Tabuthema Integration: Wenn Emotionen dominieren

ÖVP, FPÖ sowie zwei JETZT-Mandatare stimmten für Kopftuchverbot
Die Regeln für ein gelungenes Zusammenleben müssen stetig neu ausgehandelt werden, etwa zur Gleichberechtigung. Doch sachliche Debatten sind schwierig.

„Wenn man den Mund aufmacht, ist man ein Rassist.“

Sätze dieser Art fallen in Debatten zum Thema Integration immer wieder – nicht nur in konservativen oder migrationskritischen Kreisen. Auch Menschen, die eine sachliche Diskussion über Probleme bei der Migration führen möchten, haben oft das Gefühl, dass gewisse Themen ein Tabu sind.

Im konkreten Fall stammt der Satz von einer Frau mit schwarzer Hautfarbe, die in Österreich lebt und wohl kaum im Verdacht steht, gegen Zuwanderung oder gar rassistisch zu sein. Sie erzählt, sie sei am Arbeitsplatz von muslimischen Männern diskriminiert worden und habe deshalb letztlich gekündigt. Ein Thema, das ihrem Empfinden nach aus Vorsicht in Österreich ausgeklammert werde, weswegen sie – wenn auch anonym – damit an die Öffentlichkeit gehen wollte.

Die Regeln und Gesetze für ein funktionierendes Zusammenleben müssen immer wieder neu ausgehandelt und angepasst werden. Doch warum ist eine sachliche Debatte so schwierig?

Komplexe Realität

„Der geschilderte Fall dieser Frau ist kein Einzelfall und zeigt, wie komplex die Realität ist und wie vereinfacht die Debatte geführt wird“, sagt der Psychologe und Extremismus-Forscher Ahmad Mansour. Ob Frauen sexuelle Belästigung im Freibad oder Diskriminierung am Arbeitsplatz erleben: „Wenn man jede Kritik als Rassismus abtut, kommt es zu keiner Debatte und zu keinem Reflektieren – dann funktioniert auch Integration nicht“, sagt Mansour.

Dass es so schwer sei, derlei Probleme zu thematisieren, liege an Aktivisten linker Parteien, die sich moralisch im Recht fühlen. „Wer widerspricht, gilt schnell als umstritten oder wird als Rassist abgetan.“ Stichwort: Cancel Culture. „Da denkt man schon zwei oder drei Mal nach, bevor man etwas sagt“, erklärt Mansour. So mache sich die Linke aber zu „nützlichen Idioten des politischen Islam“.

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Im Rahmen emotionaler Debatten ist aber oft kein Raum für Zwischentöne: „Dabei kann ich zum Beispiel eine Frau mit Kopftuch respektieren und akzeptieren – und das Kopftuch trotzdem kritisieren“, sagt Mansour.

Džemal Šibljaković, Leiter der Sozialabteilung der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGÖ), warnt aber davor, sich nur auf Muslime zu fokussieren. Man müsse die Thematik gesamtgesellschaftlich betrachten: „In jedem Teil der Gesellschaft, jedem Kulturkreis, findet man Mann-Frau-Probleme. Auch in Chats der Politik oder beim Rammsteinkonzert.“ Überall gebe es patriarchale Denkmuster, mit denen man sich auseinandersetzen müsse.

„Hast gleiche Rechte“

Auch in der IGGÖ spreche man sexistische Tendenzen innerhalb der Community an: Es gebe etwa Frauenbeauftragte in Moscheen oder Telefonseelsorge für Frauen. „Wo wir ihnen vermitteln: Du hast die gleichen Rechte wie ein Mann, lass dir nicht einreden, dass du weniger wert bist.“

Ob es gerade bei Muslimen heikel sei, Kritik zu üben? Nein, sagt Šibljaković: „Hemmungen bei der Kritik an Minderheiten sehe ich nicht. Wir haben eher eine Verschiebung rechter Rhetorik in die Mitte der Gesellschaft.“

Dass Debatten zu diesen gesellschaftlichen Fragen mitunter aber wenig konstruktiv verlaufen, sieht auch er so: „Die Debatten kommen nicht vom Fleck. Sie wiederholen sich, strukturell wird aber wenig getan, um die Situation für alle zu verbessern.“

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Was aber hätte man im konkreten Fall tun können? Ein wie im Fallbeispiel geschilderter Arbeitsplatz sei für Frauen jedenfalls nicht zumutbar, betont Šibljaković. Es brauche niederschwellige Anlaufstellen wie Opferschutzorganisationen. Ebenso wichtig sei Prävention: „Ich bin in der Jugendarbeit tätig und kenne Burschen, die sehr sensibel für Genderthemen sind. Weit mehr als die Väter oder Großväter“, erzählt er. „Es gibt aber Erwachsene, die noch schräge Vorstellungen haben, wie ,mann‘ sich verhält.“ Man habe den Fokus lange auf Jugendliche gelegt und diesen Bereich vielleicht noch etwas vernachlässigt.

Um die Situation generell zu verbessern, wäre eine offene Diskussion wichtig, sagt Mansour. „Denn so wie sie derzeit geführt wird, bringt man viele zum Schweigen. Und das ist nicht demokratisch.“ Ebenso brauche es klare Regeln für die Integration: „Es geht nicht nur ums Sprache lernen plus Arbeit minus Kriminalität.“ Zentrale Werte einer Gesellschaft müsse man deutlich kommunizieren: „Etwa die Ablehnung patriarchaler Strukturen und Handlungen. Diese Forderungen müssen wir in aller Deutlichkeit stellen. Wir müssen zeigen, dass eine emanzipierte und gebildete Tochter eine Chance sein kann.“

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