Mieter in Meidling leben seit zwei Jahren ohne Heizung und Strom
Langsam kriecht die Kälte von den Füßen den Körper hinauf. Da helfen auch die dicken Teppiche auf dem Boden nicht, die Schlapfen, die der 29-jährige Ali anbietet, oder die Tasse Tee, die er auf dem Gaskocher zubereitet.
Vor fast genau zwei Jahren wurden dem Wohnblock am Gaudenzdorfer Gürtel Strom, Heizung und Warmwasser abgestellt. „Und seit März haben wir überhaupt kein fließendes Wasser mehr im Haus“, sagt Ali. Seither muss er das Wasser aus einem Hydranten in der Nähe in sein Zimmer im vierten Stock tragen.
Ali ist einer von fünf Mietern, die hier seit etwa zwei Jahren wohnen. Damals waren es noch etwa 30 Geflüchtete, die Zuflucht in dem ehemaligen Hostel in Meidling suchten. Statt eines neuen Zuhauses fanden die Bewohner allerdings katastrophale Zustände vor. Sie wurden Opfer der Machenschaften einer Immobiliengesellschaft.
Dubioses Geschäftsmodell
Bei diesem „Geschäftsmodell“ handelt es sich keineswegs um einen Einzelfall. Die Vorgehensweise hat mittlerweile viel eher System: Immobilienfirmen mieten Häuser im Schrottzustand, die dem Verfall freigegeben werden und vermieten sie an Geflüchtete. „Es handelt sich um ein Konstrukt von Scheinmietern, den Menschen werden dabei von Strohmännern Untermietverträge angeboten“, erklärt Christian Bartok, Leiter der Mieterhilfe der Stadt Wien.
Das "Geschäftsmodell", an Geflüchtete zu vermieten und dann Strom und Heizung abzuschalten, dürfte in Wien System haben.
Das Wasser für den Alltag müssen die Mieter von außen herbeischaffen.
Hinzu kommt, dass das Haus nicht als Wohnhaus gewidmet ist, sondern eigentlich als Bürogebäude. Die Bewohner dürfen demnach gar nicht in dem Haus leben – und müssen raus.
Verzichtserklärungen für Bewohner
So einfach ist das aber nicht. „Wenn sie ausziehen wollen, müssen die Bewohner ein Dokument unterschreiben, dass sie auf die Hauptmiete verzichten. So würden sie aber um die teils hohen Kautionen umfallen, die sie beim Einzug bezahlt haben“, sagt Simone Steiner, Pressesprecherin der Gruppe „en Commun“. Mit einem offenen Brief wandte sich die NGO deshalb erneut an die Stadt Wien. „Es kann nicht sein, dass die Menschen in ihrer Notlage allein gelassen werden. Trotz Hunderter freier Gemeindewohnungen lässt Wiener Wohnen die Menschen abblitzen“, kritisiert Steiner in dem Schreiben.
Zu teure Alternative
Die Stadt Wien habe den Betroffenen zwar Notquartiere angeboten, diese seien aber nicht leistbar gewesen. Auch Ali wurde bereits eine Wohnung angeboten, die aber zu teuer war. 1.200 Euro Kaution hatte der junge Mann beim Einzug hinterlegt, einige Monate auch 500 Euro Miete bezahlt – bis die Stadt Wien den Bewohnern den Betrag erließ.
Die Wohnsituation an sich hat sich aber nicht verändert. Schlafen kann Ali schon lange nicht mehr. „Es ist zu kalt“, sagt er. Auch der Rücken macht dem Syrer, der seit drei Jahren in Wien lebt, zu schaffen, dazu kommt die psychische Belastung durch die Wohnsituation.
Steht man im Stiegenhaus des mehrstöckigen Hauses, kann man sich kaum vorstellen, dass hier noch Menschen leben. Eine gespenstische Ruhe hat sich in den verdreckten Gängen ausgebreitet, viele Türen stehen offen, drinnen türmt sich der Müll. „Es kommen auch Leute ins Haus, die nur Ärger machen“, erzählt der 29-Jährige. Die Vermutung: Sie seien vom Eigentümer dazu beauftragt worden. Seine Tür sei schon mehrmals aufgebrochen worden, er habe Angst. „Niemand hilft uns.“
"Verfahren gewonnen"
Das könnte sich aber bald ändern. „Wir haben fünf Mieter rechtlich unterstützt und die Verfahren jetzt auch gewonnen. Die Bewohner werden also als Hauptmieter anerkannt. Wir setzen uns dafür ein, dass sie ihre Kaution zurückbekommen und ausziehen können“, sagt der Leiter der Mieterhilfe. Wann das passiert, steht nicht fest.
Wovon Ali in der lebenswertesten Stadt der Welt träumt? „Eine Wohnung mit Wasser, Heizung, Strom.“
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