Antisemitisch und integrationsfeindlich? Aufregung um neues Islam-Zentrum in Wien-Favoriten
Dass am Reumannplatz in Wien-Favoriten ein neues islamisches Zentrum eröffnet hat, wissen beim Lokalaugenschein am Montag nur einige Anrainer.
„Mich wundert das hier aber nicht“, sagt Pensionistin Gertrude B. dem KURIER. Sie erlebe seit Jahren, dass immer mehr verschleierte Frauen im Bezirk leben. Am Wochenende wurde hier das neue Zentrum der Millî-Görüş-Bewegung eröffnet.
Es liegt versteckt in einem Haus, das mehrere Betriebe beherbergt, etwa eine Fahrschule, eine Versicherung und ein Frauengesundheitszentrum.
Türkischstämmige Bewohner des Grätzels kennen das Zentrum sehr wohl, wollen sich gegenüber dem KURIER aber nicht dazu äußern: „Mein Chef will das nicht hören“ – vielleicht, weil Millî Görüş höchst umstritten ist. Unter anderem gibt es Vorwürfe wegen Antisemitismus und Integrationsfeindlichkeit.
Die Zentrale befindet sich in Köln
Dass die Bewegung in Wien eine neue Zentrale eröffne, sei bekannt gewesen, erklärt Historiker und Islamismus-Experte Heiko Heinisch. Die Organisation habe nämlich ihre Strukturen in Österreich verändert: „Zuvor gab es drei Föderationen, die eng kooperierten.“ Nun hätten sich diese zu einem Großverband, den Islamischen Föderationen, zusammengeschlossen. Diese Zentrale befindet sich nun am Reumannplatz – was dort passiert, werde wiederum vor allem von der Millî-Görüş-Zentrale in Köln in Deutschland gesteuert. „Denn die Bewegung ist streng hierarchisch und betreibt Moscheen in der ganzen Welt, sogar eine in Japan“, so der Experte.
Doch wofür steht Millî Görüş?
„Der Bewegung geht es darum, Muslime von der Mehrheitsgesellschaft zu entfremden“, erklärt Heinisch. Im Zuge einer großen Moscheen-Studie in Wien, an der er selbst beteiligt war, wurde festgehalten, dass in Moscheen der Organisation integrationsfeindliche Inhalte verbreitet wurden. So hieß es in einer Predigt, man solle sich von Ungläubigen fernhalten: „Wenn jemand uns vom Wege Allahs abbringt, uns nicht zum Gang in die Moschee bewegt und der Protest gegen Allah offensichtlich wird, dann ist er kein Freund für dich.“
Millî-Görüş-Gründer Necmettin Erbakan, der 2011 gestorben ist, werde bis heute verehrt. „Ein Antisemit reinsten Wassers“, so Heinisch. In Deutschland werde Millî Görüş sogar vom Verfassungsschutz beobachtet. Die „islamische Zivilisation“ solle die „westliche Zivilisation“ in der Vorherrschaft ablösen, heißt es etwa vom Verfassungsschutz von Nordrhein-Westfalen.
In Österreich leben rund 700.000 Muslime – wie viele von ihnen Anhänger von Millî Görüş seien, könne man nicht beziffern. „Aber die Organisation betreibt gut 50 Moscheen in Österreich“, so Heinisch. Somit sei es der zweitgrößte Moschee-Verband nach ATIB („Türkisch-islamische Union für kulturelle und soziale Zusammenarbeit in Österreich“, Anm.). Man könne „von einigen 10.000 Mitgliedern“ ausgehen, so der Experte.
Die Bewegung: Millî Görüş ist eine länderübergreifende, islamistische Bewegung. Gründer war der türkische Politiker Necmettin Erbakan. Die Bewegung steht wegen Antisemitismus und Integrationsfeindlichkeit in der Kritik.
Die Anfänge: Ab den 1970er-Jahren, zur Zeit der Gastarbeiter-Rekrutierungen, wurde Millî Görüş auch außerhalb der Türkei aktiv. In Deutschland wurde die erste Organisation 1972 gegründet.
Einfluss: Millî Görüş betreibt in Österreich mehr als 50 Moscheen. Die genaue Zahl der Anhänger ist aber nicht bekannt.
Auslandsfinanzierung
Die Islamische Föderation betreibe Bildungseinrichtungen, wohl auch in dem neuen Gebäude. „Es ist nicht davon auszugehen, dass dort integrationsfördernde Inhalte gelehrt werden“, so Heinisch.
Doch wie gegen diese spalterischen Tendenzen vorgehen? „Man sollte sich einmal die Frage der Auslandsfinanzierung anschauen“, erwidert der Experte. So habe man etwa für den Bau einer Moschee in Niederösterreich weltweit Spenden gesammelt.
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