege übernehmen soll. Ob sich dies mit dem Wiener Spitalskonzept vereinbaren lässt, ist fraglich.
Für Hacker besonders bemerkenswert ist, dass das Sozialgeld mit keinem Wort im Programm vorkommt. Seine bundesweite Vereinheitlichung samt empfindlicher Kürzungen war ein Prestigeprojekt von Türkis-Blau, das in Wien für heftigen Widerstand stieß, ehe wesentliche Punkte im Herbst vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben wurden. „Wir gehen jedenfalls den Weg weiter, den wir mit unserem Wiener Modell eingeschlagen haben. Wie jener der Bundesregierung aussieht, bleibt aber völlig offen.“
Umwelt und öffentlicher Verkehr
Aus der Sicht der Grünen wohl das Kernstück des Regierungspakts sind die geplanten Maßnahmen für den Klimaschutz, wobei auch hier viele Ankündigungen eher vage bleiben.
Wiens Umweltstadträtin Ulli Sima (SPÖ) bleibt dennoch optimistisch: "Wir sehen es als große Chance, dass es erstmals seit 1986 kein ÖVP-geführtes Umweltministerium gibt“, sagt eine Sprecherin, um postwendend hinzuzufügen: „Österreich ist Schlusslicht beim Klimaschutz, es drohen Strafzahlungen in Milliardenhöhe. Daher wird es wird schwer werden für die neue Umweltministerin, hier alles nachzuholen, was ÖVP in den letzten Jahrzehnten vergeigt hat.“
Selbst sieht man sich jedenfalls ohnehin als Musterschüler in Sachen Klimaschutz: „Wien ist heute schon Vorreiter, etwa mit dem Öffi-Jahresticket um einen Euro pro Tag. Wir erwarten uns natürlich auch Unterstützung von Bundesebene. Konkret die fixe Zusage zur Finanzierung der 2. Ausbaustufe beim aktuellen U-Bahn-Bau.“ Ein Bekenntnis zur Fortsetzung der U-Bahn-Kofinanzierung findet sich im Regierungsprogramm, Details bleibt Türkis-Grün aber auch hier schuldig.
Wohnbau
Schon 2017 riefen die von Türkis-Blau geplanten Eingriffe bei der Vergabe von Gemeindewohnungen die Stadtregierung auf den Plan. Wenig Freude hat man auch mit dem aktuellen Regierungsprogramm: „Leider fehlt darin ein klares Bekenntnis zum leistbaren Wohnen“, heißt es im Büro von Wohnbaustadträtin Kathrin Gaal (SPÖ).
Besonders sauer stößt aber die Ankündigung auf, die Schaffung von Eigentum zu fördern: „Dies droht ein Türöffner für die Deregulierung des Wohnungsmarktes und die Privatisierung des Gemeindebaus zu werden. Davon würden nur ein paar wenige profitieren. Für die Mehrheit, die sich kein Eigentum leisten kann oder will, schießen die Mieten in den Himmel.“
Hebeins Doppelrolle
Indes kommt Wiens Vizebürgermeisterin Birgit Hebein die delikate Rolle zu, die türkis-grüne Bundesregierung auch gegen die Kritik aus Wien zu verteidigen: „Natürlich sind Teile im Asylbereich schmerzhaft bzw. dass der Arbeitsbereich zur ÖVP gewandert ist. Aber man darf nicht vergessen: Wir sind eine 14-Prozent-Partei", betonte sie am Freitag.
Ob die Wiener Verkehrsstadträtin durch das künftig Grün-besetzte Verkehrs- und Infrastrukturministerium höhere Chancen sieht, ungeliebte Projekte wie den Lobautunnel oder die 3. Piste am Flughafen Wien-Schwechat doch noch zu stoppen, wollte Hebein nicht direkt beantworten. Türkis-Grün habe sich geeinigt, Großprojekte mit Blick auf das Klima zu überprüfen: „Das ist der Stand der Dinge - nicht mehr und nicht weniger.“
Einen raueren Ton in der Rathaus-Koalition erwartet sie nicht. „Wir haben eine aufrechte gute Koalition und noch einige Vorhaben.“
Kommentare